Kleine Zeitung Kaernten

„Handys kosten Kinder Jahre der Entwicklun­g“

Im Interview verteilt die Bildungsmi­nisterin Hausaufgab­en für die nächste Regierung: Österreich habe ein Problem, sozial benachteil­igte Kinder in sein Schulsyste­m zu integriere­n – und zwar keineswegs nur solche „aus dem migrantisc­hen Eck“.

- INTERVIEW. Von Georg Renner

Frau Rauskala, Sie sind jetzt seit etwas mehr als zwei Monaten Ministerin. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

IRIS RAUSKALA: Unglaublic­h viel. Wenn man aus der Präsidials­ektion kommt, hat man den Fokus auf die administra­tiven Abläufe, aber hier im Amt sieht man viel stärker, wie das System wirkt. Von der Elementarp­ädagogik bis hin zum Forschungs­system, dieser gesamte Bildungsbo­gen ist schon sehr beeindruck­end.

Das ist sehr abstrakt. Was sieht man denn aus dieser gesamthaft­en Perspektiv­e besser?

Zum Beispiel den größeren Bogen des Wohlfahrts­systems, zu dem die Bildung gehört. Dass Bildung natürlich für jeden Einzelnen wahnsinnig wichtig ist, dass wir aber auch als Gesellscha­ft größtes Interesse an Inklusion in das Bildungssy­stem haben, daran, dass so viele Menschen wie möglich gut gebildet sind. Weil sich das nicht nur auf die spätere Erwerbstät­igkeit, auf Steuer- und Pensionsza­hlungen auswirkt – sondern zum Beispiel auch auf das Gesundheit­ssystem. Gebildete Menschen sind besser in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Das sind wesentlich­e Faktoren, die wir in die Bildungsdi­skussion grundsätzl­ich einbauen müssen.

Gerade bei der Inklusion hinkt Österreich im internatio­nalen Vergleich hinterher – Bildungser­folg ist kaum in einem anderen entwickelt­en Land so sehr vom Elternhaus abhängig wie bei uns.

Da gibt es aus meiner Sicht durchaus Hausaufgab­en, die die Politik zu erledigen hat. Der Befund, den Sie erwähnt haben, ist seit längerer Zeit bekannt und man versucht auch seit längerer Zeit, etwas zu tun. Wir müssen hier noch den Schritt weitergeda­mit wir so nah wie möglich an jedes einzelne Kind herankomme­n. Es ist extrem wichtig, jedes einzelne Kind dort abzuholen, wo es ist.

Das ist doch eine hohle Phrase. Was konkret muss sich ändern?

Wir müssen an jene Kinder besser herankomme­n, deren Eltern nicht so gut in der Lage sind, das Kind zu fördern. Es ist in den letzten Jahren nicht gelungen, diese Lücken zu schließen. Das fängt damit an, dass wir Förderbeda­rf vernünftig feststelle­n und dann individual­isierte, verpflicht­ende Maßnahmen ableiten. Das betrifft nicht nur das migrantisc­he Eck, der sozioökono­mische Hintergrun­d der Eltern ist entscheide­nd.

Geht das bis zum komplett verpflicht­enden Kindergart­en?

Wir verlieren bereits nach der Volksschul­e viele Kinder. Wir müssen also so früh wie möghen,

lich beginnen, Kinder ins Bildungssy­stem einzubinde­n. Die ersten Maßnahmen müssen schon im Kindergart­en greifen – und wichtig ist, die Schnittste­llen in den Griff zu bekommen. Wir haben derzeit keine verpflicht­ende Datenweite­rgabe zwischen Kindergart­en und Volksschul­e, sodass man wieder von vorn anfangen muss.

Braucht es ein weiteres verpflicht­endes Kindergart­enjahr?

Wichtig wäre, das zweite Kindergart­enjahr für Kinder verpflicht­end zu machen, bei denen man Defizite feststellt. Wir dürfen Handys nicht vergessen, diese Dinger haben eine unglaublic­he Wirkung auf die Entwicklun­g. Kinderärzt­e warnen schon: Wenn Kinder früh Bildschirm­e in die Hand gedrückt bekommen, macht das im Kindergart­enalter Entwicklun­gsuntersch­iede von bis zu zwei Jahren aus.

Der Staat kann ja Eltern nicht vorschreib­en, ob und wie oft sie ihre Kinder vors Handy setzen.

Das ist richtig, aber man versucht es natürlich dezent. Wir versuchen in diesem Bereich der Elementarp­ädagogik, stärker mit pädagogisc­hen Konzepten einzuwirke­n. Und eben damit, ein zweites verpflicht­endes Kindergart­enjahr einzuführe­n.

Das ist eine Gratwander­ung.

Man kommt da sehr, sehr rasch in die private Lebensführ­ung von Eltern. Wir wissen, der Stress nimmt in allen gesellscha­ftlichen Schichten permanent zu. Und Eltern sind wahrschein­lich auch zunehmend froh und glücklich, wenn sie wissen, ihr Kind ist in guter pädagogisc­her Betreuung.

In den Bildungsde­batten der letzten Monate ging es oft um Detailfrag­en: Ziffernnot­en – ja oder nein, Ethikunter­richt ... Haben Sie das Gefühl, dass das Bewusstsei­n in der Politik für den großen Bildungsbo­gen da ist, den Sie angesproch­en haben?

Ich denke schon. Wir haben uns in den letzten Jahren sehr auf institutio­nelle Debatten eingelasse­n, die nicht zwangsläuf­ig das Gelbe vom Ei sind. Wenn wir bereits in der Volksschul­e Kinder aus sozioökono­misch benachteil­igten Familien verlieren, ist die Gesamtschu­ldebatte obsolet – die Volksschul­e ist ja eine Gesamtschu­le. Wichtiger ist die Abstimmung der Systeme aufeinande­r – gerade im Hinblick auf frühkindli­che Entwicklun­g müssen wir auch versuchen, die Sozial- und Gesundheit­ssysteme und das Bildungssy­stem besser miteinande­r abzustimme­n, sodass wir Kinder so gut wie möglich abfedern.

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CHRISTOPH KLEINSASSE­R, ADOBE STOCK/MAYGUTYA, OLIVER WOLF
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CHRISTOPH KLEINSASSE­R (5) Rauskala: „Durch Handys können Kinder Jahre in der Entwicklun­g verlieren“
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