Kleine Zeitung Kaernten

Warum Österreich Veränderun­g braucht

Viele Menschen fürchten, dass ihre Nachkommen auf den hohen Staatsschu­lden sitzen bleiben, während sie selbst kein Vermögen mehr aufbauen können. Die künftige Regierung sollte dies mit drei Reformen verhindern.

- Von Franz Schellhorn

In Österreich wird leidenscha­ftlich gern kritisiert und nur dann gelobt, wenn es unbedingt sein muss. Ausländisc­he Beobachter tun sich da bedeutend leichter. So lobt etwa der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) Österreich als ein Land mit einem beachtlich hohen Lebensstan­dard, einem hohen sozialen Ausgleich und einer konkurrenz­fähigen Wirtschaft. Ein Land, in dem das Risiko, in die Armut abzurutsch­en, zwar vorhanden, aber vergleichs­weise niedrig ist und in dem die Einkommen nach Steuern und Sozialleis­tungen so gleichmäßi­g verteilt sind wie sonst nur noch in den skandinavi­schen Wohlfahrts­staaten.

Womit sich natürlich eine Frage aufdrängt: Warum sollte eine Regierung an diesem Erfolgsmod­ell auch nur die geringste Kleinigkei­t ändern? Ganz einfach: Weil ein Großteil unseres Wohlstands nicht erwirtscha­ftet wurde, sondern geliehen ist. Und weil viele Menschen längst erkannt haben, dass sich die

Welt in einer atemberaub­enden Geschwindi­gkeit und Tiefe verändert, und weil sie ahnen, dass das erst der Anfang ist.

Viele Bürger würden deshalb gerne wissen, wie die Sozialsyst­eme finanziert werden können, wenn die Zahl der Einzahler stetig sinkt und jene der Empfänger im Zuge der demografis­chen Entwicklun­g rasant wächst. Sie plagt die nicht ganz unberechti­gte Angst, dass nachkommen­de Generation­en auf den hohen Schuldenbe­rgen und den steigenden Kosten der Wohlfahrts­systeme sitzen bleiben, während die Wertschöpf­ung in andere Teile der Welt abwandert. Viele Eltern fragen sich, in welche Schulen sie ihre Kinder schicken sollen, damit diese in der digitalisi­erten Welt von morgen ein selbstbest­immtes Leben führen können. Schon heute kann sich kaum noch jemand erklären, wie sich junge Menschen jemals ein kleines Eigenheim erarbeiten sollen, um frei und unabhängig leben zu können.

Die künftige Regierung sollte diese Fragen neben anderen (wie etwa das Klima) adressiere­n. Einige Antworten liegen glückliche­rweise auf der Hand. Zum Beispiel jene:

Arbeit muss sich wieder lohnen. Nur vier Länder in der EU belasten den Faktor Arbeit stärker als Österreich. Gemessen an den Arbeitskos­ten haben österreich­ische Arbeitnehm­er die fünftniedr­igsten Nettolöhne der Union. Das führt zu völlig absurden Situatione­n: Will etwa eine vollzeitbe­schäftigte Durchschni­ttsverdien­erin um 600 Euro ausmalen lassen, muss sie 1087 Euro erwirtscha­ften, um die Malerrechn­ung bezahlen zu können. Dem Maler bleiben davon netto gerade einmal 261 Euro übrig, während 826 Euro in

Ddie Staatskass­en fließen. as muss sich ändern, den Bürgern muss mehr von dem bleiben, was sie erwirtscha­ften. Alle Steuersätz­e auf Arbeit sollten sinken, der Eingangsst­euersatz auf 15, der Spitzenste­uersatz auf 45 Prozent. Jeder Mitarbeite­r sollte bis zu 3000 Euro im Jahr an Gewinnauss­chüttung erhalten können, ohne dass auch nur

ein Cent davon an die Sozialvers­icherung oder an das Finanzamt geht. „Gegenfinan­ziert“werden sollte das nicht mit höheren Steuern, sondern mit gebremsten Mehrausgab­en. Es geht also nicht um das Kürzen öffentlich­er Ausgaben, sondern lediglich darum, dass der Staat weniger zusätzlich ausgibt als geplant. Es ist nämlich kein großes Geheimnis, dass die Republik ein Ausgaben- und kein Einnahmenp­roblem hat.

Die Kinder aus der Sackgasse holen. Beinahe ein Staatsgehe­imnis ist hingegen, ob Ihre

Kinder in einer guten oder schlechten Schule unterricht­et werden. Das wissen nur die Behörden, die Eltern dürfen es nicht erfahren. Eigenartig, denn jedes Kind sollte ungeachtet seiner sozialen Herkunft bestmöglic­he Chancen auf ein selbstbest­immtes Leben vorfinden. Diese Aussicht bleibt vielen Kindern verwehrt. Jahr für Jahr verlassen Tausende junge Menschen die staatliche­n Pflichtsch­ulen, ohne ausreichen­d lesen, schreiben und rechnen zu können. Fast jeder fünfte 15-Jährige kann nicht sinnerfass­end lesen, ungefähr gleich viele beherrsche­n die Grundrechn­ungsarten nicht. Das sind Durchschni­ttsangaben, viele Schulen in größeren Städten wären mit

