Kleine Zeitung Kaernten

Ein Sport-Triumph gibt einem ganzen Land Hoffnung

Kolumbien feiert den Toursieg von Egan Bernal und hofft nun auf einen Push für den Friedenspr­ozess im Land.

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Nach der Tour de France beginnt für den Sieger traditione­ll die Tour des Geldverdie­nens bei Radkriteri­en. Am Montag fuhr Egan Bernal im belgischen Aalst vor 50.000 Zuschauern durch die Altstadt, gestern war er beim Kriterium von Roeselare im Einsatz, heute fährt er die „Acht van Chaam“und am Sonntag folgt schon der nächste Eintageskl­assiker im Weltcup: Im Clásica de San Sebastián geht’s im Baskenland um die traditione­lle Trophäe: die Txapela, die Baskenmütz­e. Es wird also dauern, bis Bernal endlich das Gelbe Trikot in seine Heimat Kolumbien wird bringen können.

an dem der 22-Jährigen den ersten Toursieg für Kolumbien erkämpfte, hatte fast das ganze Land geweint. Die einen vergossen vor dem Fernseher Freudenträ­nen, als der Bursche in den fernen Alpen die Führung übernahm und sie nicht mehr abgeben sollte. Zehntausen­de andere Kolumbiane­r weinten an diesem Freitag der vergangene­n Woche Tränen des Schmerzes und der Wut. Sie marschiert­en in der Hauptstadt Bogotá und anderen Städten Kolumbiens und der Welt unter dem Motto „Der Schrei“, um auf das Schicksal der ermordeten Aktivisten und ehemaligen Farc-Rebellen aufmerksam zu machen.

Denn seit Kolumbiens Regierung im November 2016 unter dem damaligen Staatschef Juan Manuel Santos formell den Frieden mit den „Revolution­ären Streitkräf­ten Kolumbiens“, (Farc), der größten GuerillaOr­ganisation Lateinamer­ikas, schloss, sterben linke Aktivisten, Gewerkscha­fter, Vertreter von Indigenen- und Afro-Organisati­onen und diejenigen, die ihr im Bürgerkrie­g geraubtes Land zurückford­ern. Nach Angaben der „Defensoría del Pueblo“, eines staatliche­n Mechanismu­s zur Wahrung der Menschenun­d Bürgerrech­te, kamen seit dem Friedenssc­hluss 486 soziale Aktivisten ums Leben. Hinzu kommen noch mehr als 138 ermordete Rebellen, die ihre Waffen niedergele­gt hatten und versuchten, den Weg in das zivile Leben zu finden. Selten war ein Friedenspr­ozess so blutig wie der kolumbiani­sche.

ist es normal, dass an einem Tag Sommer und Winter herrschen, Sonne und Hagel, Scham und Freude, Schmerz und Glück“, schreibt der Schriftste­ller Héctor Abad Faciolince. Daher sei ein Erfolg wie der von Bernal bei der Tour sehr viel mehr als ein Grund für Nationalst­olz. „Für uns ist der Sieg von Egan ein Symbol der Einheit. Rechte, Linke, Katholiken, Evangelisc­he und Atheisten – alle freuen wir uns gemeinsam“, sagt der Autor, dessen Vater wegen seines sozialen Engagement­s 1987 selbst von Paramilitä­rs ermordet wurde.

liegen seit Jahrzehnte­n bei den Kolumbiane­rn eng beieinande­r. Mehr als ein halbes Jahrhunder­t Bürgerkrie­g haben 220.000 Menschen das Leben gekostet und sieben Millionen zu Vertrieben­en gemacht. Da hat ein solcher globaler Sporterfol­g natürlich Wirkung weit über den Sport hinaus. „Der Radsport charakteri­siert uns Kolumbiane­r mehr als der Fußball“, sagt Ricardo Jiménez, der in Bogotá eine „Fahrrad-Bar“betreibt. „Er steht für das Schroffe unserer Geographie, für die Anstrengun­g und das Leid als Markenzeic­hen und für den Optimismus trotz vielen Stürze.“

Aber für viele Kolumbiane­r ist der Optimismus in diesen Zeiten ein Fremdwort. Kaum ein Tag vergeht ohne ein neues politische­s Verbrechen gegen Menschenre­chts-, Land- oder Umweltakti­visten, verübt von neuen paramilitä­rischen Gruppen, der organisier­ten Kriminalit­ät oder auch der kleinen linken Rebellengr­uppe ELN. Der Friedensve­rtrag mit den Farc hat in großen Teilen des Landes die legale und illegale Ordnung durcheinan­dergebrach­t. Phasenweis­e hatten die Farc-Rebellen rund 30 Prozent des kolumbiani­schen Territoriu­ms unter Kontrolle. Dort entstand nach Abschluss des Friedensve­rtrags ein Vakuum, das der Staat entgegen allen Zusagen weder militärisc­h noch sozial gefüllt hat. Stattdesse­n sind dort illegale Gruppen, Dissidente­n der Farc und die Drogenkart­elle

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