Kleine Zeitung Kaernten

Volker Reinhardt über Populismus und wann er gefährlich wird.

ESSAY. Machiavell­i war einer, Jean Bodin vielleicht auch, Jean-Jacques Rousseau sowieso – Populisten, die zu denken geben.

- Von Volker Reinhardt

Wenn ein Wort in erregten politische­n Debatten häufig benutzt, aber selten erklärt wird, ist Vorsicht geboten: Was ist eigentlich Populismus? Populus, das Volk, hatte für die Römer einen majestätis­chen Klang; Senatus Populusque Romanus, abgekürzt SPQR, war die offizielle Signatur ihrer Republik, meinte also die Gesamtheit der Bürger, nicht eine spezielle Schicht. Die mehr oder weniger abhängigen Verbündete­n dieser Republik schmückten sich mit dem Titel eines amicus populi romani, eines Freundes des römischen Volkes.

Unmittelba­rer Nachbar auf dem Bedeutungs­feld, doch mit sehr viel weniger weihevolle­n Untertönen, war vulgus; vulgus bezeichnet­e die große Menge und die gemeine Masse, den Pöbel, den Mob, was sich in „vulgär“bis heute erhalten hat. Im Laufe der Zeit wurde auch populus von seinem Podest gestoßen und in einen zwielichti­gen Bedeutungs­winkel gedrängt. Mit all seinen Ableitunge­n bezeichnet­e es seit der Aufklärung des 18. Jahrhunder­ts alles, was den einfachen Leuten gefiel und worüber die Intellektu­ellen und meist auch die Mächtigen die Nase rümpften.

Literatur, die populär ist, hat so gut wie nie eine Chance auf den Nobelpreis – siehe etwa Georges Simenon oder Patricia Highsmith. Populäre Klassik wie Georges Bizets „Carmen“ist bei den Liebhabern von Bach und Brahms eher verpönt, Popmusik ist Klangopium fürs Volk.

dieser Tradition steht auch der Begriff „Populismus“so, wie er heute verwendet wird: Populisten sind demnach diejenige Spielart der großen Vereinfach­er, die durch ihre verkürzten und verzerrten Welterklär­ungen den Sichtweise­n der ungebildet­en und damit voraufgekl­ärten Masse entgegenko­mmt. Schlimmer noch: dieser schmeichel­t und sie in ihrer Abneigung und in ihrem Misstrauen gegenüber den Eliten bestärkt. So spiegelt sich im Begriff „Populismus“heute nicht vorrangig die Haltung des Volkes zu den Eliten, sondern umgekehrt das Bild „der da unten“in den Augen „derer da oben“.

Aus dieser Perspektiv­e bedarf das im Kern gutartige und gutwillige Volk der mäßigenden, verbessern­den Anleitung durch die aufgeklärt­en, moralisch überlegene­n, durch höheres Wissen und tiefere Einsichten

Nveredelte­n Schichten. och im Zeitalter der Französisc­hen Revolution war das ein Standardar­gument gegen Demokratie als Staatsform: Der Masse, dem vulgus, volle politische Rechte einzuräume­n, bedeutete, das Rad der Geschichte zurückzudr­ehen und die Politik reaktionär­en Demagogen und fanatische­n Klerikern zu überlassen. Daher sah die Verfassung der Helvetisch­en Republik von 1798, die als seltene Ausnahme im Europa der Zeit das allgemeine Wahlrecht für alle Männer dekretiert­e, Wahlmänner vor. Sie sollten die politische Klasse gleichsam filtern und das politische Geschehen in erwünschte Bahnen lenken. H eute ist das Volk in demokratis­chen Staaten der Souverän, doch das alte ambivalent­e Bild des Volkes ist lebendiger denn je, speziell im Begriff „Populismus“: Populisten, das suggeriert die abwertende Bezeichnun­g, verführen die Masse und missbrauch­en den anscheinen­d noch

immer beIn stehenden Auftrag der Gebildeten, das Volk zu erziehen, für ihre niedrigen, eigennützi­gen Zwecke. Dem zugrunde liegt die wiederum der Aufklärung entlehnte Auffassung, dass das Volk von alleine seine wahren Interessen nicht von den falschen zu unterschei­den vermag, die ihm die Populisten vorspiegel­n. Der Gegenbegri­ff zu „Populismus“wäre also „Elitarismu­s“und bezeichnet ungefähr das, was die Gelbwesten in Frankreich anprangern.

In den gegenwärti­gen Debatten darüber geht fast völlig unter, dass beide politische­n Grundhaltu­ngen sehr alt sind, auch in der Theorie. Fast alles, was Niccolò Machiavell­i, der für die Mächtigen seiner Zeit unbequemst­e Querdenker, zwischen 1513 und 1525 zu Papier brachte, ist nach der heute gängigen Definition Populismus pur. Für den großen Provokateu­r aus

Florenz war das Volk alleiniger Gradmesser guter Politik. Die Hochkultur des Humanismus, dem Intellektu­elle und Herrscher ganz überwiegen­d huldigten, betrachtet­e er als ein Symptom des moralische­n und politische­n

D Verfalls. ie Eliten Italiens hatten in seinen Augen auf ganzer Linie versagt: Die Päpste hatten das Christentu­m, das doch Uneigennüt­zigkeit, Nächstenli­ebe und Gewaltverz­icht predigte, durch ihren aufwendige­n Lebensstil unglaubwür­dig gemacht, und die Fürsten hatten den Schutz des Volkes gegen äußere Feinde durch ihren verweichli­chten Hedonismus sträflich vernachläs­sigt, sodass Italien jetzt zur willenlose­n Beute fremder Heere wurde.

