Kleine Zeitung Kaernten

Wen geht es etwas an, wo Politiker urlauben?

Wo endet die Privatsphä­re, wo beginnt das öffentlich­e Interesse an der Privatsphä­re von Politikern? Georg Renner über eine heikle Gratwander­ung für Betroffene wie auch Medien – nicht nur vor Wahlen.

- Von Georg Renner

Saint-Tropez ist auch nicht mehr, was es einmal war. Ein Ort nämlich, wo man sich als Prominente­r unter seinesglei­chen wähnen kann – und nur dann gesehen wird, wenn man tatsächlic­h auch gesehen werden will. Diese Zeit ist vorbei, ob in dem Urlaubsort an der Côte d’Azur, der vor Jahrzehnte­n dank des europäisch­en Jetsets zum Synonym für Edelferien avancierte, eigentlich aber überall.

Einen einzigen Miturlaube­r mit Smartphone und SocialMedi­a-Account (und wo gäbe es den nicht?): Mehr braucht es nicht, und das Bild des prominente­n Touristen am Strand, an der Bar oder beim Essen geht blitzartig um die Welt.

Wie SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner erfahren musste. Vor einer Woche saß sie mit Freunden im „Club 55“, einem durchaus hochpreisi­gen Restaurant am Strand der Riviera, wo von Catherine Deneuve bis Michail Gorbatscho­w schon zahlreiche Prominente abgestiege­n waren. Ein privater Ausflug vor Beginn des Intensivwa­hlkampfs – der nicht privat bleiben sollte.

Ebenfalls im Club 55 abgestiege­n war an diesem Abend ein oberösterr­eichischer Arzt und (chancenlos­er) ÖVP-Nationalra­tskandidat von 2017 – er nahm sein Handy, nahm einen verschwomm­enen Schnappsch­uss der plaudernde­n SPÖ-Chefin auf und jagte ihn per öffentlich­em Facebook-Post samt süffisante­m Begleittex­t („Joy Pam im teuersten und besten Club der Welt“) in die Welt hinaus.

Wahlkämpfe­r und Sympathisa­nten der anderen Parteien,

darunter der vor Kurzem selbst eines Urlaubs wegen in Bedrängnis geratene Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, griffen den Post gerne auf. Noch bevor Rendi-Wagner den Club verlassen hatte, hatte er sich in der sozialmedi­alen Politik-Szene „viral“verbreitet.

Dort sollte er nicht bleiben: Angeführt von „Österreich“griffen auch klassische Medien das Thema auf. Ja, auch wir von der Kleinen haben berichtet, zumindest indirekt. „St. Tropez statt Jesolo: Heftige TwitterDeb­atte über ,Luxusurlau­b‘ von Rendi-Wagner“erfuhren etwa Leser unserer Digitalaus­gabe.

War es richtig, dieses Thema aufzugreif­en? Über eine Politikeri­n in einem privaten Urlaub zu berichten? Eine Frage, die auch wir in der Redaktion der Kleinen in den vergangene­n Tagen diskutiert haben – ohne einhellige Conclusio. Das Thema hat viele Ebenen, auf denen

A man sich ihm annähern kann. m einfachste­n zu klären ist die Frage, die Journalist­en sich jeden Tag x-mal stellen: Ist das überhaupt eine Geschichte? In der Nachrichte­nwerttheor­ie kennen wir grob gesprochen zwei Pole, zwei Fragen, die sich bei jedem Sachverhal­t zur Entscheidu­ng stellen, ob man ihn berichten soll: Erstens „ist das relevant für meine Leser?“– und zweitens „ist es interessan­t?“.

Die besten Geschichte­n sind beides: Wahlergebn­isse zum Beispiel sind in aller Regel sowohl höchst relevant als auch interessan­t. Dann gibt es extrem relevante Geschichte­n, die nur mit Mühe interessan­t zu gestalsind – sagen wir, Konjunktur­daten – und umgekehrt Geschichte­n, die man gern liest, die aber ohne höhere Relevanz sind: klassische Klatsch-und-TratschErz­ählungen aus Adelshaush­alten zum Beispiel.

Dass Rendi-Wagners Abstecher in den Nobelurlau­bsort interessan­t war, sieht man schon an dem breiten Echo, das die Geschichte ausgelöst hat – kaum jemand, der keine Meinung dazu hätte. Relevant ist der Sachverhal­t für sich dagegen eher nicht – aber die breite Diskussion darüber könnte ob ihres möglichen Effekts auf potenziell­e SPÖ-Wähler dann doch wieder wichtig sein.

Eine andere Ebene ist die rechtliche: An sich haben auch Politiker ein Recht auf den Schutz ihres höchstpers­önlichen Lebensbere­ichs vor Erörterung in Medien.

Ausnahme: Wenn ein öffentlich­es Interesse daran besteht. Zum Beispiel, wenn sie in besagter privater Situation breit disten

kutieren, wie sie ein Regierungs­amt nutzen würden, einer russischen Oligarchin staatliche Aufträge zuzuschanz­en.

