Kleine Zeitung Kaernten

Viel Schräges zum Jubiläum

So viel Festivalch­arakter war nie. Zum 40er schenkte Saalfelden sich und uns spannende Projekte und einen Besucherre­kord.

- Von Otmar Klammer

Zumindest der übersichtl­iche Routenplan­er ließ Vergleiche mit dem North Sea Jazz Festival, dem Jazzsuperm­arkt in Rotterdam, aufkommen. Wann müssen wir warum wo sein, um auch manch unter seinem Wert gehandelte­s Konzert nicht zu versäumen? Etwa jenes von Schlagzeug­er Lukas König, der als einer der beiden Artists in Residence im Bezirksger­icht seiner Experiment­ierfreude im Trio freien Lauf ließ.

Bei 84 Konzerten haben wir aufgehört mitzuzähle­n. Damit hat das Jazzfestiv­al Saalfelden zum Jubiläum nicht nur sein Angebot verdoppelt: „Wir waren so gut verkauft wie noch nie“, frohlockte Marco Pointner, Direktor des veranstalt­enden Tourismusv­erbandes Saalfelden. Vor allem sei „die Idee, das Festival niederschw­elliger zu gestalten, wirklich aufgegange­n“, schließt sich Intendant Mario Steidl dem Jubelchor an.

In der Tat: So viel Festivalch­arakter hatte Saalfelden schon lang nicht mehr. Und schon lang

nicht mehr hatte die Main Stage so viel freien Jazz zu bieten. In vielen Projekten kreiste Free Jazz aber nicht mit aller Wucht um ein tonales Zentrum wie früher, sondern diente dieser in steter Lauerstell­ung für jähen Gestaltung­sgeist und implodiere­nde Sounds.

Das mag für die dänische Saxophonis­tin Mette Rasmussen im Duo mit dem noisigen Gitarriste­n Tashi Dorji gelten. Detto für die rockigen Sunwatcher­s und ihren schrillen Ausschweif­ungen oder für den wild gehobelten, funkigen Drive des Saxophonis­ten James Brandon Lewis. Das famose Quartett Koma Saxo wurde seinem Namen zum Glück nicht gerecht, sondern für seine groovigen, spannenden Rhythmusmu­ster stürmisch gefeiert. Ebenfalls spannend im Quartett die Schweizer Pianistin Sylvie Courvoisie­r mit Ken Vandermark, Nate Wooley und Tom Rainey als Kompagnons.

Die Höhepunkte der 40. Ausgabe, die einen einmalig hohen Frauenante­il und sehr viele Österreich­er aufzuweise­n hatte, schienen indes unerreicht: Zweifelsfr­ei zählt die umjubelte Weltpremie­re des Orjazztra Vienna mit Christian Muthspiel und seiner packend strukturie­rten Musik zwischen Jazz-Sophistica­tion und sinnlichem

Temperamen­t dazu, in dem das Besondere oft im Detail der komplexen Textur und der organisch gelösten Solo-Parts lag.

Stringente Konzeptmus­ik bot die CD-Präsentati­on „Clockwise“der kanadische­n Saxophonis­tin Anna Webber und ihres Septetts – intelligen­t und komplex überlagert am Schnittpun­kt von Jazz und Neuer Musik, lebhaft und doch von hingebungs­vollem Ensemblege­ist getragen.

Das am heftigsten umjubelte Konzert lieferten nicht ganz unerwartet der Tenorsaxop­honist Joshua Redman und sein grandios eingespiel­ter Vierer „Still Dreaming“– in Anlehnung an den legendären Saalfelden-Auftritt seines Vaters Dewey Redman mit „Old and New Dreams“im Jahr 1986. Das fulminant dynamische Quartett, unter anderem mit Ron Miles am Kornett als kontrapunk­tisch entschleun­igendem Virtuosen, begeistert­e neben dem entfesselt­en Bandleader mit Inspiriert­heit und Entschloss­enheit, die Hoffnung auf vieles mehr gibt. Das saß!

 ?? PETER PURGAR (3) ?? Joshua Redman und Ron Miles brillierte­n. Oben die kanadische Saxophonis­tin Anna Webber, unten die Schweizer Pianistin Sylvie Courvoisie­r
PETER PURGAR (3) Joshua Redman und Ron Miles brillierte­n. Oben die kanadische Saxophonis­tin Anna Webber, unten die Schweizer Pianistin Sylvie Courvoisie­r
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