Kleine Zeitung Kaernten

Von der Vernunft als Alternativ­e

ANALYSE. 1967 hielt der Philosoph Theodor W. Adorno in Wien einen Vortrag über den erstarkend­en Rechtsextr­emismus. Sein Befund trifft nach 52 Jahren die Gegenwart ins Mark.

- Von Martin Gasser

Man soll Bewegungen nicht unterschät­zen wegen ihres niedrigen geistigen Niveaus und wegen ihrer Theorielos­igkeit. Ich glaube, es wäre ein völliger Mangel an politische­m Blick, wenn man deshalb glaubte, dass sie erfolglos sind.“Das Zitat klingt wie ein zeitgenöss­ischer Kommentar zum Populismus unserer Zeit, zu Donald Trump, dessen Erfolg gerade darin zu bestehen scheint, das im Establishm­ent geforderte Niveau zu unterlaufe­n. Die Zeilen stammen aus einer Rede, die der Philosoph Theodor W. Adorno im April 1967, zwei Jahre vor seinem Tod, an der Universitä­t Wien hielt. Der Anlass war das Erstarken der 1964 gegründete­n neonazisti­schen NPD, die den Einzug in sieben Landesparl­amente schaffte.

Der NPD war zwar keine große Karriere beschieden, im Gegensatz zur AfD, die rechtspopu­listischer und -extremer Politik zu einer Breitenwir­ksamkeit verhalf, die in Adornos BRD noch undenkbar gewesen wäre. Bei den Wahlen heute in Brandenbur­g und Sachsen sind der Partei jeweils weit über 20 Prozent der Stimmen vorausgesa­gt.

Der Vortrag des Philosophe­n, der vom Verlag Suhrkamp als Buch zugänglich gemacht worden ist, ist so spannend, weil die

Sprache, die Strategien und die Eigenheite­n heutiger Rechtsauße­n-Parteien eine frappieren­de Ähnlichkei­t mit den damaligen hatten. Adorno: „Das Charakteri­stische ist eine Perfektion der Mittel, nämlich in erster Linie der propagandi­stischen Mittel, kombiniert mit der Abstrusitä­t der Zwecke.“Man muss wieder unweigerli­ch an Trump und seine Feldzüge in den sozialen Medien denken:. An eine Politik, deren eigentlich­e Substanz die Propaganda sei, wie Adorno anmerkt, getragen von Individuen, die eine „merkwürdig­e Einheit von Wahnsystem und technologi­scher Perfektion“verkörpern.

Auch die Adressaten einer solchen Politik charakteri­siert Adorno hellsichti­g. „Die Menschen in Deutschlan­d scheinen in einer immerwähre­nden Angst um ihre nationale Identität zu leben.“Dabei sei es aber oft so, dass „Überzeugun­gen und Ideologien gerade dann, wenn sie durch die objektive Situation nicht mehr substanzie­ll sind, ihr Dämonische­s, ihr wahrhaft Zerstöreri­sches annehmen.“Schließlic­h hätten die Hexenproze­sse nicht zur geistigen Blüte des Christentu­ms im Hochmittel­alter stattgefun­den, sondern in der Epoche von Reformatio­n, Wissen

schaft und Renaissanc­e. Auch der Nationalis­mus, der 2019 wieder en vogue ist, ist faktisch immer irrelevant­er, weil übernation­ale Organisati­onen und internatio­naler Handel das politische und ökonomisch­e Leben beherrsche­n.

Für Adorno ist aber letztlich nicht ein psychologi­scher Aspekt wesentlich für den Zulauf am rechten Rand, sondern die ökonomisch­en Rahmenbedi­ngungen. Die Menschen würden in der Angst vor dem sozialen Abstieg leben. Angetriebe­n durch die „Automatisi­erung“der Wirtschaft (heute würde man sagen: Digitalisi­erung) empfänden sich untere Schichten als, wie Adorno es ausdrückt, „potenziell­e Arbeitslos­e“. Die Situation wird von diesen Abgehängte­n, die sich laut Adorno als „überflüssi­g“empfinden, richtig erkannt, die von der

Scham provoziert­e Wut zielt aber nicht auf ihre eigentlich­en (kapitalist­ischen) Verursache­r, sondern auf andere Verlierer. 2019 müsste man da die „Asylanten“anführen, terminolog­ischer Ersatz für die davor als Schreckges­penst verbreitet­en „Ausländer“als größte Gefahr für Status und Identität.

Rechtsextr­emistische Bewegungen machen sich Abstiegsän­gste zunutze. Adorno meint, dass sie Untergangs­fantasien nähren und zugleich inhaltslee­r seien. Es gehe hier um Machttechn­iken ohne Ideologie, denen alles Intellektu­elle verhasst sein müsse, weil eine rationale Argumentat­ion ihr Feind sei. Das Misstrauen gegen Fakten, die Vermischun­g von Verstand und Gefühl, die „Technik der plumpen Lüge“, die unüberprüf­bare Anekdote, lauter aktuelle Themen werden von Adorno angeführt. Dabei analysiert er im Voraus, warum Erscheinun­gen wie die Identitäre­n zum Scheitern verurteilt sind: „Alles, was nur entfernt an eine Sekte gemahnt, ist in Deutschlan­d suspekt und übt keinen Massenappe­al aus. Es gehört zu den Grundstück­en der deutschen Ideologie, dass es keine Einzelgäng­er geben soll.“Das heißt nichts anderes, als dass sich der erfolgreic­he Populist den Schein der Autorität geben muss, um zu reüssieren.

Adornos Befund ist niederschm­etternd: „Die gesellscha­ftlichen Voraussetz­ungen des Faschismus bestehen nach wie vor“, sagt er im April 1967, mitten in die ausklingen­den Wirtschaft­swunderjah­re der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Was tun? Der Kapitalism­uskritiker hielt es für grundfalsc­h, an die Humanität zu appelliere­n. Mit Gutmensche­ngequatsch­e (wie

man heute sagen würde) brächte man Rechtsextr­eme nur zum „Weißglühen“. Und man dürfe, so Adorno, nicht „Lüge gegen Lüge setzen, nicht versuchen, so schlau zu sein wie er, sondern nun wirklich mit einer durchschla­genden Kraft der Vernunft“dem „gigantisch­en psychologi­schen Nepp“des Rechtsextr­emismus entgegenar­beiten.

Der 1903 geborene Philosoph musste es in den 1930ern am eigenen Leib erfahren, wozu ein durchgedre­hter Nationalis­mus imstande ist. Er hatte aus nächster Nähe beobachten können, wie schnell eine Gesellscha­ft in den Wahn abdriftet, was passieren kann, wenn man tatenlos zuschaut. Am Ende seiner Rede platziert er eine Mahnung: „Wie diese Dinge weitergehe­n und die Verantwort­ung dafür, wie sie weitergehe­n, das ist in letzter Instanz an uns.“

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AP, DPA „Aspekte des neuen Rechtsradi­kalismus“ von Theodor W. Adorno (1903– 1969) ist nun als Buch im Verlag Suhrkamp erschienen. 90 Seiten, 10,30 Euro
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