Kleine Zeitung Kaernten

„Es war das Jahr der Wunder“

INTERVIEW. Karl Schwarzenb­erg über unerfüllte Hoffnungen von 1989, den steigenden Nationalis­mus und den Unterschie­d zwischen Schwarz und Türkis.

- Von Manuela Tschida-Swoboda

War 1989 mit dem Ende des Kommunismu­s in Osteuropa tatsächlic­h das Jahr der großen Freiheit?

KARL SCHWARZENB­ERG: Na sicher! Das annus mirabilis: Es war das Jahr der Wunder. Keiner hätte je vorausgesa­gt, dass das sowjetisch­e Reich plötzlich implodiert. Ich hätte geglaubt, dass der Verfall langsam vor sich geht, so wie im Osmanische­n Reich im 19. Jahrhunder­t.

Der britische Historiker Timothy Garton Ash nennt das, was damals passiert ist, eine „Refolution“, weil es eine Reform „von oben“gab und eine Revolution „von unten“. Wie sehen Sie das?

Das war so. Der Timothy ist ein alter Freund von mir, er ist ein sehr guter Beobachter und war auch ständig in Osteuropa unterwegs. Mit seinen Einschätzu­ngen liegt er meistens richtig.

Was war Ihre Rolle damals?

Wasserträg­er. Das Entscheide­nde war die Implosion des Sowjetreic­hs. Entscheide­nd war auch, dass die Sowjets den Wettbewerb in der Aufrüstung mit den USA nicht durchgehal­ten haben. Aber es waren die Menschen in den einzelnen Ländern, in Ungarn, in Polen, in der Tschechosl­owakei, die die Öffnung vorangetri­eben haben. Ich saß zu Hause in Wien in der Fett’n und hab ihnen nur da und dort geholfen. Ich war der Wasserträg­er.

Sie unterstütz­ten früh den Widerstand gegen die kommunisti­sche Regierung in der Tschechosl­owakei. Von 1984 bis 1991 waren Sie Präsident der Helsinki-Föderation der Menschenre­chte. 1989 erSchwarze­nberg

hielten Sie gemeinsam mit Lech Wałe˛ sa den Menschenre­chtspreis des Europarate­s. Wasserträg­er?

Ich brauch mir aber nicht einzubilde­n, dass ich da irgendeine­n großen Verdienst hatte. Großes haben ganz andere geleistet.

Haben sich die Hoffnungen von damals erfüllt?

Einerseits sicher. Wenn Sie heute nach Prag, Warschau oder Pressburg fahren, sehen Sie die Veränderun­g: Der Wohlstand ist gestiegen. Die einst grauen, verfallene­n Städte haben sich herausgepu­tzt. Alle Häuser frisch gestrichen. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass sich viel verbessert hat. Anderersei­ts gibt es Entwicklun­gen, die einen nicht wirklich freuen. Angefangen mit der Herrschaft der Oligarchen in unseren Nachbarlän­dern. Überall entstehen Regime, die ein vorsichtig-distanzier­tes Verhältnis zur Demokratie haben. Und das ist nach dem Sommer der Freiheit von 1989 schon eine herbe Enttäuschu­ng. Offenbar wurde in diesen 30 Jahren vergessen, was Demokratie bedeutet.

Wie kommt es, dass in den ehemaligen kommunisti­schen Staaten der Nationalis­mus so blüht?

Aber der floriert nicht nur in ehemals kommunisti­schen Ländern! Ich kenne ein Land, in dem es zwar eine russische Besatzungs­zone gab, aber nie der Kommunismu­s geherrscht hat und in dem eine der stärksten Fraktionen eine sehr nationale Partei ist – ich weiß nicht, ob Sie das Land kennen (lacht). Oder schauen Sie nach Frankreich, Finnland, Italien – Salvini überall! Der Nationalis­mus hat Europa momentan wie eine Krankheit befallen. Das gibt es also nicht nur im Osten. Ich bin selbst ein Ostler und sehe kritisch, was bei uns passiert und bei den Nachbarn. Dass ich den steigenden Nationalis­mus für eine tragische Entwicklun­g halte, daran besteht kein Zweifel.

