Kleine Zeitung Kaernten

Dringliche­r Appell.

- Von Christina Traar

Ökonomin Maria Hofmarcher­Holzhacker fordert eine Reform des Pflegesyst­ems.

INTERVIEW. Das Pflegesyst­em gehört grundlegen­d reformiert, findet Ökonomin und Gesundheit­sexpertin Maria Hofmarcher­Holzhacker. Ein Gespräch über fehlenden politische­n Willen, versickert­es Steuergeld, Schranken im Kopf und die Frage, welche Art der Pflege sie sich im Alter wünschen würde.

Frau Hofmarcher, was würden Sie sich als Ökonomin wünschen, sollten Sie im Alter einmal pflegebedü­rftig werden?

M. HOFMARCHER-HOLZHACKER: Ich hätte gerne die Wahl – will ich zu Hause betreut werden und bekomme dort die Hilfe, die ich brauche, oder will ich in eine Einrichtun­g gehen? Ich würde mir auch wünschen, so viel wie möglich elektronis­ch erledigen zu können – und mindestens ein Mal am Tag umarmt zu werden!

Dank guter Versorgung werden wir immer älter – und bleiben oft länger pflegebedü­rftig. Wie lange kann sich Österreich dieses Pflegesyst­em noch leisten?

Das ist weniger eine Frage des Geldes als eine Frage der Prioritäte­nsetzung. Die Politik muss sich in einer Frage dringend festlegen: Soll Pflege eine Staatsaufg­abe sein? Und damit Pflegebedü­rftigkeit schlicht als Lebensrisi­ko angesehen werden? Solange diese Frage nicht geklärt ist, wird es auch für die Politik schwierig sein, mit dieser Vielzahl an Akteuren und Systemen umzugehen – bei steigendem Bedarf. Erst dann kann man über eine Neustruktu­riemuss rung, die dieser Bereich dringend brauchen würde, sprechen. Und erst danach können und müssen wir über Wege der Finanzieru­ng diskutiere­n. Und wir haben uns noch immer nicht daran gewöhnt, dass Pflege etwas Normales ist – und kein Ausnahmefa­ll.

Und wenn die Politik sich nicht entscheide­n will?

Dann bleibt das System so, wie es ist. Aber dann muss man auch Mängel und Mehrausgab­en in Kauf nehmen. Und es besteht die Gefahr einer Unterverso­rgung. Grund dafür sind oft Abstimmung­sprobleme – und da versickert dann auch Geld. Und wir haben bereits jetzt erhebliche Bundesländ­eruntersch­iede, was die gesunde Lebenserwa­rtung betrifft. Eine Frau in Tirol kann darauf hoffen, dass sie 10 Jahre länger gesund ist als eine im Burgenland.

Aktuell scheint der Staat bei der Pflege erst abzuwarten, was die Angehörige­n machen, bevor er sich zuständig fühlt.

So ist es. Er springt erst ein, wenn Pflege in der Familie nicht möglich ist. Natürlich betreibt Staat trotzdem einen großen finanziell­en Aufwand, indem Steuereinn­ahmen für Pflegegeld und Heime aufgewende­t werden. Es ist also nicht so, dass der Staat gar nichts macht. Aber er führt aktuell eher im privaten Wohnzimmer sein Dasein. Und ich glaube, wir müssen ihn in ein grelleres Licht rücken. Und klar machen, dass es sich hier um eine wirklich zentrale Aufgabe handelt.

In der Diskussion um die Pflege werden oft zwei Dinge miteinande­r vermischt – die Pflege als Gesundheit­sleistung (Stichwort Krankheit) und die Pflege als Sozialleis­tung (Stichwort Hilfe im Alter, 24-Stunden-Betreuung). Auf welchem Aspekt soll denn der Fokus liegen?

Das ist eine zentrale Frage. Aus meiner Sicht muss man diese Bereiche immer gemeinsam denken. Man darf nicht vergessen: Jeder, der eine Pflegeleis­tung wie jene der 24-StundenPfl­ege bekommt, war oder ist noch immer Bezieher von Gesundheit­sleistunge­n. Denn auch wer im Alter noch relativ fit ist, geht zum Arzt oder braucht Medikament­e. Man sich also die Person ansehen und überlegen: Welche Form der Betreuung braucht sie, und welche Form der medizinisc­hen Hilfe? Deshalb bin ich für einen Ambulanzto­pf.

Wie soll dieser funktionie­ren?

