Kleine Zeitung Kaernten

Die Rückkehr einer schmerzhaf­ten Debatte

In Deutschlan­d wird nach Gräueltate­n heftig über Sicherheit und Gewalt durch Ausländer diskutiert. Afrikaner, der Bub auf Gleis stieß, war auf der Flucht.

- Von Thomas Golser

Kerzen, Teddybären, Billetts, auf denen „Mitgefühl“und „An die Mama des Jungen“geschriebe­n steht. Eilig, aber tief betroffen wirkende Menschen, die ihren Zug zur Arbeit erwischen wollen, am Bahnsteig möglichst im hinteren Bereich warten: Auch am Tag nach der offenbar völlig willkürlic­hen Attacke auf Bahnsteig 7 ist Entsetzen das vorherrsch­ende Gefühl auf dem Frankfurte­r Hauptbahnh­of.

Ein Achtjährig­er, der mit seiner Mutter auf den Zug wartete, wurde von einem Mann aus Eritrea vor einen einfahrend­en ICE gestoßen. Der 40-Jährigen gelang es nicht, den Bub vom Gleisbett zu zerren – er starb vor ihren Augen. Ein drittes Opfer, eine ältere Frau, wurde verletzt, konnte den feigen Angreifer aber abwehren.

Die Debatte darüber, was sicherheit­stechnisch möglich ist und ausländerr­echtlich nötig ist, ist in Deutschlan­d nun voll entbrannt. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) unterbrach seinen Urlaub und trat gestern vor die Presse: Es scheint schier unmöglich, nun einfach zur Tagesordnu­ng überzugehe­n,

denn: Bei so einem grässliche­n Kapitalver­brechen sei es „geradezu Pflicht der Politik, Konsequenz­en zu ziehen“. Die Sicherheit an Deutschlan­ds 5600 Bahnhöfen müsse erhöht werden – freilich weisen diese häufig völlig unterschie­dliche Strukturen auf. „Totale Sicherheit“sei „Irrglaube“– man sei „nie so gut, dass man nicht noch besser werden kann“. Seehofer kündigte dazu Spitzenges­präche mit der Deutschen Bahn und dem Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer( CSU) an. „Wir brauchen dringend mehr Polizeiprä­senz“, hielt Seehofer fest. Das sei wichtiger als manch neuer Paragraf. Auch stärkere Videoüberw­achung im öffentlich­en Raum sei vorstellba­r.

Über das Tatmotiv war gestern noch nichts bekannt, es gibt aber neue Details zur Person: Der mutmaßlich­e Täter, selbst dreifacher Vater und verheirate­t, war 2006 illegal in die Schweiz eingereist und erhielt dort 2008 eineNi eder lassungs berechtigu­ng. Der 40-jährige Afrikaner galt gar als „Beispielfa­ll gelungener Integratio­n“. Gleichzeit­ig wurde er von den Schweizer Behörden seit Donnerstag­abend gesucht, weil er eine Nachbarin mit einem Messer bedroht, gewürgt und eingesperr­t hatte – und dann geflüchtet war. Eine Radikalisi­erung schloss man in der Schweiz aus, allerdings sei der Verdächtig­e dort in psychiatri­scher Behandlung gewesen.

Seehofer ging

auch auf die aufenthalt­srechtlich­e Seite und die Migrations­debatte ein. Mindestens 43.000 unerlaubte Einreisen habe es 2018 gegeben – daher müsse man „die Kontrolle der Grenzen überall stärker in den Blick nehmen“. Er betonte die „Werte-Erosion“und die damit einhergehe­nde Entwicklun­g – 13 Fälle roher Gewalt zuletzt ließen die Alarmglock­en läuten. Insgesamt seien ausländerr­echtliche Änderungen zwar denkbar. In diesem Fall sehe er aber „keinen Anlass für eine Änderung“, so Seehofer. Ausländerk­riminalitä­t sei nicht zu verharmlos­en, aber auch nicht zu instrument­alisieren.

Erst eine gute Woche zuvor war ja im Bahnhof der Stadt

Das Sicherheit­sgefühl der Bevölkerun­g ist sehr

angespannt.

Horst Seehofer,

Bundesinne­nminister

Voerde in Nordrhein-Westfalen eine 34-jährige Mutter vor einen Regionalzu­g gestoßen worden und gestorben. Der 28-jährige Tatverdäch­tige – ein in Deutschlan­d geborener Serbe – sitzt wegen Mordverdac­hts in Untersuchu­ngshaft. Auffällig: In beiden Fällen kannten sich Täter und Opfer nicht.

Holger Münch, Präsident des Bundeskrim­inalamtes, bestätigte eine „Überrepräs­entanz“von Ausländern in den Kriminalst­atistiken und kündigte noch konsequent­eres Vorgehen an. Recht deutlich hatte sich zuvor CDU-Innenpolit­iker Philipp Amthor zum Verbrechen in Frankfurt geäußert: „Nach dieser furchtbare­n Straftat braucht es jetzt rasche und spürbare Konsequenz­en für den Täter. Zusätzlich zum Strafverfa­hren sollten auch aufenthalt­sbeendende Maßnahmen diskutiert werden. Darüber hinaus bin ich offen für eine Diskussion über bessere Sicherheit­svorkehrun­gen an unseren Bahnhöfen.“

Jörg Radek,

stellvertr­etender Vorsitzend­er der deutschen Polizeigew­erkschaft hält gegenüber der Kleinen Zeitung fest, dass die Bahnanlage­n und Bahnreisen in Deutschlan­d sicher seien. Zumindest hier könne er keine Häufung blinder Gewalt wahrnehmen. Sehr wohl würden aber „seit 2014 Körperverl­etzungsdel­ikte mittels Waffen und anderer gefährlich­er Werkzeuge, insbesonde­re Messer, signifikan­t zunehmen“.

So werde das subjektive Sicherheit­sgefühl der Gesellscha­ft negativ beeinfluss­t. Auch er ortet Grenzen, solche Taten zu vermeiden: „Keine Prävention wird einen Täter, der heimtückis­ch die Gefahr der Bahnsteigk­ante nutzt, aufhalten. Wer jetzt schnelle Lösungen fordert, muss sich fragen, was in der Vergangenh­eit nicht umgesetzt wurde. Darin liegt die besondere Tragik des Verbrechen­s.“Mögliche Schutzmaßn­ahmen müssten im Verhältnis Freiheit zu Sicherheit überprüft werden. Reisende mögen besonders umsichtig sein. Abschließe­nd betont Radek: „Dies ist keine Zeit, politische Ziele zu verfolgen. Unsere Gedanken gelten den Opfern und Hinterblie­benen.“

Für Anke Rehlinger, saarländis­che SPD-Verkehrsmi­nisterin, offenbaren Taten wie die aktuelle „keine Sicherheit­s-, sondern eine Menschlich­keitslücke“.

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AFP Warum? Eine Frage, die ein Trauernder sich selbst und ganz Deutschlan­d in einem Meer aus Kerzen, Blumen, Stofftiere­n und Empathie stellt
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