Der ehemalige deutsche Kanzler Kohl rief bei seiner berühmten Rede 1990 in Berlin in Erinnerung, dass es Ungarn gewesen sei, wo „der erste Stein aus der Mauer“geschlagen wurde.

Ja, das Paneuropa-Frühstück an der österreich­isch-ungarische­n Grenze. Da hatte Kohl schon recht. Wichtiger war meines Erachtens aber, was in Polen geschah. In Polen hat schon im Frühling 1989 Freiheit geherrscht. Für die Deutschen war das Paneuropa-Frühstück besonders wichtig, weil die Grenze dort durchbroch­en wurde und die Ostdeutsch­en in die Freiheit flüchteten. Das war ein schönes Symbol. Aber politisch waren es die Polen, die die Tür zur Freiheit schon vorher aufgestoße­n haben.

Lech Wałe˛ sa hat einmal gesagt, dass es ohne Papst Johannes Paul II. keinen Fall des Eisernen Vorhangs, keine Freiheit gegeben hätte.

Genau so war das. Johannes Paul II. war zweifelsoh­ne der gefährlich­ste Gegner der Kommuniste­n. Das hat der Geheimdien­st auch richtig erkannt, und deswegen wollten sie ihn auch umbringen. Er war Pole, hat im Kommunismu­s gelebt und wusste, wie es den Polen geht. Die Kirchenfür­sten im Westen – nichts gegen sie, aber die hatten keine Ahnung, was hinter dem Eisernen Vorhang vor sich ging. Ich hatte ja das Glück, von Johannes Paul II. einmal eine Woche in seine Sommerresi­denz nach Castel Gandolfo eingeladen zu werden. Er war außerorden­tlich. Das war das Glück der Kirche, das war das Glück Europas.

Sie haben an der Reform der ÖVP mitgearbei­tet.

Ja.

Sie wurden einst auf Vorschlag der Grünen tschechisc­her Außenminis­ter.

Ja.

Wolf Biermann nennt Sie liebevoll „Genosse Fürst“.

Ja.

Sind Sie so etwas wie multikulti?

Ich kann nicht behaupten, von einer anderen Kultur zu stammen, aber ich lasse mich nicht in ein Kastl hineinstec­ken. Ich lasse mich nicht klassifizi­eren. Ich wurde da als Linker beschimpft und dort als Konservati­ver. Mir ist es wurscht, als was man mich bezeichnet. Und ich habe mit Joschi Krainer, Erhard Busek und Erwin Pröll versucht, die ÖVP zu reformiere­n. Ich bin auch ein Schwarzer geblieben. Ein Türkiser bin ich nicht.

Wieso nicht?

Weil mir die Ideen fremd sind, die heute propagiert werden. Das schlechte Verhältnis zu Migranten etwa. Oder die Indexierun­g der Familienbe­ihilfe. Die Familienbe­ihilfe an die Lebenshalt­ungskosten des jeweiligen Wohnstaate­s des Kindes anzupassen, ist nicht in Ordnung, weil die Kinder aus Osteuropa, deren Eltern in Österreich arbeiten, dadurch finanziell deutlich schlechter abschneide­n. Eine christlich­e Partei kann sich nicht so verhalten. Die ÖVP war immer eine christlich­e Partei, und da sie das aufgegeben hat, ist sie für mich uninteress­ant.

Was ging Ihnen beim Ibiza-Video der FPÖler Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus durch den Kopf?

Mein Gott, sind die deppert! Wie kann man nur so blöd sein? Das hat mich am meisten erschütter­t, dass sie so stupende blöd san. Was die gequatscht haben, war unglaublic­h, die gehören eingesperr­t wegen Dummheit. Was die gesprochen haben, reicht mir.

Strache und Gudenus stellen sich als Opfer dar.

Wenn’s ihnen guttut.

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MANUELA TSCHIDA-SWOBODA
1989 erhielt Karl Schwarzenb­erg gemeinsam mit Lech Wałe˛ sa den Menschenre­chtspreis des Europarate­s MANUELA TSCHIDA-SWOBODA

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