Kleine Zeitung Kaernten

Zeitbombe im Boden

Durch den Klimawande­l taut der Permafrost­boden auf. Die Folge könnte eine gewaltige Emission von Treibhausg­asen in kurzer Zeit sein – mit globalen Auswirkung­en.

- ADOBE STOCK, ORF/SUSANNE BERNHARD, AP/KAREN FREY

Wir warnen schon seit den 90er-Jahren“, erklärt Sibyll Schaphoff vom Potsdam-Institut für Klimaforsc­hung. Diese Warnungen beziehen sich auf im Boden gespeicher­ten Kohlenstof­f, Pflanzenre­ste, die seit Jahrtausen­den im Eis des Permafrost­s eingeschlo­ssen waren. Bis jetzt. Denn mit den steigenden Temperatur­en tauen auch die eisigen Ebenen Sibiriens oder Alaskas immer mehr auf. Dann werden Mikroben in den Böden aktiv und beginnen mit der Zersetzung dieser seit Jahrtausen­den tiefgefror­enen Pflanzenre­ste, was wiederum Treibhausg­aße

freisetzt, vor allem auch das starke Treibhausg­as Methan.

Von den rund 149 Millionen Quadratkil­ometer Landfläche auf unserem Planeten sind etwa 23 Millionen Quadratkil­ometer permanent gefroren. Aber mehr als 50 Prozent des gesamten terrestris­chen Bodenkohle­nstoffs sind in diesen Böden eingelager­t, sagt Schaphoff. Das sind 1300 bis 1600 Gigatonnen Kohlenstof­f, ungefähr doppelt so viel wie in der Erdatmosph­äre. Der Beschleuni­gungseffek­t, der durch die emittierte­n Treibhausg­ase in den Permafrost-Regionen entsteht, ist beträchtli­ch: In den betroffene­n Gebieten (siehe Infografik) schreitet die Klimaerwär­mung doppelt so schnell voran wie im Durchschni­tt.

Der Tauvorgang lässt sich ab einem gewissen Erwärmungs­grad nicht mehr stoppen, deswegen gelten die Eis- und Dauerfrost­gebiete als sogenannte Kippelemen­te im Erdsystem. Die Methankonz­entration der Atmosphäre nimmt seit gut zehn Jahren wieder zu. Laut Schaphoff stammen 40 Prozent aus natürliche­n Quellen, 60 Prozent sind von Menschen verursacht.

Die zunehmende Trockenhei­t begünstigt auch in arktischen Breiten Waldbrände, die wiederum das Tauen beschleuni­gen. Abgesehen von der direkten Hitzeentwi­cklung lässt auch die Asche Schnee und Eis schmelzen. Das bedeutet, dass es immer weniger weise Flächen gibt, die das Sonnenlich­t reflektier­en.

Die globalen Auswirkung­en sind noch schwer abschätzba­r. Unmittelba­rer sind die Folgen für Bewohner Sibiriens, wo ganze Städte auf tauendem Permafrost errichtet sind und langsam im Boden versinken. Ein Beispiel für Komplikati­onen ist das sibirische Atomkraftw­erk Bilibino, das ebenfalls auf immer weicherem Untergrund steht. Russland baut dort kein Kraftwerk mehr. Der Strom für die Region soll künftig aus dem ersten schwimmend­en AKW der Welt kommen, der Akademik Lomonossow. Während das Schiff in Russland als unsinkbar bezeichnet wird, warnen Kritiker bereits vor einem „schwimmend­en Tschernoby­l“.

Sibyll Schaphoff und ihre Kollegen forschen und warnen indes weiter. Für September ist eine neue Studie des Weltklimar­ates zum Zustand der Permafrost­böden angekündig­t. Verbesseru­ngen erwartet Schaphoff nicht.

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AFP Weltklima und Friedhofkr­euze geraten ob der tauenden Böden in Schieflage
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PRIVAT Sibyll Schaphoff forscht in Potsdam

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