Keine Zeit für Aufmerksamkeit?
Zukunftsforscher Andreas Reiter erklärt, warum das Smartphone uns vom Zuhörer zum Zuschauer macht und was Tattoos damit zu tun haben.
Ich denke, dass viele diese Aufmerksamkeit alleine schon von der Zeit her nicht mehr aufbringen können. Man sitzt im Café, hört zwar zu, aber sieht regelmäßig auf sein Handy. Ganz deutlich fällt das auch im Geschäftsleben auf. In einem Meeting schauen von zehn Leuten drei immer wieder einmal auf ihr Smartphone. Aber das heißt nicht, dass sie nicht zuhören. Das Gehirn adaptiert sich. Außerdem: Überall dort, wo es ein Defizit gibt, wird dieses wiederum mit Inszenierungen aufgehoben. Es ist ein Wesen der Gesellschaft, Lösungen anzubieten, wo Defizite entstehen. Wenn es Aufmerksamkeitsprobleme gibt, dann wird eben inszeniert. Zum Beispiel mit einer Achtsamkeitskultur, wo man stundenlang darüber spricht, von welchem Bauern die Produkte kommen. Oder auch beim Essen, was da für ein Aufwand betrieben wird. Auch Manufakturen sind wieder in. Wenn alles schneller und vergänglicher wird, dann nehmen die Dinge zu, die dauerhaft sind. Das ist auch die Erklärung für Tattoos, die ja mittlerweile flächendeckend verbreitet sind. In Wien gibt es zum Beispiel eine Kreativgruppe, die die „Vienna Coffeehouse Conversations“inszenieren. Man setzt sich dabei an einen Tisch mit Wildfremden und bekommt eine Liste mit Fragen wie „Was war der Moment Ihres Lebens, den Sie am meisten bedauert haben?“. Es handelt sich um sehr intime Fragen, die man mit einem Fremden nicht unbedingt besprechen möchte. Aber es fällt einem in dieser Inszenierung vielleicht leichter.