Die Lage ist unverändert ernst
47 Millionen Euro muss das österreichische Bundesheer aus dem laufenden Budget einsparen. Auch Kärnten trifft der Sparkurs in vielen Bereichen. Militärkommandant Walter Gitschthaler spricht im Interview Klartext.
Die finanziellen Hilferufe aus dem Bundesheer mehren sich. Kärnten sagt die Galanacht der Uniformen ab, Angelobungen können aus Kostengründen nur mehr eingeschränkt stattfinden. Wie ernst ist die Lage?
WALTER GITSCHTHALER: Die Lage ist unverändert ernst, weil uns schon zu Jahresmitte die Mittel fehlen, um den Betrieb wie geplant aufrechtzuerhalten. Konkret: Dem österreichischen Bundesheer fehlen 47 Millionen Euro für Ausbildung, Einsatzvorbereitung und Infrastruktur. Wir sind deshalb zu einschneidenden Maßnahmen gezwungen. Das beginnt bei der Absage von scheinbar kleinen Veranstaltungen und geht bis hin zur Einstellung von bereits fix geplanten Projekten wie Kasernenrenovierungen oder Gerätebeschaffungen.
Konkretes Beispiel?
Es geht um alle Einsätze bzw. Veranstaltungen außerhalb der Normdienstzeit. Eine Stunde Militärmusik kostet uns an einem Feiertag rund 1500 Euro – Fahrtkosten noch nicht inkludiert –, weil es nach Dienstrecht zu bezahlende Mehrstunden sind. Selbst dafür müssen wir oft auf private Busunternehmen zurückgreifen, weil es an fahrtüchtigem Gerät im eigenen Bestand fehlt.
Das ist ja jetzt nicht unbedingt das Kerngeschäft eines Heeres. Eher wohl Mittel zum Zweck, um in der Öffentlichkeit auf die prekäre Situation aufmerksam zu machen.
Völlig richtig, aber niemand sieht oder besser gesagt niemand will den Mangel in der Erfüllung unserer Kernaufgaben sehen. Paradoxerweise wird das Bundesheer seit geraumer Zeit über Militärmusik und Katastrophenhilfe definiert. Sobald der Katastropheneinsatz infrage gestellt wird, folgt ein öffentlicher Aufschrei. Wenn wir sagen, dass uns Ausrüstung, Kampfhubschrauber oder anderes Gerät fehlen, dann verund misse ich jede Reaktion und eine dementsprechende Betroffenheit.
Braucht das Bundesheer überhaupt noch Kampfhubschrauber und Kampfpanzer?
Das Heer definiert sich nach wie vor nach den sogenannten Petersberg-Aufgaben in friedenserhaltende bis hin zu friedensschaffenden Missionen. Also auch Kampfeinsätze, die dementsprechendes Gerät und Ausrüstung bedingen und erfordern.
Ist diese Definition noch zeitgemäß?
In unserer Verfassung ist die militärische Landesverteidigung als oberste Priorität festgeschrieben. Wiewohl wir in der Realität aufgrund der permanenten Aushöhlung und der Sparprogramme längst nicht mehr in der Lage sind, diese Anforderung zu erfüllen. Was ja nicht ausschließt, die Aufgaben dieses Bundesheer neu zu definieren. Man muss halt endlich einmal damit anfangen und es durchziehen.
Was können Sie konkret in Ihrem Kommandobereich tun?
Wir sind angehalten, unseren Beitrag zu den Einsparungen zu leisten. Neben den schon angesprochenen Absagen von Veranstaltungen außerhalb der Normdienstzeit liegt auch in Kärnten ein starker Fokus auf der Personalentwicklung. Mehr als die Hälfte des Gesamtbudgets österreichweit sind nun einmal Personalkosten. Einerseits geht die Zahl der Rekruten nicht nur in Kärnten immer mehr zurück, andererseits gibt es eine Pensionierungswelle. Im Militärkommandobereich Kärnten scheiden bis Ende nächsten Jahres acht von zehn Abteilungskommandanten aus. Von den 500 Bediensteten gehen 65 in Pension. Hätte man längst fällige neue Strukturen auch für den Personalbereich definiert, dann bestünde jetzt die Möglichkeit, konkrete Weichen im Sinne eines Reformkurses zu stellen. So muss ich mühsam Personal rekrutieren, das aufgrund der Nichtreform oft gar nicht mehr vorhanden ist bzw. aufgrund von Aufnahmestopps nicht
mehr arbeitsfähig.
Welche Auswirkungen hat das im Falle von Katastropheneinsätzen?
Derzeit gibt es noch keine Einschränkungen, aber die fehlenden, notwendigen Investitionen werden im
mer mehr zum Problem. Das fängt bei der Ausrüstung an und setzt sich bei den Geräten fort. Vorrangig geht es da um das Thema Mobilität. Der bestehende Fuhrpark gereicht einem Oldtimermuseum zur Ehre und hat nichts mehr mit den Anforderungen eines einsatzbereiten Bundesheeres zu tun. Die Personalsituation bei den Truppenkörpern ist natürlich auch dementsprechend angespannt und wird damit zum Unsicherheitsfaktor im Hinblick auf die Einsatzbereitschaft.
Wie steht es um die Kasernen in Kärnten?
Da wurde in den letzten Jahren doch einiges investiert: Khevenhüllerkaserne Klagenfurt und Lutschounigkaserne Villach sind renoviert, in der Türkkaserne Spittal wurde mit der Sanierung begonnen. Baustellen bleiben die Rohr- und Henselkaserne in Villach. Das liegt auch daran, dass der geplante Neubau einer Großkaserne in Villach nie realisiert wurde.
Wenn Sie Macht und Mittel hätten, das Bundesheer zu reformieren: Wie sieht Ihre Vision aus?
Wir verstecken uns doch seit Jahrzehnten hinter der Neutralität. Die beiden Kernfragen, die wir uns alle stellen müssen: Was erwarten wir im 21. Jahrhundert von einem österreichischen Bundesheer? Was kann und soll es leisten? Ich würde mir eine offene und breite politische Diskussion darüber wünschen, quer durch alle gesellschaftlichen Bereiche. Das Allerwichtigste aber: Neben einer Neudefinition der Aufgaben muss es auch ein klares Bekenntnis zur finanziellen Ausstattung geben: Aktuell 0,57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder etwas mehr als zwei Milliarden Euro für die Landesverteidigung sind im europäischen Vergleich ein Hohn. Kann ja sein, dass wir kein Militär mehr brauchen. Dann konzentrieren wir uns nur noch auf den Katastrophenschutz, den Schutz kritischer Infrastruktur und den sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz an der Grenze. Das könnte ja eine durchaus reale Vision sein. Immer noch besser als die aktuelle, irreale Fiktion.