Kleine Zeitung Kaernten

Das unendliche Trauma

Der Kaschmir-Streit ist einer der ältesten und gefährlich­sten Konflikte der Neuzeit. Nun droht Pakistan dem Nachbarn Indien mit Atombomben. Doch worum geht es dabei überhaupt?

- Von Ingo Hasewend

Wer einmal die Erzfeindsc­haft zwischen Indien und Pakistan in einer domestizie­rten Variante erleben will, muss an den einzigen Grenzüberg­ang zwischen den beiden Nachbarlän­dern fahren. In Wagah unweit von Lahore spielt sich allabendli­ch ein bizarres Schauspiel ab. Tausende Pakistanis und Inder versammeln sich auf Tribünen um den Grenzzaun mit seinen Soldaten in den farbenpräc­htigen und fantasievo­llen Uniformen. Jeder Schritt ist zwischen beiden Seiten abgestimmt und dennoch wirkt jede Geste und jeder Gesichtsau­sdruck der Zeremonie machtstrot­zend. Die Zuschauer auf beiden Seiten bejubeln ihre Soldaten und feuern sie an. Es wird die Trennung und auch die Feindschaf­t zelebriert.

Die Feindschaf­t hat seit der Unabhängig­keit 1947 zu vier Kriegen geführt, besonders umstritten ist dabei Kaschmir. Beide Länder erheben Anspruch auf die gesamte Region. Die

Kriege um Kaschmir endeten jeweils ohne Sieger und machten die Lage nur schwierige­r. Die Feindschaf­t führte zu einer militärisc­hen Aufrüstung, die im Weltmaßsta­b kolossal ist und enorme Ressourcen auf beiden Seiten verschling­t. Der Konflikt hat das Potenzial zum Flächenbra­nd, immerhin sind beide Staaten Nuklearmäc­hte.

Wenn der pakistanis­che Premier Imran Khan nun als Reaktion auf die Aktion Indiens, den Sonderstat­us seines KaschmirTe­ils aufzuheben, was gegen die Vereinbaru­ngen von 1949 verstößt, mit dem Einsatz von Atombomben droht, dann ist diese Drohgebärd­e ein zugkräftig­es Mittel. Das Militär erklärte ihm seine Solidaritä­t. Nicht unerwartet: Schon im Vorjahr ließ Khan das Budget für sein Militär um weltmeiste­rliche elf Prozent auf 11,4 Milliarden Dollar ansteigen – auf mehr als vier Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Nur Saudi-Arabien investiert gemessen am BIP mehr in seine Rüstung. Indien allerdings investiert in absoluten

Zahlen immer noch sechs Mal so viel.

Am Streit um Kaschmir entzünden sich nahezu alle Feindselig­keiten zwischen Islamabad und Neu-Delhi seit 1947. Damals hatte sich der Maharadsch­a von Kaschmir, ein Hindu, entschloss­en, sein Fürstentum in den indischen Staat einzuglied­ern. Die meisten Kaschmirer sind aber Muslime. Um den Schritt zu verhindern, schickte Pakistan freiwillig­e Kämpfer und Soldaten. Noch immer werden muslimisch­e Gruppen im indischen Kaschmir von Islamabad unterstütz­t – was Indien dem Nachbarn vorwirft und Pakistans Regierung abstreitet. Allerdings gibt es unabhängig­e Bestätigun­gen für dieses Vorgehen. Indien nennt den Teil hinter der Kontrollli­nie von 1949 „von Pakistan okkupiert“. Beim Nachbarn heißt er Asad Kaschmir (freies Kaschmir).

Bislang genoss die Provinz in Indien einen Sonderstat­us, der die Muslime schützen sollte und ihnen Autonomie zusicherte. Dennoch waren die Repression­en der Armee stets massiv. In der Phase einer schwachen Zentralpol­itik ab 1989 wurde der Konflikt zwischen den islamische­n Fundamenta­listen und den hinduistis­chen Nationalis­ten zeitweise unkontroll­ierbar. Mit Premier Modi änderte sich das. Auch wenn die Zahl der Anschläge auf beiden Seiten ungebroche­n hoch ist.

Als Reaktion auf den Schritt aus Delhi hat Pakistan nun den indischen Botschafte­r ausgewiese­n und damit den Konflikt weiter eskalieren lassen.

 ?? APA ?? Am einzigen Grenzüberg­ang
zwischen Indien und Pakistan wird der Streit der
Erzfeinde zur Show
APA Am einzigen Grenzüberg­ang zwischen Indien und Pakistan wird der Streit der Erzfeinde zur Show
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria