Der letzte Schrei der Hippies
Augenblicke
In diesem Schrei, da lag alles drinnen, die gesamte Quintessenz der Rockmusik: Kraft, Lust, Liebe, Verzweiflung, Angst, Hoffnung, Verlust, Ekstase, Sex, Schweiß, Tränen, Drogen. Und in diesem Schrei, den ein taumelnder, tobender, sich windender, wild gestikulierender Joe Cocker am Ende des Beatles-Songs „With a Little Help from my Friends“ins 500.000 Körper umfassende Menschenmeer stieß, lag wohl auch der letzte Aufschrei einer ganzen Ära. Mit dem „Woodstock Festival“, das vom 15. bis 18. August 1969 auf einem Weidefeld rund 80 Kilometer vom namensgebenden Ort entfernt über die Bühne(n) ging, wollte sich die Hippie-Generation ein überlebensgroßes Denkmal setzen – es sollte auch ein Grabmal werden.
Auch diese (Jugend-)Revolution hat ihre Kinder gefressen. Denn auch dieser „Summer of Love“1969 war gleichzeitig ein „Summer of Hate“. Eine Woche vor dem „Love & Peace“-Happening hatte die Manson Family gemetzelt, und am Ende des Jahres war die Flowerpower endgültig verblüht und aus dem Altamont Free Concert in Kalifornien, wo ein Zuschauer von einem „Hells Angel“erstochen wurde, sprießten „Dead Flowers“. In den Jahren, die folgten, hatte die Jugendkultur zudem einen noch mächtigeren Feind als den Vietnamkrieg oder die Elterngeneration. Er hieß Kommerz und war unbesiegbar.
Heute, 50 Jahre später, ist das „Woodstock Festival“längst Mythos, die Wahrheit im Matsch versunken. Das Chaos, die an Fahrlässigkeit grenzende Organisation, das vermüllte und zertrampelte Feld, die oft bestenfalls durchschnittlichen Auftritte der Bands und Musiker – vergeben, vergessen, verklärt. Jener Ort übrigens, der das Festival der „Langhaarigen“damals nicht wollte, nämlich Woodstock, verdient sich an der Vermarktung davon ein goldenes Näschen. Und Joe Cocker selig? Der wollte sich in einem Interview mit dem Autor dieser Zeilen vor vielen Jahren nicht an Woodstock erinnern, stattdessen plauderte er viel lieber über seine Tomatenzucht. Auch das eine Art letzter Schrei eines Hippies.