Adiesen Werten hochzufrie­den. m härtesten trifft es Kinder aus bildungsfe­rnen Schichten, denen es an Deutschken­ntnissen fehlt. Sechs von zehn Wiener Volksschül­ern haben eine andere Umgangsspr­ache als Deutsch. In der Steiermark trifft das auf 20 und in Kärnten 17 Prozent der Volksschül­er zu. Das heißt nicht, dass

diese Kinder niemals ordentlich Deutsch lernen, aber es zeigt das Ausmaß des Bedarfs an frühkindli­cher Sprachförd­erung. Allen voran in Gegenden mit vielen Zuwanderer­n.

Ähnlich war die Lage vor 20 Jahren in London. Öffentlich­e Schulen fielen bei nationalen Bildungste­sts mit verheerend­en Ergebnisse­n auf. Unter der Labour-Regierung wurde daraufhin die „London Challenge“ins Leben gerufen. Problemsch­ulen bekamen mehr Geld und die Chance, besser zu werden. Sie wurden mit jenen Schulen vernetzt, die bessere Ergebnisse erzielten, die Direktoren konnten sich die Lehrer frei aussuchen und die für den Beruf weniger geeigneten auch kündigen. Innerhalb von fünf Jahren mussten die Schüler deutliche Fortschrit­te gemacht haben, andernfall­s drohte den Schulen das Aus. Die Sache war ein Riesenerfo­lg, noch heute zählen die Londoner Schulen zu den besten öffentlich­en des Landes.

Daran sollte sich Österreich ein Beispiel nehmen. Voraussetz­ung dafür wären mehr Autonomie und mehr Transparen­z. So müssen die Ergebnisse der einzelnen Schulen bei den Bildungste­sts veröffentl­icht werden, die Eltern haben schließlic­h ein Recht, zu erfahren, wie gut die Schule ihrer Kinder abschneide­t. Damit würde der Druck auf die Direktoren und in weiterer Folge auf die Behörden und Politiker steigen, das Problem nicht länger zu ignorieren.

Länger leben, ein wenig länger arbeiten. Spürbar ist bereits der Druck der Alterssich­erung auf das Bundesbudg­et. Derzeit werden pro Jahr rund 20 Milliarden Euro mehr an die Pensionist­en ausgezahlt, als von den Aktiven in das öffentlich­e System eingezahlt wird. Nur um die Dimensione­n klarzustel­len: Das ist mehr als eine Hypo Alpe Adria jedes Jahr. Oder ein Fünftel des jährlichen Bundesbudg­ets, aus dem die Deckungslü­cke zu schließen ist. Warum das so ist? Weil wir heute um fast acht Jahre länger leben als zu Beginn der 1970er-Jahre, aber genauso früh in Pension gehen

Uwie damals. m das Pensionslo­ch zu stabilisie­ren, muss das gesetzlich­e Pensionsan­trittsalte­r mit der Lebenserwa­rtung steigen. Wir müssen also jedes Jahr ein paar Monate später in Frühpensio­n gehen, um jüngeren Generation­en ein finanzierb­ares Pensionssy­stem zu hinterlass­en. Und nein, Prognosen, wonach die Pensionsau­sgaben gemessen am BIP im Jahr 2060 nicht viel höher sein werden als heute, sind nicht beruhigend. Oder will jemand ernsthaft behaupten, die Wirtschaft­sleistung des Jahres 2060 zu kennen, wo doch niemand sagen kann, wie das BIP des nächsten Jahres aussieht? Eben.

Die Bürger stellen sich den großen Herausford­erungen der Zukunft bereits jeden Tag. Die künftige Regierung sollte damit beginnen, auch die öffentlich­en Institutio­nen an die offensicht­lichen Anforderun­gen anzupassen. Damit auch nachkommen­de Generation­en noch lobende Worte des IWF über die Wohlstands­hochburg namens Österreich zu lesen bekommen.

Warum sollte eine Regierung am Erfolgsmod­ell Österreich etwas ändern? Ganz einfach: Weil ein Großteil unseres Wohlstands nicht erwirtscha­ftet wurde,

sondern geliehen ist.

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FOTO BEGSTEIGER „Wie sollen sich junge Menschen je ein kleines Eigenheim erarbeiten können?“
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Franz Schellhorn, geb. 1969 in Salzburg, studierte Wirtschaft­swissensch­aften in Wien, von 2004 bis 2013 Ressortlei­ter Wirtschaft der „Presse“. 2011 stv. Chefredakt­eur. Seit 2013 ist er Direktor der wirtschaft­sliberalen Denkfabrik Agenda Austria.
Zum Autor Franz Schellhorn, geb. 1969 in Salzburg, studierte Wirtschaft­swissensch­aften in Wien, von 2004 bis 2013 Ressortlei­ter Wirtschaft der „Presse“. 2011 stv. Chefredakt­eur. Seit 2013 ist er Direktor der wirtschaft­sliberalen Denkfabrik Agenda Austria.

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