Scholz will nun doch Chef der SPD werden
Erst hatte er keine Zeit für den Posten, nun erklärt er sich bereit, die Sozialdemokraten vor dem Untergang zu retten. Damit beginnt nun auch die Frage der Neuausrichtung.
Bislang hat Olaf Scholz immer betont, das Amt des Bundesfinanzministers lasse ihm keine Zeit für den Vorsitz der SPD. Nun hat sich der deutsche Vizekanzler und aktuelle Interimsparteichef zu einer Kandidatur für den Vorsitz der Sozialdemokraten durchgerungen. „Ich bin bereit anzutreten, wenn ihr das wollt“, sagte er am Montag dieser Woche in einer Telefonkonferenz mit den Interimsvorsitzenden Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel nach übereinstimmenden Berichten mehrerer Zeitungen. Noch sucht er allerdings einen weiblichen Tandempartner. Denn die ausgesprochene Zielsetzung der ältesten deutschen Partei ist eine Doppelspitze. Sechs Kandidatenpaare gibt es bereits, zwei weitere Einzelkandidaten haben ihr Interesse bekundet.
Generalsekretär Lars Klingbeil hält sich weiterhin alle Optionen offen und auch der JusoVorsitzende
Kevin Kühnert äußert sich bisher nicht eindeutig. Außenminister Heiko Maas nennt den Spitzenposten bislang lediglich eine „Verlockung“. Stephan Weil, Ministerpräsident in Niedersachsen, und Manuela Schwesig, Regierungschefin in MecklenburgVorpommern, haben dagegen abgesagt, ebenso wie Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Ihnen allen wurden große Chancen auf den Vorsitz eingeräumt.
In zwei Wochen endet die Bewerbungsfrist für den Posten. Genau an jenem Tag, an dem in den beiden Bundesländern Brandenburg und Sachsen ein neuer Landtag bestimmt wird und für die SPD ein Desaster droht. In Potsdam dürfte zudem Ministerpräsident Dietmar Woidke seinen Sessel räumen müssen und damit die durchgängige SPD-Führung seit der Wende 1990 enden.
Die Überraschung über die Nachricht von Scholz’ Bereitschaft war am Freitag groß. Immerhin hatte der frühere Regierungschef des Bundeslandes Hamburg nach dem Rücktritt seiner Vertrauten Andrea Nahles als Parteivorsitzende im Juni gesagt, er stehe aus zeitlichen Gründen für die Nachfolge nicht zur Verfügung. Angesichts fehlender Bewerbungen von namhaften Spitzenkräften seiner Partei dürfte es sich der Hanseat so kurz vor dem Fristende doch anders überlegt haben. Zumindest heißt es so aus den Parteikreisen.
Olaf Scholz hat Augenhöhe und Durchschlagskraft gegenüber Merkel, Söder und KrampKarrenbauer.
Johannes Kahrs, SPDBundestagsabgeordneter
Ich will nicht Parteivorsitzender
werden. Das ist mit dem Amt eines Ministers der Finanzen nicht
zu schaffen.
Olaf Scholz im Juni 2019 nach dem Rücktritt von SPD-Chefin Andrea Nahles
Vielleicht konnte er auch die Trostlosigkeit der Diskussion um eine Neuausrichtung nicht mehr ertragen. Denn seine Bekundung wurde just publik, als Gesine Schwan und Ralf Steger auf einer Pressekonferenz ihre Strategie für einen möglichen Vorsitz bekannt geben wollten. Um die Kandidatur der beiden Sozialdemokraten hatte es im Vorfeld reichlich Hohn und Spott gegeben. Der schleswigholsteinische Fraktionschef und die Vorsitzende der ParteiGrundwertekommission mussten sich vom Niedersachsen Stephan Weil anhören, sie seien nicht die richtigen Kandidaten. Und der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak twitterte gar: Wenn beide nun noch Kühnert adoptierten, „könnten wir eine Neuauflage von ,Eine schrecklich nette Familie‘ aufführen“.
Scholz hingegen bekam umgehend Unterstützung aus der eigenen Partei. Der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, der zum konservativen Seeheimer Kreis in der SPD gehört, schrieb: „Scholz hat Augenhöhe und Durchschlagskraft gegenüber Merkel, Söder und KrampKarrenbauer.“Er könne Anliegen der SPD durchsetzen.
Die SPD will bis zum Parteitag im Dezember in Berlin evaluieren, ob sie die Große Koalition bis 2021 fortführt. Scholz gilt als Befürworter eines Bündnisses mit CDU und CSU. Dies könnte ein entscheidender Faktor dafür sein, ob er sich bei der Urwahl unter den 430.000 SPDMitgliedern durchsetzen kann.