Liegen bleiben in Ruinen
Die deutschen Sozialdemokraten befinden sich mitten im Nirwana. Die Chefin ist weg, die Umfragewerte sind einstellig. Doch statt über Inhalte wird wieder über Köpfe geredet.
Die Nachrichtenkanäle haben sich am Freitagmittag überschlagen. Olaf Scholz will nach langem Widerstand und wiederholter Absage nun doch Vorsitzender der deutschen Sozialdemokraten werden. Die Nachricht klang fast, als hätte sich der Heiland höchstpersönlich durchgerungen, die SPD aus dem Nirwana zu holen. Dabei gilt Scholz in Parteikreisen eher als letztendlicher Totengräber für eine Partei, die auf 154 Jahre Geschichte zurückblicken kann. So jedenfalls kann man es hören, wenn man sich in den Ortsverbänden umhört, also dort, wo man meint, es schlage noch das Herz am rechten Fleck. Dort, wo der einfache Mann und die einfache Frau zu Hause sind, die aber nicht auf einfache Antworten setzen wollen.
Scholz gilt als hanseatisch kühl, klug, pragmatisch, aber auch blass. Seine Politik als Bundesfinanzminister ist in der SPD nicht unumstritten. Der ehemalige Erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg ist so schillernd wie ein Bratwurststand in der Haupteinkaufsstraße von Wanne-Eickel. Ein Hoffnungsträger sieht anders aus.
Und doch hat er das Zeug dazu, die Genossen von sich zu überzeugen. Unter Gerhard Schröder bekam der damalige SPDGeneralsekretär den Beinamen „Scholzomat“, weil er seine Sätze stets geschliffen, aber auch inhaltsleer in den Raum stellte.
Das ist aber genau das Problem der SPD. Kaum noch ein Wähler weiß, wofür die Partei tatsächlich steht. Die Umfragewerte sind dementsprechend im Keller und in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg und Sachsen, wo in zwei Wochen gewählt wird, sind sie zum Teil sogar einstellig. Deshalb nahm man sich im WillyBrandt-Haus, der Bundesparteizentrale in Berlin, auch vor, endlich eine inhaltliche Neuausrichtung vorzunehmen, bevor man sich auf Köpfe konzentriert. Doch die Suche nach einem neuen Chef und einer neuen Chefin in einer Doppelspitze hat seit dem Abgang von Andrea Nahles etwas von Deutschland sucht die Superdeppen. Etliche prominente Sozialdemokraten, die man durchaus als Hoffnungsträger bezeichnen könnte, haben entweder abgewunken oder schweigen vielsagend. Das bisherige Kandidatenfeld gleicht eher der Gästeliste einer After-Show-Party bei einem C-Movie. Mit Scholz kommt immerhin Schwung in die Debatte, die bisher auch nicht inhaltlich ernsthaft geführt wurde. Der Grund für sein Vorpreschen dürfte die grausige Vorhersage für den 1. September sein – am Wahltag endet passenderweise auch die Bewerbungsfrist D für den Posten. ie Neuerfindung der SPD wirkt völlig falsch orchestriert und mit einem Termin für den Parteitag im Dezember auch unnötig lang gezogen. Wer die SPD führen soll und wie sie geführt werden will, bleibt weiterhin unklar. Doch eines zeigt sich an der ersten Debatte über Scholz: Am Ende wird wieder nur über Köpfe geredet. Und der Wunsch nach einem Hoffnungsträger scheint in der Partei derart groß, dass man selbst den spröden Hanseaten als einen solchen hinnimmt.