Das hat Rendi-Wagner nach allem, was wir bisher wissen, im Club 55 aber nicht getan. Was sie aber getan hat: Gegenüber mehreren Medien – etwa im Ö3-„Frühstück bei mir“– sprach Rendi-Wagner in den vergangene­n Wochen davon, ihr Urlaub werde sie nach Jesolo und in die Steiermark führen (ein Sprecher hatte zumindest in Mails auch Frankreich erwähnt). Damit hat sie selbst ihren Urlaub thematisie­rt. Und ein Sprecher der SPÖ Wien hatte seinem Gegenüber auf Twitter im Herbst während einer Debatte an den Kopf geworfen „wer seine Sommer öffentlich im Club 55 mit Champagner zelebriert, hat jede Glaubwürdi­gkeit im Kontext Abgehobenh­eit verspielt“.

Was uns zur dritten Ebene führt, der politische­n. Die These hier ist, dass es eben nicht egal ist, wo ein Politiker urlaubt – schon gar nicht vor einer Wahl.

Das Private ist längst politisch – das wissen auch Politiker, die sich in der durchmedia­tisierten Gesellscha­ft inszeniere­n (müssen). Es ist ja kein Zufall, dass Rendi-Wagner in Interviews das als „Hausmeiste­rstrand“verschrien­e Jesolo als konkretes Urlaubszie­l nennt, während Frankreich von ihrem Sprecher nur beiläufig, schon gar nicht als „Riviera“oder gar „St. Tropez“konkretisi­ert wird.

Gerade die Sozialdemo­kraten sind in diesem Aspekt gebrannte Kinder: Dass Rendi-Wagners Abendessen im Club 55 solche Aufregung verursacht, während etwa ÖVP-Obmann Sebastian Kurz’ mehrtägige­r Aufenthalt in Kalifornie­n stillschwe­igend quittiert wurde, mag auch an dem Beigeschma­ck liegen, hier trinke man (edlen) Wein, während man als Chefin einer „Arbeiterpa­rtei“eher bei Wasser bleiben sollte (nicht unähnlich Grünen übrigens, denen jede Flugreise angekreide­t wird, während Politiker anderer Couleur bedenkenlo­s Meilen sammeln dürfen).

Eventuell ein – absichtlic­hes – Missverstä­ndnis. Die SPÖ predigt ja eben nicht Wasser, sondern Wein für alle. Gerade Geschichte­n wie dass Rendi-Wagner als Tochter einer alleinerzi­ehenden Kindergärt­nerin aus dem Gemeindeba­u sich einen Abstecher an die Côte d’Azur leisten kann (als promoviert­e Ärztin wohl auch ohne politische Karriere), könnte man durchaus auch als historisch­en Erfolg der SPÖ verkaufen.

Könnte. Denn wirklich gut funktionie­rt hat eine solche Kommunikat­ionsstrate­gie schon bei Rendi-Wagners Vorgänger Christian Kern, Arbeiterki­nd aus Simmering mit Hang zu Slim-FitAnzügen, nicht. Die Liste von SPÖ-Politikern, die des persönlich­en Luxus wegen verhöhnt worden sind, reicht von Thomas Drozda mit seinem Uhren-Faible bis zu Alfred Gusenbauer, den Liebhaber teurer Weine. Dass sich ein Bruno Kreisky großbürger­lich inszeniere­n konnte – etwa in seiner Finca auf Mallorca, wo er im Sommer Hof hielt –, ist lange her. Was wohl heute über ihn geschriebe­n würde?

Bleibt die Frage: Ist das eine erstrebens­werte Welt, in der jeder Urlaub, jeder Flug, jeder private Handgriff von Politikern Gegenstand öffentlich­er Debatte sein kann? Und was für Politiker wird diese Zeit hervorbrin­gen, in der eine große Persönlich­keit dem Autor vor Kurzem offenbarte: „Ich hab mir überlegt, als Bundespräs­ident zu kandidiere­n – aber die sozialen Medien wollt’

M ich mir nicht antun.“an kann das verstehen. Die totale Öffentlich­keit ist auch eine gnadenlose. Jederzeit, überall gefilmt werden, „viral“gehen zu können, ist eine harte Mühle – die am Ende nur noch geschliffe­ne, dauerdurch­inszeniert­e Persönlich­keitshülle­n bestehen zu lassen droht.

Das muss nicht so sein – jeder hätte in der Hand, innezuhalt­en, bevor er zum Beispiel ein kritisches Bild teilt. Der Arzt aus Oberösterr­eich hat Rendi-Wagners Foto inzwischen übrigens von seinem Account getilgt.

Jederzeit, überall gefilmt werden, „viral“gehen zu können, ist eine harte Mühle – die nur noch dauerdurch­inszeniert­e Persönlich­keitshülle­n bestehen

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WEICHSELBR­AUN, APA, ADOBE STOCK
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„Kärnten kann ich mir nicht leisten“: Mit diesem Sager erklärte Bruno Kreisky einst, warum er eine Villa auf Mallorca besaß
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PICTUREDES­K

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