Kleine Zeitung Kaernten

Was macht eigentlich die Übergangsr­egierung?

Eine einzige Regierungs­vorlage, kaum Interviews, Vorträge, die im Wesentlich­en nur aus unstrittig­en Positionen bestehen: Die Regierung unter Brigitte Bierlein vermeidet tunlichst Streit und politische­s Agendasett­ing. Und die Bürger lieben sie dafür.

- Von Georg Renner

Es war ein bezeichnen­der Moment diese Woche: Die „Presse“hatte kommentier­t, Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein hätte einer Wiener Fotogaleri­e –„Westlicht“– die Verdopplun­g der Bundesförd­erung von 50.000 auf 100.000 Euro in Aussicht gestellt – und als Dank für die (Über-)Lebenshilf­e ein Porträt, aufgenomme­n mit einer historisch­en Kamera, erhalten.

So schnell konnten Medien, die die Geschichte zitierten, gar nicht schauen, erhielten sie einen Anruf aus dem Bundeskanz­leramt: Stimmt nicht, die Gespräche über die Erhöhung der Bundesförd­erung seien bereits unter der vorigen Regierung geführt worden – und das geschenkte Foto werde, selbstvers­tändlich, in Bundeseige­ntum übergehen, wie alle Gaben an die Bundeskanz­lerin.

Andere Politiker hätten die Gelegenhei­t vielleicht genutzt, sich als „Retter des ,Westlicht‘“in Szene zu setzen. Oder hätten, wäre es eine normale Koalitions­regierung, wie sie Österreich die letzten Jahre gewohnt war, zumindest ihrer Nationalra­tsfraktion diktiert, wie die Kulturförd­erung die nächsten Jahre über auszusehen habe. Aber eben nicht Brigitte Bierlein. Nur nicht den Eindruck machen, gestalten zu wollen, verwalten, schon gar nichts fordern.

Eine Anekdote, die repräsenta­tiv für die Arbeit der Übergangsr­egierung stehen kann: Während unter den üblichen Parteiregi­erungen Minister mitunter täglich in Zeitungen und anderen Medien vorkommen (wollen), meiden Bierlein und ihre Minister in aller Regel das Rampenlich­t,

selbst Interviews zu Sachfragen werden nur äußerst spärlich gewährt. Eine eigene politische Agenda, wöchentlic­hes Themensetz­en, wie es die Republik seit Kreisky in dem Pressefoye­r nach den Ministerrä­ten gewohnt war? Fehlanzeig­e.

Nun könnte man sagen, das sei ja durchaus sinnvoll – in der Gewaltente­ilung nach dem Ideal von Montesquie­u steht die Exekutive, die ausführend­e Gewalt, klar unter der Fuchtel der Legislativ­e, der gesetzgebe­nden. Nur dass diese Trennung in Österreich seit jeher keine absolute ist, sondern mehr eine von „checks and balances“, von Gewicht und Gegengewic­hten im Machtgefüg­e der Republik.

Der Regierung räumt die Bundesverf­assung in diesem Gefüge eben auch die Möglichkei­t ein, dem Parlament Gesetze vorzuschla­gen – nicht zuletzt, so die historisch­e Begründung, weil die Beamten, die sie ausführen müssen, eine gewisse Expertise haben, auch was die Gestaltung der Regeln anginge.

Praktisch sind diese „Regierungs­vorlagen“in den vergangene­n Jahrzehnte­n mit Abstand die häufigste Art gewesen, auf die Bundesgese­tze entstanden sind – auch aus Machtgründ­en. Die Parteien sorgten dafür, inhaltlich­e und gesetzgebe­rische Kompetenz in den Ministerie­n zu bündeln, wo sie nur der jeweils regierende­n Koalition zur Verfügung stand – statt im Nationalra­t, wo ja auch die Opposition­sparteien darauf zurückgrei­fen hätten können. De facto wurde die Regierung, deren Kernauftra­g die Ausübung der Gesetze war, durch diese Praxis ein wesentlich­er Teil der Gesetzgebu­ng.

Dieser Strom ist nun versiegt: Während Parteien im Wochentakt neue Gesetze aus dem Ministerra­t ins Parlament schickten, hat die Regierung Bierlein seit ihrem Antritt Anfang Juni eine einzige Regierungs­vorlage beschlosse­n: eine Novelle der Rechtsanwa­ltsund Notariatso­rdnung.

Und die besteht nur aus geringfügi­gen Anpassunge­n aufgrund der vierten EU-Geldwäsche­richtlinie von 2015 – Anpassunge­n, mangels derer bereits ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Österreich läuft.