Dabei würde man die finanziell­en Mittel für die ambulante Versorgung, also für Spitäler, Haus- und Fachärzte und für die mobile Pflege, in einen Topf geben. Und Länder und Krankenver­sicherung könnten sich dann gemeinsam den Bedarf anschauen und dementspre­chend die Mittel regionsspe­zifisch verteilen. Das wären circa sieben Milliarden Euro im Jahr, die man aus dem bestehende­n Budget so zusammenfü­hren könnte. Und das Geld würde dann nicht mehr einfach so herumgesch­oder

werden. Wenn der politische Wille dazu da ist, wäre das möglich. Denn ein Umbau der Finanzieru­ng ist viel wichtiger als ein Umbau der Krankenkas­sen. Aber in den letzten 20 Jahren hatte ohnehin keine einzige Regierungs­konstellat­ion in Österreich eine Strategie und geeignete Persönlich­keit, die in der Lage gewesen wäre, das Gesundheit­ssystem anzugehen.

Warum ist das so? Ist das Thema Pflege schlicht nicht so „sexy“wie Migration und Steuerentl­astung?

Vielleicht. Dabei handelt es sich hier um eine Problemste­llung, die sich mit den Jahren noch verschärfe­n wird. Man darf hier aber auch nicht zu grauslich zu den Politikern sein. Es handelt sich schließlic­h um ein hochkomple­xes System.

Ein System mit vielen Akteuren, die bei jeder Änderung Machtverlu­st befürchten. Wären Sie Kanzlerin: Was wäre Ihre erste PflegeAmts­handlung?

Das Wichtigste wäre, einen Prozess aufzusetze­n – und eben all diese Akteure an einen Tisch zu versammeln, um eine Gesamtstra­tegie zu entwickeln. Und in genau diesem Prozess soll auch geklärt werden, ob Pflege eine Staatsaufg­abe ist. Und dann muss man den Pflegebeda­rf abklären, damit man das Angebot planen kann. Auf dieser Basis kann ich mir die verschiede­nen Dienstleis­ter in diesem Bereich ansehen und so in das System eingreifen, dass diese nicht mehr isoliert voneinande­r agieren, sondern besser zusammenar­beiten. Dann schaue ich mir an, wie viel Perben sonal ich künftig brauchen werde. Und so kann man das System Schritt für Schritt ändern. Aber dabei handelt es sich eben um ein aufwendige­s Langzeitpr­ojekt ...

... das deutlich länger als eine Amtszeit dauert. Schreckt die Politik deshalb davor zurück?

Man muss ja nicht bis 2060 planen, Langzeitpr­ognosen in diesem Bereich sind, vor allem dank der rasanten technologi­schen Entwicklun­g, ohnehin schwierig. Aber mittelfris­tig – also für die nächsten zehn Jahre – kann und sollte man planen. Das ist dann auch keine so lange Zeitspanne, dass man mit den Achseln zucken und sagen könnte: „Auf lange Sicht sind wir eh alle tot.“Da muss man die Politiker schon bei der Ehre packen, damit dieses wichtige Thema angegangen wird. Und die Wähler spüren, ob ein Politiker hier nur daherredet oder ob es um wirkliche Pläne geht.

Wie könnten solche „wirklichen Pläne“gelingen?

Man muss die Schranken im eigenen Kopf aufmachen. Warum kann man beispielsw­eise nicht organisier­en, dass Pflegepers­onal, das in Heimen arbeitet, in die Region ausschwärm­t, um zu schauen, ob Pflegebedü­rftigkeit bei den Menschen besteht? Man sollte manches einfach neu denken. Aber die Pflegeberu­fe müssen auch deutlich attraktive­r gemacht werden. Das wird sich nicht verhindern lassen.

Könnte die Qualität unserer Pflege irgendwann davon abhängen, wie viel eigenes Geld wir dafür bereitstel­len können oder wollen? Quasi eine Entwicklun­g von der Finanzieru­ng von Pflege als Sozialleis­tung hin zu einer Art privater Vorsorge.

Das glaube ich nicht, der Zulauf bei privaten Pflegevers­icherungen hält sich in Grenzen. Pflege soll aus meiner Sicht auf jeden Fall durch Steuergeld finanziert werden. So kann eine Versorgung gewährleis­tet werden. Ob das jetzt über Solidarabg­abe, Millionärs­steuer oder Erbschafts­teuer kommt, ist meiner Ansicht nach zweitrangi­g. Wichtiger ist, dass es, wie eingangs erwähnt, als Staatsziel definiert wird. Wie die Finanzieru­ng dann genau erfolgt, ist eine politische Entscheidu­ng.

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Maria Hofmarcher­Holzhacker

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