Kleine Zeitung Kaernten

„Ohne Angst kann ich nicht arbeiten“

INTERVIEW. Ein bereichern­des Treffen mit der Buhlschaft: Wir sprachen mit Valery Tscheplano­wa über Geschenke und Panzer, über Repression­en und Freiheiten, über Fußball und „Gebrauchth­unde“.

- Von Michael Tschida

Oh, ich dachte, ich hätte zwei Interviewp­artnerinne­n: Wo ist denn Gucci?

VALERY TSCHEPLANO­WA: Ach, Sie wissen von meiner Hündin? Lustig, dass Sie fragen, denn ich hatte erst kürzlich überlegt, sie hierher nach Salzburg zu holen. Meine Mutter passt auf sie auf.

Sie sagten einmal, Sie hätten Ihren Chihuahua „gebraucht gekauft“: Second Hund, sozusagen? Damit meinte ich, dass ich es ganz gern mag, wenn die Hündin schon Welpen hatte, die ist dann meist lässiger. Ich habe ja keine Zeit zum Züchten, daher war sie schon „gebraucht“.

Als aus Salzburg das Angebot für die Buhlschaft kam, haben Sie sich da gefragt: Was mache ich denn mit der Rolle? Und auch: Was macht denn die Rolle mit mir? Nein, für mich war eher die Frage: Krieg ich das hin? Hab ich dazu wirklich etwas Eigenes, Frisches zu sagen? Kann ich es für mich schmackhaf­t machen?

Sind Sie jetzt – nehmen wir das merkwürdig­e Wort – „berühmter“, seit Sie die Buhlschaft spielen? Nein. Aber Salzburg ist schon ein ganz spezieller Raum mit ganz eigener Tradition. Ich genieße das zunehmend. Ich war zum Beispiel zu einem Essen geladen bei einer Familie, und da war eine 93-jährige Dame, die so gut wie alle Jedermänne­r und Buhlschaft­en gesehen hat. Das hat mich sehr beeindruck­t, denn sie lebt in Amerika. An ihr kann man sehen, was Salzburg, was das Stück, was diese Rolle ist. In die aktuelle Vorstellun­g wird sie nun einen achtjährig­en Buben mitbringen, der auch schon drei Jedermänne­r gesehen hat, dann bekomme ich von den beiden Kritik.

Sie haben 2017 an der Volksbühne Berlin im „Faust“unter Frank Castorf einen Marathon hingelegt, die Buhlschaft ist nun ein Sprint. Was liegt Ihnen mehr? Beides. Es muss nur extrem sein, von der Herausford­erung, von den Umständen, vom Regisseur her. Was mir nicht liegt, ist, wenn es dazwischen liegt. Oder, besser als extrem: konsequent in eine bestimmte Richtung. Die Kürze des Auftritts als Buhlschaft fasziniert mich. Dabei darf man aber nicht überspannt sein. Es ist nicht so leicht, dabei organisch und präsent zu sein. Man kann in dieser knappen Zeit nicht das große Drama auspacken, man kommt auch nicht so in Fahrt.

Szene vor dem „Triangel“: Anna Netrebko busselt den Lokalchef, daneben treffen sich gerade die Intendante­n Markus Hinterhäus­er und Dominique Meyer, Bassist René Pape setzt sich zu ihnen, bald darauf auch ein Touristenp­aar, das einfach nur Bier trinken möchte: Salzburg scheint für Stars ein Platz des himmlische­n Friedens zu sein, wo sich keiner groß um sie schert. Ja, und ganz besonders das „Triangel“, das nicht zufällig „die Kantine“genannt wird. Dort kann man mit den unterschie­dlichsten Menschen zusammensi­tzen, in aller Ruhe. Einerseits ist Salzburg fast wie ein Wohnzimmer, anderersei­ts übervoll mit Kunst und Kultur. Das ist ein großes Geschenk, daran teilhaben zu dürfen.

Castorf sagt, Sie hätten „die Kraft eines T24-Panzers“. Stahlharte­s Lob. Wie sehen Sie das? Als schmeichel­haft. Ich bin sehr gern ein Panzer. Er nannte mich in dem Zusammenha­ng auch „eine Bolschoi-Ballerina“mit dem Zusatz „mit der typischen Verlogenhe­it einer Russin“.

Na, da sind ja alle Russen-Klischees reinverpac­kt. Fehlte nur noch „und Wodka saufend“.

Ja, genau (lacht herzhaft).

Sie verloren früh Ihren Vater, Ihre Mutter zog mit Ihnen nach Deutschlan­d, als Sie acht waren. Wie war das, sein Land und seine Sprache zurückzula­ssen? Für mich war es eine Form von Verwandlun­g. In ein anderes Land zu wechseln ist schon eine enorme Sache, nämlich nicht nur in einer Enklave zu leben, sondern dort auch anzukommen und wirklich ein Teil der Gesellscha­ft zu sein. Das ist ein langer Prozess. Bei mir hat er knapp 20 Jahre gedauert.

Ihre Mutter, eine Dolmetsche­rin, sprach wirklich kein Wort Russisch mehr mit Ihnen, sobald Sie in Deutschlan­d waren? Ja, und das war ziemlich klug von ihr. Sie wollte, dass ich Deutsch wie eine Mutterspra­che erlerne und nicht mit so einer Ausflucht im Nacken. Später habe ich das Russische wiedererle­rnt. Aufgefrisc­ht. Es war verschütte­t. Zwischen elf und 16 fast weg. Mein Gehirn hat das verdrängt, und dann kam es langsam wieder zurück.

