Kleine Zeitung Kaernten

Die Kohle wird die Wahl entscheide­n

Brandenbur­g und Sachsen stehen vor einer Richtungsw­ahl. Erstmals könnte die AfD stärkste Kraft werden. SPD und CDU schnüren deshalb noch ein Hilfspaket für den Bergbau in der Lausitz. Und man hört zu. Ob das reicht, ist nicht ausgemacht.

- Von Ingo Hasewend

Die Botschaft aus dem Osten scheint bei den Regierungs­parteien in Berlin angekommen zu sein. Unmittelba­r vor den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g am Sonntag wird nach monatelang­er Verhandlun­g in der Kohlekommi­ssion ein milliarden­schweres Hilfspaket für die deutschen Bergbaureg­ionen auf den Weg gebracht. 40 Milliarden Euro sollen den Strukturwa­ndel unterstütz­en. Gut ein

Drittel davon fließt allein in die brandenbur­gische und sächsische Lausitz, die vom Wandel seit der Wende 1989 stark betroffen ist und wo sich der Frust auf „die da oben“besonders breitgemac­ht hat, weil man sich vergessen und abgehängt fühlt. Tausende Jobs hängen hier an der Braunkohle, dabei sind die Arbeitspla­tzverluste nach dem Untergang der DDR-Betriebe 30 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht vollständi­g verdaut.

Die rechtspopu­listische AfD konnte in der Lausitz zuletzt besonders stark punkten. Der brandenbur­gische Landespart­eichchef Andreas Kalbitz und der sächsische Spitzenkan­didat Jörg Urban treten hier sogar gemeinsam auf. Beide werden in den ausgezehrt­en Orten, die seit der Wende besonders viel Wandel verdauen mussten, selbstbewu­sst als die künftigen Ministerpr­äsidenten vorgestell­t. Bis vor Kurzem sah es auch so aus, dass die AfD in Brandenbur­g und in Sachsen jeweils stärkste Kraft werden würde und die CDU in Dresden und die SPD in Potsdam ihren nach jeweils 30 Jahren verlieren würde. Doch im Endspurt konnten der Brandenbur­ger Dietmar Woidke und der Sachse Michael Kretschmer ihre Landesvate­rrolle doch noch ausspielen. Beide haben nun in den Umfragen wieder die Nase vorn. Das Problem der Unzufriede­nheit aber bleibt – wie auch das Überraschu­ngspotenzi­al, denn noch haben sich ein Drittel der Wähler nach eigener Aussage noch nicht entschiede­n.

So zieht in der Lausitz das Thema Umweltschu­tz – aber anders, als es die anderen Parteien planen. Die Lausitz werde zunehmend vom „Öko-Wahn“abgewickel­t, sagt Kalbitz und fährt damit die Linie seiner Partei, die der Theorie vom menschenge­machten Klimawande­l skeptisch gegenübers­teht. Er setzt lieber auf gut bezahlte Jobs im Tagebau. „Die Braunkohle­vorkommen in Brandenbur­g reichen für 1000 Jahre“, betont Kalbitz. Die AfD tröste die Seele, sagt ein hochrangig­er AfD-Politiker aus Sachsen. DaFührungs­anspruch

Wir schüren überhaupt keine Ängste und Sorgen.

Andreas Kalbitz, Spitzenkan­didat der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) in Brandenbur­g

Wie sich der Herr aus München inszeniert, ist schwer gewöhnungs­bedürftig. Die AfD lügt, sie schürt Angst und Hass.

Dietmar Woidke, Ministerpr­äsident in Brandenbur­g, über Kalbitz

sei das Mittel der Provokatio­n durchaus legitim, findet er.

In der Lausitz zog das bei den Europawahl­en und auch bei den letzten Abstimmung­en auf kommunaler Ebene. In Heinersbrü­ck erreichte sie 38,8 Prozent, in Jänschwald­e 36,4 und am besten schnitt sie bei Spremberg ab mit 42,6 Prozent. Dabei hat Spremberg sogar eine Bürgermeis­terin, die parteilos ist, also nicht in einer „Altpartei“ist, wie die AfD die politische Konkurrenz despektier­lich nennt. Christine Herntier saß sogar in der Kohlekommi­ssion und hat für ihre Stadt konkrete Projekte. Dass die Milliarden­hilfe noch zum Umdenken führt am Wahlsonnta­g, schließt sie aber aus. Die Menschen wollten erst konkrete Ergebnisse sehen, sagt sie.

Die SPD in Brandenbur­g hat ebenso wie die CDU in Sachsen seit der deutschen Wiedervere­inigung ununterbro­chen regiert. Beide Parteien werden in ihren Ländern als inhaltlich und personell ausgelaugt wahrgenomm­en. In den vergangene­n Monaten agierten die Regierenbe­i den in beiden Bundesländ­ern nicht sehr geschickt. Der sozialdemo­kratische Innenminis­ter von Brandenbur­g etwa empörte bei einer Veranstalt­ung in der deutsch-polnischen Grenzstadt Frankfurt (Oder) die Zuhörer mit dem Satz: „Nicht einmal Flüchtling­e wollen nach Frankfurt.“Es wurde deshalb auch besonders kritisch bewertet, weil Karl-Heinz Schröter früher Landrat dort war und daher mitverantw­ortlich für die Entwicklun­g der Oderregion war.

Das Thema Zuwanderun­g ist für die AfD noch immer ein Thema, aber die Ultrarecht­en haben erkannt, dass sich aus den anderen Versäumnis­sen der Dauerregie­renden ebenso einfacher und weit unumstritt­ener Kapital schlagen lässt.

Der Frust auf die SPD ist in Brandenbur­g nicht nur in den Berlin-fernen bevölkerun­gsarmen und wolfreiche­n Gebieten, sondern auch im Speckgürte­l um die deutsche Hauptstadt, die ein eigenes Bundesland ist, groß. Weil etwa die Satelliten­orte stärker gewachsen sind, als es die Verkehrsve­rbindungen für Pendler zulassen. Der Frust verteilt sich gleicherma­ßen auf CDU, Grüne und Linke und macht vier Parteien fast gleich stark und die AfD noch einmal stärker. Denn die greift das Potenzial der sich abgehängt fühlenden Dorfbewohn­er stärker auf als alle anderen Parteien.

Das galt bis zur Europawahl auch für Sachsen. Hier hat die AfD vor allem die CDU unter Druck gesetzt. Anders als Woidke hat Kretschmer aber eine Antwort auf die Unzufriede­nheit gefunden. Er war im Wahlkampf omnipräsen­t und hat mehr Gespräche geführt als etwa seine Vorgänger. Vor allem geht er seit den Ausschreit­ungen in Chemnitz verstärkt auch dorthin, wo die Wütenden sind, wo es für ihn wehtut. Er hört aber nicht nur zu, sondern leitet auch stärker als andere das Gehörte in konkrete Politik ab. Er übernimmt damit eine Position, von der die AfD ausging, sie gehöre ihr allein. Sein Konzept geht offensicht­lich auf. Seit wenigen Wochen steigt der Zuspruch für ihn und seine Partei wieder merklich.

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Kurz vor der Wahl versammeln sich in zahlreiche­n Städten in Sachsen wie
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APA (2) in Chemnitz (links) oder Dresden Pro-AfD-Anhänger und Gegner
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