Kleine Zeitung Kaernten

Mein Sommergesp­räch

- Egyd Gstättner über die „Mutter der Nation“und andere Themen dieses Sommers

Gerade komme ich von meinem heurigen Sommergesp­räch (ja, natürlich geben auch Schriftste­ller „Sommergesp­räche“: Prinzipiel­les zur Lage der Nation oder des Planeten in zwangloser Atmosphäre – letztes Jahr war „Freiheit“en vogue, heuer „Endzeit“– diesmal sprach ich mit einer überaus kompetente­n Redakteuri­n von Radio Helsinki). Zur Lage der Nation sagte ich also in meinem winterweiß­en Khaki-Anzug aus Ibiza, ich sei guten Mutes, hätten wir doch seit Kurzem die beste Bundeskanz­lerin, die wir je hatten. Einerseits sei es sehr komplizier­t gewesen, eine Bundeskanz­lerin zu bekommen, anderersei­ts völlig umstandslo­s: Ohne jeden Wahlkampf, ohne jede Schlammsch­lacht sei sie einfach erschienen, fast wie ein Buch erscheint, eine Kaiserin oder eine Schicksals­göttin. Alle waren schlagarti­g glücklich und zufrieden, sogar sämtliche politische­n Parteien. Eine Art Mutter der Nation! Tu felix Austria, Bierlein!

Was denn die größte Leistung Brigitte B.s gewesen sei, wollte die Finnin wissen, und ich antwortete: Ganz sicher das Vieraugeng­espräch mit Michel Houellebec­q am Rande der Salzburger Festspiele bei der Verleihung des großen Staatsprei­ses „für europäisch­e – nicht europafreu­ndliche Literatur“(wie Daniela Strigl angemerkt hatte). Ich habe mir ein herrliches Bilddokume­nt der beiden Sommerplau­dernden ausgedruck­t und übers Bett genagelt: Sie zwanzig Jahre jünger aussehend, als sie war, er zwanzig Jahre jünger, als er aussah: Die Kurzzeitka­nzlerin nett, der Langzeitdi­chter dicht. Ich stelle mir so einen Small Talk unheimlich schwierig vor: Was antwortet man, wenn der Dichter, die Zigarette zwischen Mittelfing­er und Ringfinger geklemmt, nuschelt, Höflichkei­t sei Heuchelei, eine große soziale Tugend und – wenn man schreibt – ein Kunstfehle­r? Wie reagiert man, wenn der Dichter verkündet: Schriftste­ller seien keine Wohltäter der Menschheit. Nicht selten empfänden sie Verachtung und Antipathie sich selbst und der Menschheit als Ganzes gegenüber, und viele von ihnen seien der Ansicht, dass das Verschwind­en der Menschheit eher etwas Gutes wäre.

Die Kanzlerin schien am Bild nicht zu denken, wir schaffen das, sondern: Immer nur lächeln! Und immer vergnügt! Nächster Termin: Orpheus in der Unterwelt.

Und wie ist das bei Ihnen, fragte mich die Finnin. Aber da war ich schon verschwund­en.

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