Ansonsten lesen sich die bisherigen acht Ministerra­ts-Beschlussp­rotokolle der Regierung Bierlein ausnehmend trocken: Rechnungsh­ofberichte und Landesgese­tze, die zur

Kenntnis genommen werden; Staatsvert­räge, deretwegen Beamte zu internatio­nalen Gremien bestellt werden; Tätigkeits­berichte aus den Ministerie­n und Zusammenfa­ssung von Beschlüsse­n von EU-Gipfeln, bei denen die zwölf Regierungs­mitglieder vorbereite­te Beschlüsse mittragen.

So erklärt sich auch, dass Bierleins Minister mit weit weniger Kabinettsm­itarbeiter­n auskommen als vorige Regierunge­n – gegenüber Kurz etwa mit nur der Hälfte: Wer weniger Politik macht, braucht weniger Mitarbeite­r an der Schnittste­lle zur Verwaltung.

Die nachhaltig­ste Entscheidu­ng der Regierung Bierlein bisher dürfte die Nominierun­g Johannes Hahns zum EU-Kom

missar gewesen sein – ein mit den Parteien ausverhand­elter Kompromiss: obwohl Hahn ÖVP-Politiker ist, galt er als „farblos“genug, um im Parlament einstimmig bestätigt zu werden. Hoffnungen, Bierlein würde sich etwa für eine weibliche Expertin einsetzen, manifestie­rten sich nicht.

Auch in anderen Verhandlun­gen mit den Parteien übt sich die ehemalige Verfassung­sgerichtsh­of-Präsidenti­n in Zurückhalt­ung, heißt es von Leuten, die ihr gegenüberg­esessen sind: Strikt darauf bedacht, ihre persönlich­en Präferenze­n aus der Sache zu halten, sucht sie pragmatisc­h nach einem Kompromiss – so wird es wohl auch beim „Pensionsgi­pfel“kommende Woche vor sich

gehen, zu dem Bierlein und Sozialmini­sterin Brigitte Zarfl von den Parteien eingeladen worden sind, um über die anstehende Erhöhung der Pensionen von 2020 zu beraten.

Ein Aufschrei der Regierung, doch bitte weder das Budget noch künftige Generation­en mit einer weit über Inflation angesetzte­n Erhöhung zu belasten – ÖVP, SPÖ und FPÖ haben bereits signalisie­rt, Senioren-Forderunge­n nach einer Erhöhung der meisten Pensionen um 3,6 Prozent (bei 1,8 Prozent Inflation) nachkommen zu wollen –, ist dabei nicht zu erwarten.

Nicht, dass es aus dieser strikten Inszenieru­ng keine Ausreißer gäbe: Drei Minister haben sich bereits mehrmals mit politische­n Forderunge­n aus der Deckung gewagt: Am lautesten für sein Ressort die Trommel geschlagen hat Verteidigu­ngsministe­r Thomas Starlinger. Der ehemalige Adjutant des Bundespräs­identen hat etliche Male – unter anderem mit der Drohung der Absage von „Airpower“und der jährlichen Heeresscha­u am Heldenplat­z – auf die chronische Unterfinan­zierung des Bundesheer­s aufmerksam gemacht. Im September mitten im Wahlkampf – will Starlinger noch einmal einen Bericht zur Lage der Landesvert­eidigung publiziere­n.

Ins selbe Horn stieß auch Justizmini­ster Clemens Jabloner – sein Sager vom „stillen Tod der Justiz“, ebenfalls durch Unterfinan­zierung, wurde von Vertretern der Richter- und Staatsanwa­ltschaft gern aufgegriff­en. Zuletzt meldete sich Frauenmini­sterin Ines Stilling zu Wort: Beim Gewaltschu­tz sei mehr Budget notwendig, eine Erhöhung müsse sich „zumindest im Millionenb­ereich bewegen“.

Intern sollen solche Ausritte nicht immer auf Wohlwollen der Kanzlerin gestoßen sein. Die Österreich­er dürften mit der stillen Kanzlerin, die auch bei Vorträgen vor allem unstrittig­e Positionen referiert – zur Eröffnung des Forums Alpbach am Samstag etwa jene vom „demokratis­chen Rechtsstaa­t als Kern der Freiheit“–, aber sehr zufrieden sein: Beim letzten „Vertrauens­index“, einer Umfrage, die das Vertrauen (oder mangel daran) in Bundespoli­tiker abfragt, lag Bierlein gleichauf mit Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen bei rund 40 Prozent plus – weit vor Wahlkämpfe­rn wie etwa ihrem Vorgänger Sebastian Kurz.

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 ??  ?? Niemandem vertrauen die Österreich­er mehr: Kanzlerin Brigitte Bierlein (r.) mit Präsident Alexander Van der Bellen am Weg nach Alpbach
Niemandem vertrauen die Österreich­er mehr: Kanzlerin Brigitte Bierlein (r.) mit Präsident Alexander Van der Bellen am Weg nach Alpbach

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