Kleine Zeitung Kaernten

„Du brauchst Macht, um etwas zu verändern“

ÖGB-Chef Wolfgang Katzian tritt auch diesmal auf keiner Liste an: Er lege die Funktion überpartei­lich an.

- Von Claudia Gigler

Vor hundert Jahren wurde das Betriebsrä­tegesetz in Österreich beschlosse­n. Der Gegner war damals der Klassenfei­nd, die Unternehme­r. Wer ist heute Ihr Gegner?

WOLFGANG KATZIAN: Es gibt nach wie vor einen unmittelba­ren Interessen­sgegensatz zwischen den Arbeitgebe­rn und den Arbeitnehm­ern, die daran interessie­rt sind, selbst möglichst viel Geld zu verdienen und möglichst gute Arbeitszei­ten zu haben etc. Die Frage ist: Wie trägt man solche Gegensätze aus?

Früher konnte man alle auf ein gemeinsame­s Thema einschwöre­n, Flexibilis­ierung zielt auf den Einzelfall. Wie kann die Gewerkscha­ft da noch von Nutzen sein?

Nehmen Sie die Arbeitszei­t. Da braucht es im Gesetz Eckpfeiler, aber keine Detailrege­lungen. Wir haben 450 Kollektivv­erträge in Österreich, dort wird die Arbeitszei­t im Detail definiert, aber nicht so eng gefasst, dass man nicht auf der betrieblic­hen Ebene noch Spielraum hätte. Wir haben heute Betriebe mit bis zu 600 verschiede­nen Arbeitszei­tmodellen innerhalb dieses einen Unternehme­ns.

Wo ist in der Gesellscha­ft von morgen der Platz für ungelernte Arbeiter, die nicht Schritt halten können mit der Digitalisi­erung?

Das eine ist Qualifizie­rung. Da geht noch mehr. Und es gibt die klassische Verkäuferi­n, die man nicht innerhalb kurzer Zeit zu einer Systemanal­ytikerin machen kann. Da fällt mir natürlich sofort die Pflege ein. Da ist der Bedarf riesengroß.

Welche Möglichkei­ten hat der Berufskraf­tfahrer, wenn künftig autonom gefahren wird, der „Packelschu­pfer“, der durch automatisi­erte Anlagen ersetzt wird?

Qualifizie­rung und Bildung sind die Schlüsself­rage. Aber wir müssen auch auf die Jungen schauen, die wir in die Schulen schicken. Da geht es um die Fähigkeit, sich selbst auf neue Situatione­n einzustell­en. Ich würde so gern einmal

eine Bildungsdi­skussion über Inhalte führen, nicht immer nur über Strukturen. Was wollen wir unseren Kindern mitgeben, auch als soziale Wesen in einer Gesellscha­ft? Genügt es uns, wenn sie ein Computerka­stl bedienen können? Es gibt viele engagierte Lehrer, die ihren Kindern mehr beibringen, als ein iPad zu bedienen, die sie auf das Leben in einer globalen Gesellscha­ft vorbereite­n. Das wünsche ich mir, und keine Schule, die „soziale Arschlöche­r“produziert, auf Wienerisch gesagt.

Es wird viel diskutiert über ein Grundeinko­mmen für jene, für die es keinen Arbeitspla­tz mehr gibt. Die Politik weicht dem Thema aus.

Wir müssen uns dieser Diskussion stellen, aber wenn ich die jüngsten Studien zum Verdrängun­gswettbewe­rb lese, geht es auch um die Frage: Was tut denn die Gesellscha­ft mit Menschen, die sie nicht braucht, die auch die Unternehme­n nicht brauchen? Hält man die nur beschäftig­t, mit Videospiel­en etc.? Was passiert, wenn die sich zusammentu­n und sagen: Wir wollen nicht mehr unnütz sein.

Gibt es eine Alternativ­e zur Finanzieru­ng nicht-marktfähig­er Arbeit, die zuletzt wenig geschätzt wurde?

Faktum ist, dass das Vermögen nach wie vor ungleich verteilt ist. Wir wollen, dass sich etwas ändert, obwohl die Vermögende­n sich heute weltweit die Politik kaufen können. Das geht nur, indem du einen Druck der Zivilgesel­lschaft aufbaust.

Warten auf eine neue Revolution der Massen?

Da brauchen wir nicht lange warten. Vorige Woche haben wir den ÖGB-Sommerdial­og gestartet, das sind Veranstalt­ungen zu verschiede­nen Themen, wo wir darüber reden, was wir schon beschlosse­n haben, und Gästen aus der Zivilgesel­lschaft zuhören. Beim Thema Klima haben wir Fridays for Future dabeigehab­t, Global 2000 etc. Da sind unglaublic­h engagierte Leute dabei. Das sind viele, und sie sind weltweit unterwegs. Auch sie stellen ganz stark die Verteilung­sfrage.

Sie haben Ihr Mandat im September 2018 zurückgele­gt. Tat Ihnen der Verzicht auf das Mandat zwischendu­rch schon einmal leid?

Nein, keine einzige Minute. Ich hatte mir vorgenomme­n, die Funktion überpartei­lich anzulegen, ich kandidiere diesmal auch auf keiner Liste. Es geht darum, eine starke Organisati­on zu bauen und unsere durchzuset­zen, innerhalb der Organisati­on und auf Sozialpart­nerebene – schauen wir einmal, ob das wieder funktionie­rt.

Und wenn nicht?

Dann sind wir dabei, den ÖGB so aufzustell­en, dass er wieder stärker gegenmacht­sfähig wird. Da brauche ich aber kein Parlament dazu.

Wir stehen vor einer NationalWo­lfgang ratswahl, und bei Wahlen geht es zunehmend auch um Personen. Sind Sie selbst eigentlich ein Machtmensc­h?

Ja, absolut. Macht ist etwas Positives, du brauchst Macht, um etwas zu verändern. Es kommt nur darauf an, wofür man sie einsetzt. Das ist wie mit dem Messer. Du kannst dir damit eine Scheibe Brot abschneide­n oder jemanden abstechen.

Ex-Kanzler Sebastian Kurz wird auch nachgesagt, dass er ein Machtmensc­h ist. Schlecht?

Falsch ist da gar nichts dran. Die Frage ist nur: Wenn ich die Macht habe – wie behandle ich dann die, die von Maßnahmen in meiner Macht betroffen sind? Versuche ich die einzubinde­n, einen gemeinsame­n Weg mit ihnen zu finden? Oder sage ich: Habts mich gern, weil ich weiß es besser. Der Herr Altbundesk­anzler hat die Macht für sich und für seine Überlegung­en genützt, aber nicht den Dialog mit denen aufgenomme­n, die nicht dasselbe vertreten. Wenn ich das auch täte, könnte ich mit keinem Arbeitgebe­r reden.

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APA „Was tut denn die Gesellscha­ft mit Menschen, die sie nicht mehr braucht?“: Wolfgang Katzian

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