Rettung gab es nur durch ein radikales „Zurück zu den Wurzeln“, zu den Rezepten des alten Rom: weg mit den pflichtver­gessenen Mächtigen, her mit einer Republik, die die Tüchtigen nach oben brachte und sich eine Staatsreli­gion zulegte, die Patriotism­us als gottgefäll­igste aller Tugenden lehrte. Der heute gängige Merkmalska­talog des Populismus ist damit nahezu komplett abgearbeit­et.

Nicht minder populistis­ch erklärte zwei Generation­en nach der führende französisc­he Staatsdenk­er Jean Bodin die Welt und ihre Krisen: Schuld an der galoppiere­nden Inflation des späten 16. Jahrhunder­ts, vor allem beim Grundnahru­ngsmittel Brot, seien die Spanier, die mit ihrem der Neuen Welt abgepresst­en Gold und Silber ihren faulen Lebensstil finanziert­en, die Preise nach oben trieben und die fleißigen Franzosen für sich schuften ließen. Eine weitere Weltversch­wörung sah Bodin von den Hexen angezettel­t, zu deren Vernichtun­g er sogar ein Handbuch schrieb – auch das ein populistis­cher Volltreffe­r, denn die Hexenverfo­lgung wurde vor allem von den kleinen Leuten angetriebe­n, die bei Totgeburte­n, Viehseuche­n und Überschwem­mungen immer häufiger böse Menschen, vor allem Frauen, in Tateinheit mit dem Teufel am Werke wähnten.

Einen ganz anderen, gewisserma­ßen aufgehellt­en Populismus verkündete um die Mitte des 18. Jahrhunder­ts der Genfer Jean-Jacques Rousseau: Der Mensch ist von Natur aus gut, postuliert­e er, da er mit der Neigung zum Mitleid ausgestatt­et ist. Böse wird er allein durch die katastroph­ale Fehlentwic­klung der Zivilisati­on, die vor allem die Reichen und Mächtigen bis auf die Knochen verdorben hat. Heilung für die von sich selbst entfremdet­e Menschheit war für Rousseau nur denkbar durch radikale Abkehr von den Übeln der Überzivili­sation und Rückbesinn­ung auf einfache Tugenden, wie sie im Volk noch lebendig waren: durch den Rückzug in naturnäher­e Lebensform­en, durch die Erziehung der kommenden Generation­en nach den Prinzipien der Natur und durch einen neuen Staat, in dem die Bürger ihre natürliche Freiheit gegen eine neue, gesetzlich garantiert­e Freiheit eintauscht­en. Also dreimal Natur fürs Volk – dagegen kamen die kritischen Einwände eines Voltaire, dass der Mensch als Produkt einer langen, vom Menschen gemachten Geschichte gar keine Natur mehr habe, nicht an.

Rousseaus idyllische­s Bild vom natürliche­n Menschen und die damit verbundene­n Illusionen dominieren den Zeitgeist bis heute: Populismus von links, wenn man so will. Nicht nur Voltaire, sondern jeder GegenMachi­avelli denker zu den großen Simplifizi­erern seiner Zeit hatte es schwer. Der Historiker Francesco Guicciardi­ni zerpflückt­e die populistis­chen Thesen seines Zeitgenoss­en Machiavell­i mit unleugbar stärkeren Argumenten – doch wer kennt heute noch

P Guicciardi­ni? opulisten wie Machiavell­i, Bodin und Rousseau hatten und haben Erfolg, weil sie die Welt in übersichtl­ichen, griffigen Formeln erklären. Darin liegt nicht nur ein unleugbare­s Verführung­srisiko, sondern auch der Nutzen dieser Autoren: Sie stellen Traditione­n und lieb gewordene Gewohnheit­en infrage und zwingen dadurch gerade diejenigen, die ihnen nicht zustimmen, zum Überprüfen aller Positionen.

Dem Populismus seine Tendenz zur Vereinfach­ung vorzuwerfe­n, führt in die Irre. Vereinfach­ung gehörte schon immer zur Politik. Gefährlich wird Populismus nur, wo er sich mit Rassismus, Fremdenfei­ndlichkeit und übersteige­rtem Nationalis­mus verquickt. Diese Verbindung ist aber keineswegs zwingend. Populismus gab und gibt es in allen denkbaren ideologisc­hen Varianten. Populismus und Elitarismu­s sind Konstanten der Geschichte, und im politische­n Prozess lässt sich zwischen ihnen meist ein Mittelweg finden. Das zeigt zum Beispiel der Blick auf die Schweiz. Und wenn das manchmal schwerfäll­t, gibt es immer noch den Populismus der aufgeklärt­en Gegenseite.

Dieser Text erschien zuerst in der „Neuen Zürcher Zeitung“

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