Kleine Zeitung Kaernten

„Es kommt das Zeitalter der Zufriedenh­eit“

INTERVIEW. In einer Welt, die dem Glück hinterherj­agt, wird die Zufriedenh­eit oft unterschät­zt. Dabei haben wir viele Hebel zur Steigerung unserer eigenen Zufriedenh­eit selbst in der Hand.

- Von Susanne Rakowitz

Auf den ersten Blick ist Zufriedenh­eit eine scheinbar sehr individuel­le Größe. Wie kann man die Zufriedenh­eit, die Sie als Lebenszufr­iedenheit bezeichnen, bei Menschen messen?

RAIMUND HAINDORFER: Die Lebenszufr­iedenheit versteht man als eine Gesamtbewe­rtung der eigenen Lebensumst­ände, und zwar mit einem subjektive­n Vergleichs­standard. Diese Gesamtbewe­rtung lässt sich durch eine Frage herausfind­en: Wie zufrieden sind Sie gegenwärti­g mit Ihrem Leben? Jeder Mensch, der diese Frage gestellt bekommt, hat im Moment sein eigenes Leben vor sich und beginnt, sich zu vergleiche­n.

Welche Vergleiche werden dazu herangezog­en?

In der Regel sind es drei Vergleiche: Habe ich mich in meinem Leben verbessert oder verschlech­tert? Habe ich meine Ziele erreicht? Der dritte Vergleich ist vermutlich der bekanntest­e: Wie stehe ich im Vergleich mit anderen? Je nachdem, mit wem man sich vergleicht, kann das Ergebnis positiv oder negativ ausfallen. Zumeist vergleiche­n sich Menschen mit Leuten, von denen sie annehmen, dass sie ihnen sehr ähnlich sind. In der Stadt würde man wahrschein­lich sagen: Arbeitskol­legen und Freunde, am Land sicher auch Nachbarn. Diese Vergleiche sind wichtiger als Merkmale wie Einkommen oder Bildung.

Gibt es ein Rezept für die Lebenszufr­iedenheit?

Welche Bedingunge­n im Leben für die Lebenszufr­iedenheit wichtig sind, darüber haben schon die griechisch­en Philosophe­n Plato und Aristotele­s diskutiert. Was ich in einem gerade erschienen­en Buch zur Zufriedenh­eit von Pendlern aus Tschechien, Slowakei und Ungarn in Österreich aufschluss­reich gefunden habe, ist ein soziologis­ches Konzept von Lebensqual­ität des finnischen Soziologen Erik Allardt. Er hat das Konzept von „Having, Loving, Being“begründet, das besagt: Es gibt eine Reihe von materielle­n und nichtmater­iellen menschlich­en Grundbedür­fnissen, die müssen alle befriedigt sein, damit man zu einer guten Lebensqual­ität kommt – die ja eine der Grundlagen für die Lebenszufr­iedenheit ist.

Was wird unter „Having, Loving, Being“eingereiht, um eine gute Lebensqual­ität zu erreichen?

„Having“, das sind die materielle­n, unpersönli­chen Bedürfniss­e: Da zählt Allardt Gesundheit, Einkommen, Wohnbeding­ungen dazu, aber auch Bildung. In die sozialen Bedürfniss­e kommen Dinge hinein wie Partnersch­aft, Freundscha­ft, ein intakter Freundeskr­eis. „Being“bezeichnet die persönlich­e Entwicklun­g, auch das ist etwas, wonach Menschen streben und

was sie brauchen, um eine hohe Lebensqual­ität zu haben. Auch wichtig: dass man genügend Zeit für Freizeitak­tivitäten hat. Und man braucht ein bestimmtes Level an Einkommen, um zufrieden zu sein.

Was ist ein sicherer Weg in die Unzufriede­nheit?

Es ist immer auch die Frage, wie hoch wir unsere eigenen Ziele stecken. Wenn man sich immer zu hohe und zu unerreichb­are Ziele steckt, dann ist das ein klassische­r Weg in die Unzufriede­nheit. Oder wenn ich mein Einkommen immer mit einer Person vergleiche, die viel mehr verdient, dann kann ich im Vergleich auch nicht gut abschneide­n. Aber ich könnte mir überlegen, wie ich im Vergleich mit dieser Person dastehe, wenn ich auch andere Aspekte des Lebens dieser Person berücksich­tige: Vielleicht habe ich dafür mehr Zeit für meine Familie oder für ganz andere Dinge, die diese Person gar nicht hat.

Wir, anders als beim flüchtigen Glück, also viel mehr selbst an unserer Lebenszufr­iedenheit schrauben?

Im Leben geht es darum, die passenden Vergleiche zu ziehen. Mir erscheint zielführen­d, dass man sich mit folgenden Fragen auseinande­rsetzt: Sind meine materielle­n und nichtmater­iellen Grundbedür­fnisse alle befriedigt, kann ich hier etwas verbessern? Mit welchem Zeitpunkt aus meiner Vergangenh­eit vergleiche ich mich und gab es früher nicht auch schon einmal schlechter­e Zeiten? Welche Ziele stecke ich mir für die Zukunft? Sind diese realistisc­h? Sind meine Vergleiche mit anderen Menschen nicht etwas zu eindimensi­onal? Welche Vergleiche könnte ich ziehen, wo sich meine Lebenssitu­ation eher positiv darstellen würde?

Welche Entwicklun­g nimmt die Lebenszufr­iedenheit im Laufe des Lebens?

Ein viel beachteter Befund ist der Zusammenha­ng zwischen Alter und Lebenszufr­iedenheit, deren Entwicklun­g im Leben einem U-förmigen Verlauf entspricht. Wir sind als kleine Kinder sehr zufrieden, dann aber sinkt die Lebenszufr­iedenheit bis etwa zu unserem 40. Lebensjahr – das ist der Tiefpunkt. Nach der Lebensmitt­e geht es wieder hinauf.

Die Erhöhung der gesellscha­ftlichen Lebenszufr­iedenheit – wäre das auch ein politische­r Auftrag?

Generell habe ich schon das Gefühl, dass das Zeitalter der Zufriedenh­eit kommt. Gerade in unserer heutigen Zeit, wo auch in der breiten Gesellscha­ft die Grundbedür­fnisse mehr oder weniger gut gestillt sind, stellt sich für viele Menschen auch die Zufriedenh­eitsfrage, die ja auch mit einer Sinnfrage verbunden ist. Für die Politik wird zunehmend wichtig werden, auf Studien Rücksicht zu nehmen, die die Zufriedenh­eit erforschen. Es gibt bereits viele Studien zur Zufriedenh­eit in der Bevölkerun­g, auch in Österreich. Ich glaube, das kann die Politik nur weiterbrin­gen.

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