„Kärnten bleibt meine erste große Liebe“
Vom 630-Seelen-Dorf ins Wiener Rathaus: Birgit Hebein, Vizebürgermeisterin von Wien, im Gespräch über ihren Blick auf ihr Heimatland von außen und über Kärntner Nudeln im Gefrierschrank.
Das Kärntnerische hört man bei Ihnen gar nicht mehr heraus. Hat sich das über die Jahre entwickelt oder haben Sie sich das bewusst abgewöhnt?
BIRGIT HEBEIN: Das liegt daran, dass ich seit mehr als 30 Jahren in Wien lebe. Aber keine Sorge, sobald ich mit der Verwandtschaft telefoniere, ist das deutlich hörbar. Man vergisst ja nie, woher man kommt. Warum auch?
Sie kommen aus dem 630-Seelen-Ort Feistritz/Gail, wo jeder jeden kennt. Wie haben Ort und Familie reagiert, als Sie Vizebürgermeisterin der Bundeshauptstadt geworden sind?
Für meine Angelobung sind sogar viele aus dem Dorf nach Wien gefahren, das war schön. So nach dem Motto: „A Unsrige is in Wien Vizechefin.“Und die Verwandtschaft hat mich auch unterstützt. Und mir geraten: „Lass dir da nix gefallen.“
Wenn Sie heute in den Ort zurückkehren, fühlen Sie sich dann daheim oder fremd, weil Wien die neue Heimat ist?
Fremd fühle ich mich gar nicht. Ich sage immer: Wien – insbesondere der 15. Bezirk – ist meine zweite große Liebe. Hier – übrigens im ärmsten Bezirk Wiens – lebe ich und ziehe meine Kinder groß. Das ist mein Grätzl, hier fühle ich mich wohl. Aber meine erste große Liebe ist und bleibt Kärnten. Ich fahre regelmäßig in die alte Heimat, um die Verwandtschaft zu besuchen, mit meinen Kindern in die Berge oder in den Stall zu gehen und, um Kräuter zu sammeln. Aus denen mixe ich nämlich Salben. Eines meiner Hobbys.
Welche mixen Sie am liebsten?
Ringelblume.
Wann haben Sie entschieden: Weg von Wildkräutern und Dorf und raus nach Wien?
Mein ganzes Leben lang haben mich Begegnungen mit Menschen geprägt. Ich habe es meiner Mutter zu verdanken, dass ich in die Schulen gehen durfte – denn das war in meiner Familie damals nicht üblich. Sie selbst hatte keine Lehre machen dürfen. Und in der Schule habe ich eine Klosterschwester kennengelernt, die mich dazu motiviert hat, nach Wien zu gehen und die Sozialakademie zu machen. Und auch in Wien waren es die Begegnungen, die alles geprägt haben. Ich habe hier alle Parteien kennengelernt und bei den Grünen hatte ich das Gefühl, dass das, was sie sagen, mit dem, was sie tun, am ehesten übereinstimmt. Und auch heute als Vizebürgermeisterin sind es wieder die Menschen, die für mich alles ausmachen.
Kärnten verliert als einziges Bundesland Einwohner, viele Junge brechen – wie Sie – ihre Zelte ab. Macht Ihnen das Sorgen?
Ich kann es vor allem nachvollziehen, weil die Jungen nach Perspektiven suchen – und nach einer Arbeit, von der man leben und sich eine eigene Zukunft aufbauen kann. Natürlich muss die Politik hier handeln und
dementsprechende Strukturen aufbauen, damit das auch am Land möglich ist.
Was müsste die Landespolitik in Kärnten hier tun?
Ich werde hier nicht von Wien aus „obergscheid“dreinreden. Das haben die Kärntner noch nie ausstehen können, das weiß ich noch (lacht). Aber die Schaffung von Arbeitsplätzen ist in diesem Bereich sicher das Um und Auf. Ob in Form von erleichterten Betriebsansiedelungen oder in Form von sanftem Tourismus. Da kann man viel machen.
Hätten Sie diese Maßnahmen damals halten können?
Ich habe schon alle Groschenstücke für die Hochzeitsschuhe beisammen gehabt und der Baugrund stand auch schon bereit. (lacht) Aber im Leben kommt es eben oft anders. Ich habe die Chance erhalten, meinen Weg zu gehen. Und ich werde alles dafür tun, dass es allen Kindern in Wien auch so geht.
In Wien sind Sie neben Vizebürgermeisterin auch Stadträtin für Verkehr und Klimaschutz. Themen, die auch in Ihrer ehemaligen Heimat angekommen sind?
Ich merke bei der Verwandtschaft, dass es Thema ist, weil es überall spürbar ist. Im Sommer muss die Feuerwehr fast täglich Wasser für die Tiere auf die Almen bringen. Es ist spürbar, damit ist es ein Thema und das finde ich gut. Darin liegt eine große Chance, dass sich etwas ändert. Und das wird es müssen. Es gibt eine Studie, die besagt, dass es in Wien bis 2050 um acht Grad heißer werden könnte. Wir müssen Städte abkühlen, ohne fossile Energie bauen, CO2 radikal senken, weil wir die Verantwortung für die nächsten Generationen tragen.
Wie blicken Sie von außen auf Kärnten? Und hat sich dieser Blick über die Jahre verändert?
Das Land hat sich natürlich verändert, Kärnten ist in den letzten 30 Jahren ja nicht stehengeblieben. Mein Blick ist ein vielseitiger, weil ich selbst von Kärnten so viel mitgenommen habe. Aber ja, heute ist dort Vieles selbstverständlicher, aber auch freier.
Sie haben slowenische Wurzeln. Wie haben Sie den Streit um die Ortstafeln aus der Ferne erlebt?
Leider kann ich Slowenisch nicht sprechen, nur die Lieder kann ich singen. Ich habe diesen Streit einfach nie verstanden, der ja sogar durch Familien gegangen ist. Jetzt gibt es eine junge Generation, die das alte Liedergut wieder weitergibt. Da hat sich viel zum Positiven verändert.
Gibt es etwas, das Sie besonders an Kärnten vermissen?
Die Kärntner Krape (Kärntner Nudeln, Anm.) sind noch immer meine Lieblingsspeise. Wenn meine Mutter in Wien ist, macht sie mir immer eine große Ration, mein ganzer Gefrierschrank ist voll davon (lacht). Das ist eine eigene Wissenschaft.
Haben Sie je über eine Rückkehr nach Kärnten nachgedacht?
Nein, meine Kinder sind hier und damit mein Lebensmittelpunkt. Was ich mir aber offenlasse, ist, ob ich vielleicht irgendwann im hohen Alter wieder aufs Land zurückziehe.