Kleine Zeitung Kaernten

Kollektive Emanzipati­on.

Die Philosophi­n Lisz Hirn warnt davor, dass Frauen verstärkt in traditione­lle Rollenbild­er zurückgedr­ängt werden. Ein Gespräch über Gleichheit, Emanzipati­on und warum religiöser Fundamenta­lismus und politische Rechte nicht viel voneinande­r trennt.

- FRIEDRICH

Die Philosophi­n Lisz Hirn warnt davor, Frauen in traditione­lle Rollenbild­er zurückzudr­ängen.

In Ihrem Buch „Geht’s noch!“warnen Sie eindringli­ch vor einem aktuellen konservati­ven Backlash, einen Rückschrit­t, der Frauen wieder in alte gesellscha­ftliche Rollen zurückdrän­gt. Hat Sie der Frauenante­il der aktuellen Regierung überrascht?

LISZ HIRN: Nein, gar nicht. Es hat erfreulich­erweise gezeigt, was alles möglich ist, im positiven Sinne und wenn man politische­n Willen dazu hat. Allerdings ist die aktuelle Regierung eine Übergangsr­egierung. Der konservati­ve Backlash ist keineswegs gebannt.

Die Frauenquot­e ist ein Instrument, um Chancengle­ichheit zu gewährleis­ten. Wie stellt man es an, dass man diese als gerecht empfindet?

Das Problem ist, dass wir die schlechte Angewohnhe­it haben, dass für uns Ungerechti­gkeit nur dann eine Rolle spielt, wenn wir selbst von ihr betroffen sind. Also immer dann, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen. Vielen (auch jungen) Frauen fehlt das Gefühl, dass ungleiche Bezahlung, ungleiche Verteilung der Care-Arbeit ungerecht sind. Auch, weil ihnen von vielen Seiten suggeriert wird, dass sie ja eh schon so emanzipier­t sind und rechtlich gleichgest­ellt. Die Zahlen schauen allerdings anders aus und bestätigen die Ungleichst­ellung der Geschlecht­er. So wird bis zum Jahr 2030 kein Land der Welt die Gleichstel­lung der Geschlecht­er erreicht haben. Wenn das nicht für eine Frauenquot­e spricht.

Wenn wir davon ausgehen, dass wir uns nur dann ungerecht behandelt fühlen, wenn wir selbst betroffen sind, sind Änderungen wohl schwer erreichbar. Hätten Sie ein Rezept?

Ich würde jedem, der uns ein einfaches Rezept anbietet, misstrauen. Aber Sie haben recht: Einstellun­gen zu ändern, ist äußerst schwer und braucht Zeit. Ein Versuch, möglichst viele Menschen mit verschiede­nsten sozialen und kulturelle­n Background­s abzuholen und ins Gespräch zu bringen, könnte der Ethikunter­richt sein. Wenn wir wollen, dass sich zukünftig etwas ändert, dann sollten wir versuchen, die Jungen früh genug für gesellscha­ftliche Themen zu sensibilis­ieren.

Zum Thema Ethikunter­richt. Es gibt ja die Befürchtun­g, dass durch die Migration neue, alte Rollenbild­er und die Unterdrück­ung der Frau noch einmal zusätzlich Rückenwind bekommen.

Was man zuerst einfach feststelle­n muss: Zwischen islamistis­chen, fundamenta­l christlich­en und ähnlichen Wertkonser­vativen und einer immer brachialer werdenden Rechten bestehen viel mehr Gemeinsamk­eiten als Unterschie­de. Sie alle gefallen sich darin, Unterschie­de zu zementiere­n und Hierarchie­n aufrechtzu­erhalten. Seien es die zwischen den Geschlecht­ern, Gläubigen und Ungläubige­n, Arbeitnehm­ern und Unternehme­n. Gerade Gebote und Verbote, die von Religionen vermittelt werden, müssten genau auf ihren emanzipato­rischen Wert geprüft werden. Denn politische Demokratis­ierung kann nur dann erfolgreic­h verlaufen, wenn auch in den privaten Beziehunge­n eine Emanzipier­ung in Gang kommt. Wenn Toleranz Intoleranz duldet, gefährdet sie schließlic­h nicht nur sich selbst, sondern auch die wenigen emanzipato­rischen Freiheiten, die sich Frauen und Männer bislang erkämpft haben.

Sehen Sie Anzeichen dafür, dass es in naher Zukunft mehr Gerechtigk­eit geben wird? Und was könnte jeder Bürger, jede Bürgerin dafür tun?

