„Das Böse kommt leider von selbst“
Der Lavanttaler Christian Bachhiesl (48) ist Leiter des Kriminalmuseums an der Uni Graz. Er beschäftigt sich tagtäglich mit dem Bösen, Krimis mag er aber gar nicht.
Wir befinden uns am Ort eines brutalen Mordes am Kalchberg in Bad St. Leonhard im Lavanttal. Der Jäger Gabriel Streicher wurde hier am 27. Juni 1948 erschossen. Was fühlen Sie an diesem Ort?
CHRISTIAN BACHHIESL: Es ist sehr ambivalent. Einerseits freue ich mich, hier zu sein, um mit Menschen aus der Umgebung sprechen und die Tat weiterverfolgen zu können, andererseits spielt da schon etwas Unbehagen mit. Der Ort bringt einen sehr zum Nachdenken. Es gibt viele Fälle, die oft nicht mehr nachvollziehbar sind, beispielsweise, weil Häuser abgerissen werden. Damit verschwindet auch das Grauen. Hier aber ist es noch präsent, man taucht ein Stück in die Vergangenheit ein.
Was genau ist hier passiert?
Der Jäger Gabriel Streicher wurIn de hier von einem Wilderer ermordet. Er wurde mit dem Hut auf dem Kopf zwischen zwei Fichtenbäumen liegend gefunden. Die Obduktion ergab einen Einschuss im linken Oberarm, weiterreichend in den Brustkorb. Die Kugel zertrümmerte die 7. Rippe, durchbohrte die Lungenunterlappen und riss die linke Herzkammer auf. Das Projektil stammte von einer deutschen 7,9mm-Militärpatrone.
Konnte der Fall je aufgeklärt werden?
Wie ich jetzt weiß, schon. Der Wilderer stammte aus der Gegend, kam ins Gefängnis und hat sich angeblich das Leben genommen.
Das Gewehr ist noch heute im Kriminalmuseum der Uni Graz zu sehen. Gibt es noch weitere Fälle aus dem Lavanttal, Ihrer Heimat? St. Gertraud gibt es einen unaufgeklärten Fall. Ein Mann wurde in einem Waldstück erschlagen. Der Mörder wurde nie gefunden. Mein Schwiegervater hatte diesen Mord miterlebt: Er wartete auf den Mann, der dem Täter zum Opfer fiel. Als er aber nicht zurückkam, schlug er Alarm.
Sie beschäftigen sich als Leiter des Kriminalmuseums täglich mit dem Bösen, das Menschen einander antun. Wie geht man damit um?
Zum einen hilft die zeitliche Distanz. Zum anderen sind es viele andere Komponenten, die mich rund um ein Verbrechen viel mehr interessieren. Die Tat selbst ist für mich nur Anlass, ich versuche, den sozialhistorischen Hintergrund zu erforschen: die bäuerliche Lebenswelt, Sittenbilder, Charaktere usw. Wenn Kinder im Spiel sind,
es schwieriger. Man muss aber auch sagen, dass die meisten Kriminalfälle Vermögensdelikte und keine Morde sind.
Was macht Kärnten so besonders im Bezug auf die Kriminalgeschichte? Das hat nichts mit dem Land an und für sich zu tun, sondern ist eine menschliche Konstante. Aus Habgier oder Eifersucht wird oft Böses getan, das geschieht aber überall auf der Welt. Ich muss sogar sagen, dass die Gewaltbereitschaft eher gesunken ist. Das hat vielleicht damit zu tun, dass die Medien sofort berichten. Früher wurde das gerne vertuscht. Bei Kirchtagen oder Festen wurde eine Messerstecherei oder Schlägerei oft als ganz normal angesehen.
Sie haben sich in einigen Publikationen mit außergewöhnlichen Kriminalfällen auseinandergesetzt, wie dem Herzlfresser von Kindberg. Gibt es auch in Kärnten derartige Fälle? An einen Fall aus dem Jahr 1933 kann ich mich erinnern. Eine Frau ermordete ihren Liebhaber, einen Maurer, weil er die Beziehung beenden wollte. Anschließend beging sie Selbstmord, indem sie sich zwischen Arnoldstein und Villach auf die Gleise legte. Ihr Kopf wurde abgetrennt. Wir haben Fotos davon im Museum.
Gibt es auch neuere Fälle im Museum? Nein, in den 60er-Jahren hören die meisten auf. Es würde heute im Sinne des Datenschutzes nicht mehr funktionieren. Der Bereich ist sehr sensibel. Oft gibt es Nachfahren von Mördern, die darunter leiden, weil sie damit konfrontiert und von den Menwird schen gedemütigt werden. Eine Besucherin unseres Museums hat bei uns sogar herausgefunden, dass ihr Onkel ein Mörder war. Deshalb ist die menschliche Komponente in einem derartigen Museum so wichtig, etwa bei Führungen. Das könnte kein Computer machen.
Überhaupt sind Ihnen digitale Medien ein Dorn im Auge. Sie haben auch kein Handy – oder? Nein, ich will keines und wollte auch nie eines. Ich habe mein Telefon im Museum und rufe von dort aus jede Nummer zurück. Das genügt mir. Mir ist das Menschliche wichtiger. Vielleicht ist das auch der Grund, warum wir jährlich 6000 Besucher im Museum haben.
„Ein Mörder lauert in jedem Menschen“, formuliert der Gerichtspsychiater Reinhard Haller in seinem Buch „Das ganz normale Böse“. Sehen Sie das auch so? Das glaube ich nicht. Mord ist eine Absicht und geplant. Ich glaube nicht, dass das jeder Mensch kann. Da gehört viel dazu. Ich habe trotz der Sammlung an menschlichen Entgleisungen im Museum ein positives Menschenbild.
Das Böse begegnet uns im Alltag: in Eifersüchteleien, in der Gier, viel Geld besitzen zu wollen, in der Wut. Gehört das nicht zum menschlichen Dasein dazu? Absolut. Ich kenne niemanden, der nur gut ist. Jeder hat eine unbequeme, dunklere Seite. Der Teufel schläft nicht, sagt man. Bei allen Menschen kommt es vor, dass man sich im Streit mit dem Partner plötzlich nicht wiedererkennt. Das Böse kommt leider von selbst und sehr rasch. Jemandem etwas Gutes zu tun, ist meist harte Arbeit.
Worin liegt die Faszination des „Konsumenten“am Bösen, an Kriminalfällen? Ich verstehe das nicht ganz. Es stapeln sich reihenweise Krimis in Buchhandlungen. Eine mögliche Erklärung: Es ist so lange spannend, solange es mich nicht betrifft. Man konsumiert, was man im Leben selbst nicht haben will. Das mag eine gewisse Genugtuung sein. Ich lese zwar viel, aber keine Krimis (lacht). Krimis sind wie Selbstläufer im Bereich der Fernsehquoten. Man muss aber sagen, dass dabei viel transportiert wird. Das geht immer stärker in den psychologischen Bereich.
Kommen Sie noch oft ins Lavanttal? Zweimal im Monat. Meine Eltern sind aus Jakling, meine Frau kommt aus St. Margarethen. Hier bin ich verwurzelt.
Was schätzen Sie am Lavanttal besonders? Das ist meine Heimat, hier lebt man in einer Entschleunigung. Manchmal habe ich das Stadtleben satt, dann komme ich gerne her. Das hat Qualität. Und meine Kinder sind auch gerne hier.