Ein Kraftort abseits der gewohnten Pfade
Junge Menschen und Erfindergeist: Im malerischen Bergdorf Illegio in Carnia stehen die Einheimischen hinter Kunst- und Kulturprojekten.
Schon nach acht kurvenreichen Kilometern scheint jeglicher Trubel weit weg zu sein. Nicht ganz: So mancher Reisebus karrt Gruppen von Kunstbegeisterten auf 576 Meter hinauf. Rund 40.000 Besucher kommen zwischen Mai und Oktober hierher, um sich Exponate aus europäischen Museen anzusehen. Zwischen den Steinhäusern erblühte schon im Jahr 2000 etwas Neues. Ehrenamtliche Mitarbeit brachte den Sprung vom Regionalen zum Internationalen.
Illegianer zu sein, bedeutet, einer Welt anzugehören, die es nur noch hier oben gibt. Das Bergvolk musste sich immer wieder an neue Situationen anpassen, um zu überleben. Aber das Traditionelle blieb auch erhalten, bis hin zu heidnischen Gebräu
chen. Gepflegt nicht nur von den Altvorderen.
Junge sind bei Erneuerungen stets gefragt. Die aktuelle Ausstellung „Maestri“mit 40 Meisterwerken ist LehrerSchüler-Beziehungen gewidmet. So vielseitig die Geschichten über die Bilder sind, so umfassend sind ihre Zugänge: Pädagogik, Kunst, Kultur, Philosophie und Religion. Die persönliche Atmosphäre während der Führungen ist beiden Initiatoren ein großes Anliegen. Zwei Geistliche im Doppelpack: Pfarrer Don Alessio Geretti und Priester Don Angelo Zanello. „Unsere Vision besteht in der großen Wirkung von Kunst. Die Menschen sollen dazu bewegt werden, über wesentliche Lebensfragen nachzudenken“, so Kurator Geretti.
Eines haben fast alle Gemälde in diesem Reigen gemeinsam: Die Charaktere stehen in Beziehung zueinander, egal ob auf Augenhöhe oder nicht. Die präzise Auswahl der 40 Meisterwerke ebnet die Sicht auf christliche Werte. Ohne erhobenen Zeigefinger. Vertreten sind unter anderem: Harold Copping („Der Esel“), Pierre Jacques Dierckx („Die Stricklektion“), Giuseppe Costantini („Die Dorfschule“), Jules-Jean-Henri Geoffroy („Kindergarten“), Jules BastienLepage („Diogenes“), Vittorio Bonatti („Der Animateur“), Ludwig Deutsch („Der Koranlehrer“) oder Giuseppe Bezzuoli („Die Schule von Athen“).
Wer nach dieser Zeitreise von eineinhalb Stunden Stärkung benötigt: Traditionelle Küche bietet zum Beispiel La Buteghe Di Pierute. Empfohlen seien die köstlichen Teigtaschen Cajsons. „Die Zutaten stammen aus der Region“, versichert der junge Wirt. Er zeigt auf die angrenzenden Berge und bedauert, dass hier nur mehr wenige Kühe weiden. Firmino Scarsini mahlt nach Voranmeldung gerne in seinem kleinen Museum, Mulin dal Flec, Polentamehl aus Ursorten. Nach all den Gaumenfreuden fahren Touristengruppen zumeist wieder ins Tal. Individuell Reisende können hingegen noch verweilen. Wer Zeit findet, sich auf den Kraftort und seine Bewohner noch näher einzulassen, dem offenbaren sich Pfade abseits der üblichen Route entlang des Mühlenweges. Schritt für Schritt, a piedi.
Das weiße Gotteshaus Sankt Florian thront förmlich über dem Dorf und lässt die Geschichte erahnen: Römer, Langobarden und Kelten hinterließen Traditionen. Illegio ist wie ein Mosaik, das sich immer wieder neu zusammensetzt. Begegnungen zwischen Gelehrten und Schülern, Einheimischen und Besuchern, sie alle hinterlassen Spuren in den Herzen.