Triumph für ein vergessenes Meisterwerk
Salzburg verhilft einer zu Unrecht vergessenen Rarität zu neuem Leben: George Enescus Oper „Oedipe“beweist in der Felsenreitschule ihre Lebenskraft.
Mythos ist das große Thema dieses Festspielsommers. Aber was tun mit den uralten, zeitlosen Geschichten? Aktualisierungsversuche dominierten bisherige Premieren. Achim Freyer, der verspielt-ernste Gesamtkünstler, vertraut der Kraft der Geschichte vom Sohn, der den Vater tötet und die Mutter ehelicht, obwohl er mit aller Kraft genau das vermeiden will. Die aus seinen Bühnenarbeiten bekannten Typisierungen, scherenschnittartige, puppenhafte Figuren, eignen sich bestens zur Verdeutlichung des archaischallgemeingültigen Stoffs.
George Enescu hat die alte Geschichte, von der schon in der Antike unterschiedliche Versionen existierten, weiterentwickelt. Er zeigt nicht nur die ganze Lebensspanne des Ödipus, von der Geburt bis zum Tod; Edmond Flegs Libretto stellt außerdem die Frage der Theben bedrohenden Sphinx anders, was dem Drama neue Tiefe verleiht. Statt der verspielten Rätselfrage nach dem Wesen, das morgens auf vier,
mittags auf zwei und abends auf drei Beinen geht, fragt der Quälgeist nach dem, der stärker sei als das Schicksal. In beiden Fällen ist die Antwort „der Mensch“, hier aber klingt eine existenzielle Dimension an. Wer wie Ödipus die Verantwortung für sein Tun übernimmt, der überwindet das bloß Schicksalhafte seines Lebens.
Freyer sprüht auch im 85. Lebensjahr von Ideen. Skurrile Fantasiewesen bevölkern die Bühne, schweben von der Decke und verkörpern das Bedrohliche, Fremde der Welt. Ein dick gepolsterter Riesensäugling strampelt zu Beginn auf der Bühne, unweit von ihm schaufelt ein Greis sein Grab. Aus dem Baby Ödipus wird im zweiten Akt ein Boxer. Amphetamingeblähte Muskeln deuten die Kraftmeierei des Herrschers an, der seinem Los entgehen will und es so erst herbeiführt. Typisierung auch rundherum: Iokaste Anaik Morel trippelt als blaue Blume über die Bühne, passiv ihren Männern zugelost. Teiresias John Tomlinson tappt als Riesenpuppe, geführt von einer mechani