Die Nanny mit der geheimen Passion
Selbstporträts einer beinahe Unsichtbaren: In Triest kann man die Fotografin Vivian Maier kennenlernen.
Sie gilt als eine der besten Fotografinnen der Vereinigten Staaten, als „Zufallsentdeckung“und in ihrer Gesamtheit als Mysterium: Vivian Maier. In der aktuellen von der Spanierin Anne Morin kuratierten Ausstellung widmet sich das Maggazino delle Idee in Triest dieser ambivalenten wie mysteriösen US-Künstlerpersönlichkeit mit österreichischfranzösischen Wurzeln.
„Wir setzen damit nach Terry O’Neill und Robert Doisneau unseren Zyklus mit den großen Namen der internationalen Fotografie fort und würdigen mit Vivian Maier eine führende Vertreterin des Genres Street Photography“, sagt Anna Del Bianco, Generaldirektorin der Erpac (Ente regionale per il patrimonio culturale). In den ersten zwei Ausstellungswochen kamen bereits mehr als 2000 Besucher in das zwischen Stadtkern und Bahnhof gelegene Kulturzentrum.
Dass das 1926 im New Yorker Stadtteil Bronx geborene hauptberufliche Kindermädchen Vivian Maier heute als Star der Straßenfotografie gilt, ist einer reinen Zufallsentdeckung zu verdanken. Immobilienmakler und Dokumentarfilmer John Maloof arbeitete an einem historisch angelegten Buchprojekt. 2007 erstand er zu Recherchezwecken bei einer Zwangsversteigerung eine Kiste mit Film-Negativen der bislang unbekannten Frau; ein Umstand, der das Leben des damals 29Jährigen komplett umkrempeln sollte. Maloof war von der Qualität der Aufnahmen begeistert, fand bei Experten einhellige Zustimmung und recherchierte weiter. Vorläufiger Höhepunkt: Seine Filmdokumentation „Finding Vivian Maier“wurde 2015 in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“für den Oscar nominiert.
Maier hütete ihre obsessiv anmutende Passion für Fotografie
absolutes Geheimnis. Ihre Dienstbotenzimmer in New York und später Chicago hielt sie stets sorgsam verschlossen, das Bad fungierte mitunter als Dunkelkammer.
Der Großteil des umfangreichen Filmmaterials wurde allerdings nie von ihr entwickelt. Ob schlicht das Geld fehlte oder es der „Mary Poppins mit der Kamera“(Anna Del Bianco) nur um das Fotografieren an sich ging, lässt Raum für Spekulationen. Jedenfalls zog es die von ihren ehemaligen Schützlingen und Dienstgebern als „liebevoll“und „streng“, aber jedenfalls „exzentrisch“beschriebene „Nanny“mit ihrer Rolleiflex oder Leica am liebsten in die weniger einladenden Viertel der beiden amerikanischen Großstädte – oft sogar in Begleitung der ihr anvertrauten Kinder. Mit dem ihr eigenen Blick hielt Vivian Maier dort das Alltagsleben fest und schuf so eindrückliche Zeitdokumente. Heute staunt die Expertenwelt über den Nachlass mit dem zum Teil noch unerforschten OEuvre von 150.000 Negativen, 150 Super-8und 16-Millimeter-Filmrollen und zahlreichen Tondokumenten der 2009 in Chicago verstorbenen Fotografin.
Die aktuelle Schau in Triest „The Self-portrait and its Double“legt den Fokus auf einen besonals deren Aspekt im umfangreichen Portfolio der Vivian Maier – ihre Selbstporträts. Über die Jahre fertigte sie immer wieder Eigenaufnahmen in den für sie typischen Bild-Arrangements an. In Zusammenarbeit mit der John Maloof Collection und der Howard Greenberg Gallery New York wird nun erstmals in Italien eine Auswahl präsentiert. 70 Selbstporträts, überwiegend in Schwarz-Weiß, sowie Super-8-Filme und die bemerkenswerte Dokumentation „Finding Vivian Maier“führen die Besucher auf eine bemerkenswerte Kurzreise in das Amerika ab den 1950er-Jahren und geben einen Einblick in die mysteriöse (Schaffens-)Welt einer so facettenreichen wie begnadeten Künstlerpersönlichkeit, die von sich aus wahrscheinlich wohl nie in die Öffentlichkeit getreten wäre.