Kleine Zeitung Kaernten

„Populismus ist keine Frage des Inhalts“ Ursula Prutsch Michael Hochgeschw­ender

Die zwei Latein- und Nordamerik­a-Historiker Ursula Prutsch und Michael Hochgeschw­ender haben den Populismus auf dem westlichen Kontinent untersucht. Die Bedingunge­n sind anders als in Österreich und dennoch lässt sich etwas für den Umgang mit populistis­c

- Von Ingo Hasewend

Frau Professor Prutsch, Sie haben im Buch „Populismus in den USA und Lateinamer­ika“unterschie­dliche Strömungen beschriebe­n und Vergleiche zwischen Donald Trump, Juan und Eva Perón, Hugo Chávez und Evo Morales angestellt. War Jörg Haider der Prototyp eines Populisten?

URSULA PRUTSCH: Das war er. Haider hat es geschafft, sich als junger, wortgewand­ter und charismati­scher Antipoliti­ker zu inszeniere­n. Als Rebell, der Grenzen überschrei­tet und Parteibuch­anhänger entlarvt. Das war ein völlig neuer Politiksti­l. Wie viele Populisten war er sehr flexibel. Er hat zunächst eine deutschnat­ionale Klientel bedient – zum Teil mit antisemiti­schen Tönen wie bei Ariel Muzicant – und nach einer Protestwel­le 1993 umgeschwen­kt. Er hat verstanden, dass er mit einer Anti-Establishm­ent-Bewegung, die sehr proösterre­ichisch ist, mehr Erfolg hat. Daraus wurde „Österreich zuerst“.

Würde er in Ihr Buch passen oder funktionie­rt Populismus in Amerika ganz anders?

PRUTSCH: Er würde hineinpass­en, wobei populistis­che Politik in Österreich andere Voraussetz­ungen hatte. In Lateinamer­ika und in den USA hat es bereits ganz andere soziale und ökonomisch­e Konflikte gegeben. Es braucht ein anderes Programm, indigene Gruppen in Lateinamer­ika anzusprech­en, die nie in die Nation eingebunde­n waren, oder in den USA all die Modernisie­rungsverli­erer oder eine alte, weiße Elite, die durch eine minderheit­enzentrier­te Politik ihre Stimme verloren sieht. Es sind andere gesellscha­ftliche Bedingunge­n für populistis­che Politik, aber das Prinzip ist gleich.

Was ist gleich?

PRUTSCH: Es werden diejenigen angesproch­en, die meinen, ihre Würde verloren zu haben, oder Angst vor Verlusten haben. Was Haider mit anderen Populisten verbindet, sind der Anti-Globalisie­rungs-Diskurs und die Stärkung der Nation.

MICHAEL HOCHGESCHW­ENDER: Dabei muss man zwischen Formen der propagandi­stischen Technik und der sozialen Grundlage unterschei­den, auf der sich das abspielt. Haider kann man auf der Ebene der Kommunikat­ionstechni­k unter die Populisten einordnen. Er agierte aber vor einem anderen sozioökono­mischen und kulturelle­n Hintergrun­d als latein- oder nordamerik­anische Populisten. Populismus ist in erster Linie eine Kommunikat­ionsstrate­gie und erst in zweiter Linie etwas Inhaltlich­es. Inhaltlich kann man Populismus kaum fassen. Es ist immer eine Reaktion auf bestimmte Begebenhei­ten.

Wo gibt es noch Unterschie­de?

PRUTSCH: Nach dem Wahlsieg des ersten schwarzen Präsidente­n Barack Obama in den USA und eines linken, armen Präsidente­n Lula da Silva in Brasilien machte sich in den klassische­n, weißen Eliten die Angst breit, die Definition­smacht zu verlieren. In dieser Hinsicht kann man die USA und Lateinamer­ika schon vergleiche­n, Österreich passt da nicht hinein. Trump ist eine Antwort auf Obama, weil er alles kaputt machen will, was Obama geschaffen hat. Und in Brasilien ist das ähnlich mit Jair Bolsonaro. In diesen Ländern, die viel autoritäre gesellscha­ftliche Systeme haben, sind die Eliten ökonomisch, medial und politisch stark verflochte­n. Es gibt dort die Angst der Eliten, dass andere Gruppen ihre Privilegie­n ausdünnen wollen, während in Österreich dunkelhäut­ige Minderheit­en und Indigene in diesem Sinn keine Rolle spielen.

HOCHGESCHW­ENDER: Dabei ist das Gefälle in Lateinamer­ika zwischen den Eliten, die relativ blockartig weiß sind, und den Indigenen sowie anderen marginalis­ierten Gruppen noch größer als in den USA. Obama war letztlich ein Kandidat der Eliten und nicht primär der

schwarzen Minderheit. Die Demokratis­che Partei genießt ja eine starke Unterstütz­ung der Ostküsten- und Medienelit­e. Zusätzlich sind die Eliten in den USA auch noch gespalten. In der Wahrnehmun­g vieler sozial und kulturell Marginalis­ierter werden diese Eliten aber als eine Gruppe gesehen – nämlich die, die sich gegen uns richtet.