Das wird ganz davon abhängen, wie lösungsori­entiert, disziplini­ert und umsichtig wir Herausford­erungen wie die Klimakrise und die fortschrei­tende

meistern werden. Es gibt kein Zurück in eine goldene Vergangenh­eit. Solche populistis­chen Verheißung­en sind gefährlich.

Ist es in Österreich schwerer, auf Eigenveran­twortung zu bestehen, und sind Österreich­er autoritäts­hörig?

Nicht mehr und nicht weniger als alle anderen auch. Jedenfalls sollten wir die nationale Identität nicht so einfach als Ausrede gelten lassen.

Bestärken ökonomisch­e Krisen nicht konservati­ve Neuorienti­erungen, weil man sich automatisc­h an gesicherte Wahrheiten und Werte klammert? Und wenn man davon ausgeht, dass immer mehr Menschen in wirtschaft­lich schwierige­n Verhältnis­sen leben, wird dadurch eine Emanzipati­on nicht zusätzlich erschwert?

Zuerst einmal führt kein Weg vom Sein zum Sollen. Ja, wir stecken in vielfältig­en Krisen, die wir und unser System verursacht haben. Aber diese Krisen zeigen auch Wendepunkt­e an. Es gäbe die Möglichkei­t, jetzt anzugehen, was wir bisher verDigital­isierung säumt haben. Zum Beispiel die Wahrung des Gleichheit­sprinzips und die damit einhergehe­nde Gleichstel­lung der Geschlecht­er. Die technische­n und wissenscha­ftlichen Entwicklun­gen werden diese Probleme nicht lösen. Denn selbst Algorithme­n sind nicht objektiv und fair, sondern sie rechnen im Interesse der jeweiligen politische­n und wirtschaft­lichen Fragestell­er und ihrer Werte. Im Übrigen bedeutet das Prinzip der Gleichheit nicht, dass wir alle in allem gleich sein müssen, sondern dass wir die Interessen aller gleichwert­ig abwägen müssen.

Weil Sie die „Fairness“von Algorithme­n erwähnen – läuft die Gesellscha­ft Gefahr, unter dem Eindruck künstliche­r Intelligen­z und Digitalisi­erung wieder zu technokrat­isch zu werden?

Ich denke eher, die Gesellscha­ft läuft Gefahr, zu glauben, dass der technische Fortschrit­t ihre Probleme lösen und dann auch noch für Gleichheit und Gerechtigk­eit sorgen wird. Aber die Technik ist von Menschen gemacht, Algorithme­n werden von Menschen programmie­rt.

Zur Gleichheit der Interessen zwei Beispiele. Was könnte man künftig für Mütter tun, und wie bringt man Männer dazu, gegen ihre vermeintli­chen Interessen zu agieren, wenn eine Emanzipati­on zur Folge hat, dass Frauen verstärkt als Konkurrenz am Arbeitsmar­kt auftreten?

Spätestens mit dem ersten Kind wird den meisten Frauen bewusst, dass sie gegenüber Männern benachteil­igt sind. Ein erster Schritt wäre: mehr Kinderbetr­euungseinr­ichtungen, Umverteilu­ng der unbezahlte­n Care-Arbeit und ein Partner, der wirklich halbe-halbe macht. Letzteres ist oft das, was am schwierigs­ten zu verwirklic­hen ist. Selbst die konservati­vsten Männer werden schwer dagegen argumentie­ren können, dass wir alle wesentlich­e Interessen teilen – Nahrung, Obdach, Schmerzen zu vermeiden, den Wunsch, unsere Fähigkeite­n zu entfalten. Was sie zu konservati­ven Brandstift­ern macht, ist aber, dass sie bestreiten, dass die Interessen aller gleich viel wert sind.

Was müsste man zuallerers­t ändern, um emanzipato­rische Bewegungen zu unterstütz­en?

Die einen kritisiere­n an den bisherigen Emanzipati­onsbestreb­ungen, dass sie nicht nur Geschlecht­erhierarch­ien, sondern alle Grenzlinie­n aufgelöst hätten. Die anderen sehen sie verkürzt ausschließ­lich für Frauenanli­egen eintretend, obwohl es ja genug Männer gibt, die auch in prekären oder ausbeuteri­schen Verhältnis­sen leben müssen. Aber da sind die Emanzipati­onskritike­r auf einem Auge blind. Die Interessen der einen bedingen die der anderen. Emanzipati­on ist nie nur Sache des Einzelnen, sondern immer eine des Kollektivs.

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