„Es kommt das Zeitalter der Zufriedenheit“
INTERVIEW. In einer Welt, die dem Glück hinterherjagt, wird die Zufriedenheit oft unterschätzt. Dabei haben wir viele Hebel zur Steigerung unserer eigenen Zufriedenheit selbst in der Hand.
Auf den ersten Blick ist Zufriedenheit eine scheinbar sehr individuelle Größe. Wie kann man die Zufriedenheit, die Sie als Lebenszufriedenheit bezeichnen, bei Menschen messen?
RAIMUND HAINDORFER: Die Lebenszufriedenheit versteht man als eine Gesamtbewertung der eigenen Lebensumstände, und zwar mit einem subjektiven Vergleichsstandard. Diese Gesamtbewertung lässt sich durch eine Frage herausfinden: Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig mit Ihrem Leben? Jeder Mensch, der diese Frage gestellt bekommt, hat im Moment sein eigenes Leben vor sich und beginnt, sich zu vergleichen.
Welche Vergleiche werden dazu herangezogen?
In der Regel sind es drei Vergleiche: Habe ich mich in meinem Leben verbessert oder verschlechtert? Habe ich meine Ziele erreicht? Der dritte Vergleich ist vermutlich der bekannteste: Wie stehe ich im Vergleich mit anderen? Je nachdem, mit wem man sich vergleicht, kann das Ergebnis positiv oder negativ ausfallen. Zumeist vergleichen sich Menschen mit Leuten, von denen sie annehmen, dass sie ihnen sehr ähnlich sind. In der Stadt würde man wahrscheinlich sagen: Arbeitskollegen und Freunde, am Land sicher auch Nachbarn. Diese Vergleiche sind wichtiger als Merkmale wie Einkommen oder Bildung.
Gibt es ein Rezept für die Lebenszufriedenheit?
Welche Bedingungen im Leben für die Lebenszufriedenheit wichtig sind, darüber haben schon die griechischen Philosophen Plato und Aristoteles diskutiert. Was ich in einem gerade erschienenen Buch zur Zufriedenheit von Pendlern aus Tschechien, Slowakei und Ungarn in Österreich aufschlussreich gefunden habe, ist ein soziologisches Konzept von Lebensqualität des finnischen Soziologen Erik Allardt. Er hat das Konzept von „Having, Loving, Being“begründet, das besagt: Es gibt eine Reihe von materiellen und nichtmateriellen menschlichen Grundbedürfnissen, die müssen alle befriedigt sein, damit man zu einer guten Lebensqualität kommt – die ja eine der Grundlagen für die Lebenszufriedenheit ist.
Was wird unter „Having, Loving, Being“eingereiht, um eine gute Lebensqualität zu erreichen?
„Having“, das sind die materiellen, unpersönlichen Bedürfnisse: Da zählt Allardt Gesundheit, Einkommen, Wohnbedingungen dazu, aber auch Bildung. In die sozialen Bedürfnisse kommen Dinge hinein wie Partnerschaft, Freundschaft, ein intakter Freundeskreis. „Being“bezeichnet die persönliche Entwicklung, auch das ist etwas, wonach Menschen streben und
was sie brauchen, um eine hohe Lebensqualität zu haben. Auch wichtig: dass man genügend Zeit für Freizeitaktivitäten hat. Und man braucht ein bestimmtes Level an Einkommen, um zufrieden zu sein.
Was ist ein sicherer Weg in die Unzufriedenheit?
Es ist immer auch die Frage, wie hoch wir unsere eigenen Ziele stecken. Wenn man sich immer zu hohe und zu unerreichbare Ziele steckt, dann ist das ein klassischer Weg in die Unzufriedenheit. Oder wenn ich mein Einkommen immer mit einer Person vergleiche, die viel mehr verdient, dann kann ich im Vergleich auch nicht gut abschneiden. Aber ich könnte mir überlegen, wie ich im Vergleich mit dieser Person dastehe, wenn ich auch andere Aspekte des Lebens dieser Person berücksichtige: Vielleicht habe ich dafür mehr Zeit für meine Familie oder für ganz andere Dinge, die diese Person gar nicht hat.
Wir, anders als beim flüchtigen Glück, also viel mehr selbst an unserer Lebenszufriedenheit schrauben?
Im Leben geht es darum, die passenden Vergleiche zu ziehen. Mir erscheint zielführend, dass man sich mit folgenden Fragen auseinandersetzt: Sind meine materiellen und nichtmateriellen Grundbedürfnisse alle befriedigt, kann ich hier etwas verbessern? Mit welchem Zeitpunkt aus meiner Vergangenheit vergleiche ich mich und gab es früher nicht auch schon einmal schlechtere Zeiten? Welche Ziele stecke ich mir für die Zukunft? Sind diese realistisch? Sind meine Vergleiche mit anderen Menschen nicht etwas zu eindimensional? Welche Vergleiche könnte ich ziehen, wo sich meine Lebenssituation eher positiv darstellen würde?
Welche Entwicklung nimmt die Lebenszufriedenheit im Laufe des Lebens?
Ein viel beachteter Befund ist der Zusammenhang zwischen Alter und Lebenszufriedenheit, deren Entwicklung im Leben einem U-förmigen Verlauf entspricht. Wir sind als kleine Kinder sehr zufrieden, dann aber sinkt die Lebenszufriedenheit bis etwa zu unserem 40. Lebensjahr – das ist der Tiefpunkt. Nach der Lebensmitte geht es wieder hinauf.
Die Erhöhung der gesellschaftlichen Lebenszufriedenheit – wäre das auch ein politischer Auftrag?
Generell habe ich schon das Gefühl, dass das Zeitalter der Zufriedenheit kommt. Gerade in unserer heutigen Zeit, wo auch in der breiten Gesellschaft die Grundbedürfnisse mehr oder weniger gut gestillt sind, stellt sich für viele Menschen auch die Zufriedenheitsfrage, die ja auch mit einer Sinnfrage verbunden ist. Für die Politik wird zunehmend wichtig werden, auf Studien Rücksicht zu nehmen, die die Zufriedenheit erforschen. Es gibt bereits viele Studien zur Zufriedenheit in der Bevölkerung, auch in Österreich. Ich glaube, das kann die Politik nur weiterbringen.