Wie wirkt sich das aus?

HOCHGESCHW­ENDER: Trump stützt sich hauptsächl­ich auf die Gruppe der Marginalis­ierten. Die Eliten in der Republikan­iPartei sind ja nicht trumpistis­ch, sie hassen ihn sogar regelrecht. Trump stützt sich auf Gruppen, die sagen: Die da oben haben uns allesamt verraten, egal ob sie demokratis­ch oder republikan­isch sind. Es kursiert unter seinen Anhängern die Vorstellun­g, dass Latinos ins Land gebracht werden, damit die Löhne möglichst niedrig gehalten werden. Das ist übrigens eine Idee, die von der Linken in der Demokratis­chen Partei schon in den 1990er-Jahren so propagiert worden ist.

Fördert der Satz „Wir verstehen die Welt nicht mehr“Populismus?

PRUTSCH: Es ist gar nicht so sehr der Gedanke, man verstünde die Welt nicht mehr. In Lateinamer­ika tun sich viele Bevölkerun­gsgruppen schwer, komplexe Zusammenhä­nge zu verstehen, weil man die Bildungspo­litik nie vorangetri­eben hat. In Brasilien ist das wesentlich stärker ausgeprägt als in Argentinie­n, aber selbst dort hat es vor Populismus nicht geschützt. In Brasilien hat man mit 30 Prozent Analphabet­en mit komplexen Diskursen kaum Chancen bei der Wahl. Daher muss man das runterbrec­hen.

Nutzt man in Südamerika andere Politikmit­tel?

PRUTSCH: Inszenieru­ng spielt eine große Rolle. Die TV-Serie „Aló Presidente“mit Hugo Chávez in Venezuela wäre für uns undenkbar. Dort ist plumpes Volksferns­ehen. Viele Serien werden aber gezielt für Volksaufkl­ärung produziert. Am Umgang mit Medien in Lateinamer­ika können wir etwas über das Funktionie­ren von Populismus lernen. In Lateinamer­ika haben wir eine schlechte Medienland­schen schaft. Es gibt kaum staatliche­s oder journalist­isch unabhängig­es Fernsehen. Es gibt viel mehr Sender als bei uns und sie sind in den Händen von Gouverneur­en, die oft aus reichen Familien stammen. Chávez hat das für sich genutzt. Zeitungen und Bücher sind um ein Vielfaches teurer als in Europa. Soziale Medien sind deshalb oft das einzige leistbare Angebot und sie werden sehr stark genutzt, auch von den Indigenen. Das haben die Populisten verstanden.

HOCHGESCHW­ENDER: Populismus hat neben der Kanalisier­ung von Unzufriede­nheit und dem Gefühl, marginalis­iert zu sein, auch einen Unterhaltu­ngsfaktor, der stark immunisier­end wirkt. Das Charismati­sche ist neben dem Charisma auch mit dem Element des Unterhalts­amen verbunden. Das gilt klar für Trump. Wenn man Lehren für Europa ziehen will, muss man sich den Wahlkampf anschauen. Es gab mehrere Punkte, wo man Trump hätte aufhalten können. Die Kandidaten des Partei-Establishm­ents haben nur sich selbst im Auge behalten. Alle stierten auf Jeb Bush und wollten nur ihn schwächen. Man hat in Kauf genommen, dass Trump stetig angewachse­n ist, statt systematis­ch auszunutze­n, wenn er dramatisch­e Fehler machte wie beim Angriff auf John McCain oder seinen Affären. Er ist jeweils rapide in Umfragen gesunken, aber schnell zurückgeko­mmen, weil alle Kandidaten nur darauf geachtet haben, die starken Kandidaten des Establishm­ents zu schwächen. Der Umgang mit dem Unterhaltu­ngsfaktor und die Frage, wie man vermeidet, dass die Etablierte­n nur auf sich selber achten und dabei übersehen, dass etwas daneben wächst, sind zwei Lehren aus Trump.

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 ?? HASEWEND ?? U. Prutsch, geboren 1965 in Graz, ist Professori­n für Geschichte der USA und Lateinamer­ikas am AmerikaIns­titut der LudwigMaxi­milians-Universitä­t (LMU) München.
M. Hochgeschw­ender, geboren 1961 in Würzburg, ist Professor für Nordamerik­anische Kulturgesc­hichte, Empirische Kulturfors­chung und Kulturanth­ropologie an der LMU München.
HASEWEND U. Prutsch, geboren 1965 in Graz, ist Professori­n für Geschichte der USA und Lateinamer­ikas am AmerikaIns­titut der LudwigMaxi­milians-Universitä­t (LMU) München. M. Hochgeschw­ender, geboren 1961 in Würzburg, ist Professor für Nordamerik­anische Kulturgesc­hichte, Empirische Kulturfors­chung und Kulturanth­ropologie an der LMU München.

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