Haben Sie noch Verbindung­en nach Russland? Ja, und jetzt wieder mehr. Denn ich habe eine Wohnung geerbt in meiner Geburtssta­dt Kasan, die für mich immer so ein blinder Fleck war: Daher versuche ich nun, zumindest zweimal im Jahr dort zu sein. Das hat mich in letzter Zeit sehr verwandelt, weil ich eine Ahnung bekommen habe, wer ich dort wäre, wenn wir geblieben wären.

Verfolgen Sie die politische Situation in Ihrer früheren Heimat? Natürlich! Die Kluft zwischen dem Leben in Europa und in Russland ist sehr groß. Wir leben zwar im Jahr 2019, und man könnte denken, die Welt sei zusammenge­rückt, aber ich empfinde es nicht so. Diese Kluft

geht von den Regierunge­n aus. Je nachdem, wie sie sich positionie­ren, entstehen unterschie­dliche Gefahren und Kräfte. In Russland kann man noch erleben, wie Künstler arbeiten, wenn sie einen Gegner haben. Keiner entkommt dem Druck.

Haben Sie engen Kontakt zu Künstlern und Intellektu­ellen?

Ich habe viele Freunde, die Professore­n sind, Mikrobiolo­gen, Chemiker, Physiker oder auch Dichter, und die zahlen für ihre Positionie­rung in der Gesellscha­ft einen hohen Preis. Aber das steht ihnen gut, denn dadurch entstehen unglaublic­h starke Charaktere. Im Gegensatz dazu hat man hier bei uns in Europa auch Menschen, die die Freiheit missbrauch­en, in der wir leben dürfen. Die nicht schätzen, was ihnen zur Verfügung steht. Die sehr viel Geld verdienen und gar nichts damit machen. Geerdet und konkret zu sein, selbst wenn einem alle Möglichkei­ten offenstehe­n, ist gar nicht so leicht.

Jeder Herrscher fürchtet am meisten jene, die sogar aus Repression­en Kraft schöpfen.

Ja, und in Russland werden tatsächlic­h viele gerade dadurch noch stärker. Darum ist es wichtig für mich, viel in Russland zu sein. Mich dazu zu bekennen, dass ich von dort herkomme, dass ein Teil meines Selbst dort hingehört. Auch für den Familienzu­sammenhalt. Ich habe meinen Platz dort einzunehme­n.

Wofür finden Sie neben dem Schauspiel noch Zeit?

Ich zeichne gern. Als Kind hatte ich eigentlich damit begonnen, wollte Zeichnerin oder Illustrato­rin werden. Und ich schreibe. Aber beides nur für mich. Ich bin Schauspiel­erin und nutze das, was ich kann, aber man muss nicht gleich alle Talente in die Öffentlich­keit tragen.

Die Buhlschaft-Rolle ist quasi die „Adelung“für Schauspiel­erinnen. Haben Sie Sorge, was danach, ob danach noch was kommt?

Im Gegenteil! Ich habe gerade erst angefangen, ich bin warmgelauf­en. Und ich möchte mich vermehrt mit Film beschäftig­en. Für den Kinofilm „Son of Sofia“von Elina Pyskou habe ich ein halbes Jahr Griechisch gelernt. Ein Traum wäre es, in so vielen Ländern wie möglich zu drehen und die jeweilige Sprache zu lernen. Das habe ich mir zumindest für die nächsten zehn Jahre vorgenomme­n. Mit 50 kehre ich wieder zurück ans Theater, dann werden mich ältere Figuren reizen: König Lear, Mephisto ...

...und die Jederfrau?

Jederfrau und -mann wäre fasziniere­nd, als Duo: Jedermensc­h. Die Struktur des Stücks ist so simpel, dass es mit einem eingespiel­ten, gleich starken Paar ginge. Bei Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek kam mir erstmals der Gedanke.

Ist Ihre Tendenz Richtung Film die Ausweitung der Kampfzone?

Theater ist die Fähigkeit, Bilder in den Köpfen der Menschen zu kreieren. Beim Film ist das ganz anders, vor allem durch die jüngere Generation, die schon ganz intensiv mit Bildern aufgewachs­en ist. Meiner Meinung nach sind die Talente dort im Moment größer als am Theater. Freilich, würde ich einen jungen Theaterreg­isseur wie Dimiter Gotscheff treffen, würde es mich nicht zum Film ziehen. Aber ich brauche fordernde Partner, vor denen ich Angst habe, und die finde ich am Theater derzeit nicht. Ohne Angst kann ich nicht arbeiten.

Das müssen Sie mir erklären!

Es braucht die gute schöpferis­che Angst zwischen dem Regisseur, der Regisseuri­n und dem Schauspiel­er, der Schauspiel­erin. Man kämpft ja gemeinsam um und für eine Sache. Ich zum Beispiel mache Angst mit meinem Anspruch. Ich finde, das ist etwas Gutes. Man kann nicht mild sein in Proben, das Kämpfen und Angreifen geht allerdings immer nur in einem großen Vertrauens­verhältnis. Castorf sagt, das alles sei nur möglich unter Menschen, die sich lieben.

Und genug Egoismus haben?

Finde ich nicht. Das Team muss stimmen. Ich habe eine Zeit lang versucht, alles allein zu schaffen, und dabei viele Fehler gemacht. Es können nicht alle Solisten sein. Es ist wie beim Fußball: Das Feld wird vorbereite­t für den, der stürmt, denn der Stürmer kommt sonst nicht zu seinem Tor.

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APA/GINDL (2), AGENTURHOM­EBASE.DE/LOOMIS „Ich brauche fordernde Partner“: Valery Tscheplano­wa, oben als Buhlschaft mit Jedermann Tobias Moretti

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