| Ein Dresdner Politologe erklärt, warum der Osten Deutschlands anders tickt
Der Politologe Patzelt sieht keinen speziellen sächsischen Nationalismus. Der Aufstieg der AfD liege in der jahrelangen Fehleinschätzung der christdemokratischen Regierenden begründet.
Wenn um 18 Uhr in Sachsen und Brandenburg die Wahllokale schließen, könnte erstmals in Deutschland die rechtspopulistische AfD in einem oder gar zwei Bundesländern stärkste Kraft werden. Doch selbst wenn sich die Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) in Dresden und Dietmar Woitke (SPD) in Potsdam doch als Sieger feiern lassen können, wird die AfD großer Gewinner sein. Es wird erneut die Frage aufwerfen, warum der Osten
Deutschlands anders tickt als der Westen.
Für den Politikprofessor Werner J. Patzelt liegen die Gründe für das Erstarken der AfD vor allem in den Fehlern der CDU. Von 1991 bis zum März 2019 lehrte der gebürtige Passauer an der TU Dresden. Jetzt sitzt er in seiner Wohnung in der sächsischen Landeshauptstadt und ortet auf Landesebene eine „christdemokratische Selbstgefälligkeit“. Die CDU regiert in Dresden seit 1990 ununterbrobis 2004 sogar mit absoluter Mehrheit. Man habe aus eigener Wahrnehmung heraus eine so erfolgreiche Politik gemacht, dass man sich um nichts kümmern müsse, sagt Patzelt. Landtagswahlen wurden als eine Art Selbstläufer wahrgenommen. Dabei hätte man gewarnt sein können, sagt Patzelt. Immerhin zog schon 2004 die NPD in den Landtag ein. Hinzu komme bei der Ursachensuche eine bundespolitische Komponente. Erst die Eurorettungspolitik der Bundesregierung, aus der ja die AfD hervorgegangen ist, und dann das beginnende Migrationsgeschehen. Die Pegida in Dresden habe das thematisiert. Die Anliegen wurden als „nur eingebildet“abgetan. 2015 wurde die AfD zur Pegida-Partei, weil sie begriffen hat, dass hinter Pegida mehr steckt als nur Faschisten und Rassisten, erklärt Patzelt. Sie erkannte, dass dort eine breite Sorge über die Tragfähigkeit der Bundespolitik fassbar wurde.
„Die Union hat in Deutschland überall dort besonders hefchen,
tig verloren, wo das Vertrauen in sie besonders groß gewesen war“, sagt Patzelt. Und Sachsen sei das letzte ostdeutsche Bundesland gewesen, wo die Anfangserfolge der CDU nach der Wiedervereinigung am längsten vorgehalten haben. Was er von CDU-Wählern oft höre, sei: „Ihr von der CDU seid die letzte feste Burg von politischem Pragmatismus und rationaler Politik. Deswegen haben wir euch in abgöttischer Liebe immer wieder gewählt. Aber dieses Vertrauen habt ihr verspielt. Nie wieder CDU.“Das ist das Besondere an der Situation in Sachsen. „Alle Versuche, etwas an einer Art sächsischem Nationalcharakter festzumachen, ist im Grunde nichts anderes als eine Form von kulturalistischem Rassismus“, sagt Patzelt.
Mit dem Versprechen von Helmut Kohl 1990, aus der ehemaligen DDR blühende Landschaften zu machen, habe die Entwicklung nichts zu tun. Die Sachsen hätten sich ab 1990 von Kurt Biedenkopf hervorragend regiert gesehen, sagt Patzelt. Es sei nicht so, dass es eine Enttäuschung darüber gebe, dass die CDU versprochen habe, das Land in Form zu bringen, und daran gescheitert sei. Sachsen schätzen den Erfolg ihres Landes, haben aber den Eindruck, dass die CDU diesen Zustand nicht erhalten kann.
Das CDU-Mitglied Patzelt hat keine wissenschaftlichen Berührungsängste mit der AfD. 2015 hat er ein Gutachten für Personen der Parteiführung in Sachsen über Björn Höcke erstellt, das ihm Rassismus nachgewiesen hat und in Absprache mit der Partei auch sofort veröffentlicht wurde. Die Auftraggeber um Frauke Petry haben sich dann von der AfD abgespalten. Höcke ist noch immer Mitglied.