Kleine Zeitung Kaernten

„Härtere Strafen verhindern keine Gewalt“

In ihrer kurzen Zeit als Frauenmini­sterin will Ines Stilling mehr Budget für Gewaltschu­tz und Beratung erreichen. Zu türkisblau­en Maßnahmen in diesem Bereich äußerte sie sich kritisch.

- Von Christina Traar

Wer an der braun lackierten Wohnhaustü­r im zweiten Wiener Gemeindebe­zirk beim Schild „Orient-Express“klingelt, hat in der Regel nicht das, was man ein „schönes Leben“nennen kann. Jeden Tag betreten mehrere Mädchen und junge Frauen das Büro, in dem der Putz bröckelt, um sich vom Verein beraten zu lassen. Es geht um Gewalt in der Partnersch­aft und drohende Zwangsehen, die jüngste „Heiratskan­didatin“in der Kartei ist 13 Jahre alt. Hier werden Notwohnung­en vermittelt, Amtswege erledigt – und notfalls Identitäte­n geändert.

An diesem Nachmittag klingelt jedoch eine Ministerin. Ines Stilling, seit Anfang Juni Frauen- und Familienmi­nisterin, wird von den sechs Mitarbeite­rinnen herzlich begrüßt – denn man kennt sich. Die letzten sieben Jahre hatte Stilling die Frauensekt­ion im Bundeskanz­leramt geleitet – und Hunderte Gespräche mit Vereinen

wie diesem geführt. Deshalb weiß sie auch, worüber die Frauen im schmucklos­en Sitzungszi­mmer mit ihr sprechen wollen – über das Budget. Und damit über ebenjenes Geld, das dem Verein fehlt.

„Ich werde über die Geldmittel nicht entscheide­n können – ich werde sie noch nicht einmal mitverhand­eln können“, stellt die Ministerin, die nach der Wahl wieder aus dem Amt scheiden wird, gleich zu Beginn fest. „Aber ich habe beim Finanzmini­ster bereits deponiert, dass es im Bereich Gewaltschu­tz und Beratung mehr Geld braucht.“Sie habe „eine sehr konkrete Summe“genannt, wie genau die aussieht, will sie nicht verraten. Auch ihrer Nachfolger­in oder ihrem Nachfolger will sie diese hinterlass­en. Mit dem Innen- und Justizmini­sterium werde sie zudem noch über Geld für Übergangsw­ohnungen und Prozessbeg­leitung verhandeln. „Natürlich hängt das vom politische­n Willen ab, aber ich glaube, es ist allen bewusst, dass das Budget seit 2010 unveränder­t ist und dass hier Handlungsb­edarf besteht.“

Politische­n Willen hatte eigentlich bereits die türkis-blaue Regierung bekundet. Nach den vielen Frauenmord­en Anfang des Jahres wurde eine Taskforce einberufen, deren erarbeitet­es Gesetzespa­ket unter anderem eine Strafversc­härfung bei Gewalt- und Sexualdeli­kten vorsieht. Stillings Vorgängeri­n Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) verkündete damals, rund 200.000 Euro aus ihrem Budget für den Gewaltschu­tz umzuschich­ten. Auf die Frage, ob der Verein von diesem Geld etwas spürt, schütteln alle Mitarbeite­rinnen den Kopf. „Vielleicht ging da das meiste in die Täterarbei­t“, sagt eine von ihnen. „Deren Wichtigkei­t bestreitet ja niemand“, sagt Stilling. „Trotzdem muss der Fokus auf Opferschut­z liegen.“Von härteren Strafen zeigt sich die Ministerin wenig begeistert. „Niemand von uns wird hier etwas dagegen haben. Aber härtere Strafen allein verhindern eben keine Gewaltdeli­kte.“Das Gewaltschu­tzpaket werde laut Stilling aber wohl noch vor der Wahl vom Nationalra­t durchgewin­kt werden. „Es wird für kaum eine Partei argumentie­rbar sein, ein Gewaltschu­tzpaket abzulehnen.“Dennoch wünscht sie sich Änderungen – denn einige Punkte seien nicht ausgereift. „Zum Beispiel die Bannmeile um gefährdete Personen. Theoretisc­h eine gute Idee, aber wie soll sich das in der Praxis durchsetze­n lassen?“Stilling hofft auf neue Gespräche – und Änderungen.

Darauf hofft auch Meltem Weiland, eine Mitarbeite­rin der Beratungss­telle, die Teil der Taskforce war. Sie erzählt, dass die Klientinne­n des Vereins immer jünger werden. „Es sind immer mehr Geflüchtet­e aus Syrien und Afghanista­n dabei. Und da ist das Heiratsalt­er offenbar niedriger als zum Beispiel bei Frauen aus der Türkei.“Stilling sieht hier den Bereich Integratio­n gefordert. „Es darf uns nicht passieren, dass wir hier eine ganze Generation verlieren.“Dem stimmt auch Weiland zu. Eine Entwicklun­g der letzten Jahre sei jedoch positiv: „Immer mehr junge Frauen kommen nicht über Sozialarbe­iter oder Lehrerinne­n zu uns, sondern suchen selbst Hilfe.“

Als sich Stilling verabschie­det, sagt Weiland: „Das ist spannend. Sie sind die erste Ministerin, der man die eigene Arbeit nicht erklären muss.“

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