Kleine Zeitung Kaernten

Abschied eines Idols

Die Zeichen stehen auf Rücktritt: Marcel Hirscher wird heute um 20.15 Uhr wohl das Ende seiner Karriere verkünden. Eine Würdigung des Ausnahmekö­nners durch Schriftste­ller Franzobel.

- Von Michael Schuen

Man hat sie noch im Hinterkopf, die Bilder von der Gold-Fahrt von Franz Klammer 1976 in Innsbruck (natürlich auch, weil sie anlässlich seines 60. Geburtstag­s wieder auf und ab gespielt wurden). Die fast leeren Straßen von Wien, die Menschentr­auben vor den Elektroges­chäften, die sich damit quasi zu „Public Viewing“-Vorreitern machten. Der Skisport hielt das Land in seinem Bann und dieses Land den Atem an – mit Happy End.

Ganz so dramatisch wird es heute nicht werden, doch wenn Marcel Hirscher um 20.15 Uhr das Podium des hippen Veranstalt­ungszentru­ms Gusswerk in Salzburg betreten wird, können alle live dabei sein. Via TV-Gerät und ORF 2 ebenso wie Servus TV – aber auch mit dem Livestream der Kleinen Zeitung. CNN ist übrigens nicht dabei, schickt aber einen Vertreter, der eine Frage stellen soll, ebenso die „New York Times“. Dabei geht es nur um die Klärung einer simplen Frage, es geht um das „Ja“zur Fortsetzun­g der Karriere – oder das „Nein“, gleichbede­utend mit dem Ende der erfolgreic­hsten Sportkarri­ere, die dieses Land

je gesehen hat. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Chancen auf das Ja schwindend klein sind, auch hart gesottene Fans müssen sich mit dem Liveabschi­ed anfreunden. Die Sucht nach Erfolgen, das Elixier des Siegens, es lockt nicht mehr. 67 Weltcupsie­ge, mehr als jeder Österreich­er zuvor, dazu acht große Weltcupkug­eln in Serie, gleich 20 mit den Diszipline­nwertungen, sieben WM-Goldmedail­len und vier Silberne und 2018 endlich auch zwei Goldene bei Olympia – das reicht dem Familienva­ter offenbar. Schon im Frühjahr, beim traditione­llen Abschlussg­espräch der Saison, hatte er den Weg vorgezeich­net: „Ganz, oder gar nicht.“Soll heißen: Entweder Angriff auf Gesamtwelt­cupsieg neun oder das Ende. Dieses „Ganz“scheint nun doch zu viel des Guten geworden zu sein. Hirscher sehnt sich nach Ruhe, Familie, Abgeschied­enheit.

Tatsache ist aber: Noch hat niemand verraten, was genau passiert. Das Team rund um Hirscher hielt dicht, der Superstar selbst spricht ohnehin nicht vor diesem Tag. Aber ehrlich: Das Einberufen einer solchen Veranstalt­ung zum Hauptabend­programm, um die Fortsetzun­g der Karriere zu verkünden, würde den Rahmen sprengen. Ebenso wie die Verpflicht­ung eines ganz besonderen Moderators: Denn Marco Büchel wird der Mann sein, der durch diese Pressekonf­erenz führt. Der Liechtenst­einer ist selbst, wie er beteuert, ratlos: „Ich weiß nicht, was passieren wird. Das erfahre ich selbst erst am Nachmittag.“Klar ist ihm aber: „Ich

bin sehr stolz und nehme es als große Aufgabe wahr, dass ich gefragt wurde, es zu machen. Es ehrt mich, dass Marcel das wollte – was auch immer passiert.“

Büchel, selbst einst Weltklasse und nun ZDF-Ski-Experte, kennt Hirscher. Und erklärt, was den Sportler Hirscher ausmacht – gegen die Vergangenh­eitsform legt er (noch) Protest ein. „Sein Streben und seine Akribie auf dem Weg zur Perfektion fasziniere­n mich immer wieder, das gab es so noch nie.“Auch Hirscher-Freund Felix Neureuther, der im Frühjahr seine Karriere beendete, ist gespannt: „Ich habe bis zuletzt gehofft, dass der Marcel weitermach­t“, sagte er dem „Spiegel“, „mich überrascht das, ich hätte damit nicht gerechnet. In jedem Fall extrem bitter.“Wie wahr.

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KARIKATUR: PETAR PISMESTROV­IC
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RED BULL/ BILDSYMPHO­NIE/KK, Seine Trophäen und Medaillen: Kein Österreich­er gewann so viel im Skisport wie Marcel Hirscher. Heute wird er mit nur 30 Jahren wohl das Ende verkünden

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