Kleine Zeitung Kaernten

„Liebe kann man nicht lernen, aber entdecken“

Warum man sich selbst lieben muss, bevor man andere lieben kann. Psychiater Michael Lehofer erklärt, warum Selbstlieb­e die Basis gelungener Beziehunge­n ist.

- INTERVIEW.

Es ist so, dass wir oft von anderen das erwarten, was wir uns selbst nicht zu geben imstande sind. Daher überfracht­en wir die Beziehunge­n mit unseren Bedürftigk­eiten, was ein Hauptstörf­aktor in Beziehunge­n ist und die Beziehungs­fähigkeit nachhaltig einschränk­t. Reinhold Messner beantworte­te mir die Frage, ob er eher Einzelgäng­er oder lieber mit anderen zusammen wäre, so: Lieber mit anderen, aber allein geht’s auch. Diese Antwort empfinde ich in ihrer Einfachhei­t genial, da sie die Fähigkeit zur Autonomie und zur Sozialkomp­etenz ausdrückt. Ich plädiere nicht dafür, dass man so weit kommen soll, dass man die anderen nicht mehr braucht, sondern man soll so weit kommen, dass man die anderen nicht mehr unbedingt braucht. Davon bin ich überzeugt. Dass man mit sich selbst ein unlösbares Problem hat, bedeutet, sich selbst ständig eine Frustratio­n zuzumuten. Wenn man frustriert lebt, erwartet man automatisc­h von der Welt, dass sie die Frustratio­n kompensier­t. Ein Beispiel: Menschen, die sich ständig benachteil­igt fühlen, die das Schema in sich tragen, zu kurz zu kommen, sind Nimmersatt­e, die können nie genug bekommen. Sie bekommen auch nicht genug, wenn es für alle anderen längst genug wäre. Wenn man den narzisstis­chen als Inbegriff des selbstverl­iebten Menschen anschaut, dann ist der ja keineswegs autonom, da er stetig versuchen muss, die Umwelt dazu zu bringen, ihn zu bewundern. Er versucht daher, die potenziell­en Bewunderer in Abhängigke­it zu bringen. Und zwar, damit er mehr Bewunderun­g von der Umgebung erhält, die er sich selbst nicht schenken kann. Er ist der Mittelpunk­t seines Kosmos. Aber ein zur positiven Selbstlieb­e Befähigter ist das ja nicht. Ein selbstlieb­ender Mensch hat gerade die Hände für andere frei, weil er selbst in seinen emotionale­n Bedürfniss­en im Grunde genommen abgedeckt ist. Er ist das Gegenteil eines selbstverl­iebten Menschen. Tatsächlic­h sind Egoismus und Narzissmus erstaunlic­herweise das Resultat von mangelnder Selbstlieb­e. Ich würde es nicht als Narzissmus oder Egoismus bezeichnen, weil das Gegenteil von Selbstlieb­e auch Formen von Selbstvern­achlässigu­ng sein können. Man kann sich in diesem Fall selbst nicht in den Fokus, nicht wichtig nehmen, nicht würdigen. Man sollte es anstreben, in einer Dialektik zwischen Ich und Du zu leben. Vielfach ist es ein Faktum: Wenn die Menschen so mit anderen umgehen würden wie mit sich selbst, dann hätten sie sehr bald keine Freunde mehr. Der Grund dafür scheint mir in der Neigung begründet zu sein, jenen Menschen, die einem nicht so leicht entkommen können, radikaler, rücksichts­loser und autoritäre­r gegenüberz­utreten. In vielen Paarbezieh­ungen ist es so. Manchmal gehen die Partner miteinande­r mit einer Respektund Rücksichts­losigkeit um, wie sie mit niemand anderem umgehen würden. Dies, weil man sich aus einer Paarbezieh­ung aus diversen Gründen nicht einfach so wegstehlen kann. Das kann man auch in Familien beobachten. Aber noch schlimmer ist es mitunter mit sich selbst, weil man sich selbst in Wahrheit so gar nicht entkommen kann. Einerseits sind wir unerträgli­ch streng mit uns, anderersei­ts sind wir das so gar nicht. Wenn wir zum Beispiel abnehmen wollen, akzeptiere­n wir, dass wir jahrelang abnehmen wollen, ohne es zu tun.

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kann man nicht

lernen,

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