Ein typischer Kärntner?
Werner Schneyder wurde stärker von seiner Heimat geprägt, als man glaubt.
Das war wohl ein Abgang nach seinem Geschmack: ein feines Mittagessen mit Freunden, dazu guten Wein und pointierte Gespräche, und dann heimgehen und sterben. „Achtzig ist Pflicht, danach kommt die Kür“, hat er selbst gesagt. Er wurde zweiundachtzig.
Gar nicht wenigen Menschen ist unbekannt, dass die Kabarett-Legende Werner Schneyder ein Kärntner war. Wie kann das sein? Schneyder wurde zwar in Graz geboren, aber das war ein biografischer Irrtum, denn Graz hat in dessen ersten zwei Lebensjahren nichts, aber schon gar nichts zu dem Werner Schneyder beigetragen, den wir jetzt betrauern. Es war vielmehr das Aufwachsen in Klagenfurt, das ihn geprägt hat und wo bereits einiges angelegt wurde für die später herausragende Größe dieses Künstlers. Es war die Villenetage am Kreuzbergl mit dem Ansichtskartenblick auf Stadt und See. Die nahe Fußballwiese, die Teiche, der Garten zum Ausleben der Wildwestfantasien und natürlich das Strandbad. Es war der erste Fußball mit 11, nachdem zuvor mit Kasperlfigurenköpfen gegen die Wand gespielt werden musste, dann das Tormanndasein in der Schülermannschaft des KAC, überhaupt der sogenannte „Proletensport“als Flucht aus der kleinbürgerlichen Familie, die so gerne E Großbürgertum spielte. s waren die doppelt gelegten Perserteppiche und die natürlich von „akademischen Malern“gefertigten Gemälde, es war das „Was werden die Leute sagen?“und „Du wirst dich noch schön anschauen!“– Es war der Opportunismus der Eltern, der den Wider-
willen und den Widerspruchsgeist des Sohnes erwachen ließ. Es war der Philosophieprofessor am Realgymnasium, der den 15-Jährigen mit Kästner und Tucholsky infizierte. Dann das Vorsingen des Naturtenors beim ORF-Radio Klagenfurt, mit der Absicht, Schlagersänger zu werden: „Das machen nur die Beine von Dolores.“Es war das Stadttheater, dieses goldgerahmte Dunkelrot des magischen Theaterraumes mit Madame Butterfly als Initiation und unzähligen, vorwiegend Musiktheater-Produktionen als Bildungsgrundlage. Die Diskussionen des Gymnasiasten mit den Schauspielern im TheaterEspresso, verbunden mit einer starken Sehnsucht nach Milieuwechsel. Es waren die Bilder Werner Bergs im Künstlerhaus und etlicher anderer Künstler, die die Liebe zur Landschaft auch in eine Liebe zur Kunst transformierten. Das alles konnte die Provinz, konnte W Kärnten leisten. ie viel Prozent Kärntnerisches steckte in Werner Schneyder? Oder wie viel Promille? Darf ein Kärntner Weltbürger, ein Intellektueller zumal, ein definierter Querdenker und Linker noch dazu, seine Heimat lieben oder ist das schlecht für den Fremdenverkehr? Duldet die schöne Landschaft auch Intelligenz oder reicht Schönsein? Kann ein Gescheiter so nah am Wasser gebaut sein? Ist das Gegenden-Strom-Schwimmen in Kärntner Gewässern erlaubt oder pfeift dann der Bademeister? Passt Geradlinigkeit in die gewundene Topographie der Kärntner Seele? Kann einer, der so oft „Nein“gesagt hat, überhaupt ein Kärntner sein? Oder könnte er vielleicht sogar ein Rollenmodell sein für Differenziertheit, für ein Nebeneinander von Herz und Hirn, für ein I Sowohl-als-auch? ch habe keinen einzigen Beleg für eine Denunziation Kärntens oder Klagenfurts durch den ansonsten außerordentlich scharfzüngigen Werner Schneyder gefunden – im Gegenteil. Werner Schneyder liebte seine Heimatstadt von klein auf, er hat sie – im Gegensatz zu seinen Eltern – nicht als provinziell empfunden, sondern er hat alles, was ihm kulturelle, geistige oder sportliche Nahrung war, aufgesogen, bis er satt war und das Weite suchte. Und dort, in der Weite, begann die erstaunliche, lang anhaltende Karriere des Werner Schneyder erst richtig. Mit allem, was man im deutschsprachigen Kabarett und darüber hinaus in unzähligen Facetten als Sprachund Theatermensch erreichen kann und was ihn legendär werden ließ. Die Schlusspointe: dass seine Heimat Kärnten, die sich mit allem Möglichen brüstet, nur nicht mit dem Begriff „Kulturland“, seinen Sohn Werner Schneyder ganz offensichtlich kulturell geprägt hat. Ob es nun wollte oder nicht.