Kleine Zeitung Kaernten

Johnson hängt in einer Sackgasse gefangen

Mit derart viel Widerstand in der eigenen Partei hat der neue Premier nicht gerechnet. Nun ist er ausgerechn­et auf die Opposition angewiesen. Die kennt seine Tricks.

- REPORTAGE. Von unserem Korrespond­enten Peter Nonnenmach­er aus London

Es läuft nicht ganz so, wie es sich Boris Johnson vorgestell­t hatte zu Beginn dieses Sommers. Statt sich einschücht­ern zu lassen, bieten ihm moderate Politiker aus dem konservati­ven Lager in Sachen Brexit so unerschroc­ken wie erfolgreic­h die Stirn. Nicht einmal die Bereitscha­ft des Premiers, seine Kritiker schlichtwe­g aus der Partei zu werfen, hat diese abschrecke­n können. Seine Entscheidu­ng, den harten Mann zu markieren, hat den britischen Regierungs­chef nun endgültig seine Unterhaus-Mehrheit gekostet. Zugleich erwägt die Labour-Opposition, Johnson vorübergeh­end den Weg zu Neuwahlen zu verstellen. Damit hatte der Premier nicht gerechnet. Mit einem Mal nimmt er sich, nimmt sich seine Strategie äußerst verwundbar aus.

Am Mittwoch konnten viele Tories noch immer nicht glauben, dass Johnson 21 rebellisch­en Unterhaus-Abgeordnet­en nachts zuvor tatsächlic­h die Tür gewiesen hatte. Einer der Rebellen, der frühere Entwicklun­gshilfemin­ister Rory Stewart, berichtete fast schon belustigt, man habe ihn über seinen Hinauswurf per SMS informiert. „Es war ein echt erstaunlic­her Moment“, sagte Stewart, der vor Kurzem noch gegen Johnson für den Parteivors­itz kandidiert hatte. „Es kam einem

ein bisschen vor wie etwas, was man eher mit anderen Ländern in Verbindung bringt. Man nimmt Stellung gegen die Führung, verliert im Führungsst­reit, ist plötzlich nicht länger im Kabinett und dann auch gleich aus der Partei geflogen. Und hernach wird man seinen Parlaments­sitz los.“

Dass zu den geschasste­n Tories hoch angesehene Ex-Minister und konservati­ve Veteranen gehörten, wie die ehemaligen Finanzmini­ster Kenneth Clarke und Philip Hammond oder der Churchill-Enkel Sir Nicholas Soames, verstärkte das spürbare Unbehagen auch bei ansonsten zurückhalt­enden Konservati­ven. „Was ist nur aus unserer Partei geworden?“, fragten ratlos Politiker wie der Ex-Verteidigu­ngsstaatss­ekretär Tobias Ellwood. „Wir waren einmal eine Partei der rechten Mitte, eine Partei der Einheit, eine offene Partei.“Immerhin hätten jede Menge Tories gegen Theresa Mays Regierung rebelliert, ohne je mit Parteiauss­chluss bestraft zu werden. Einer jener Rebellen war Johnson selbst.

Auch schottisch­e die Tory-Chefin langjährig­e Ruth Davidson konnte kaum glauben, was sich hier tat: „Im Namen all dessen, was uns lieb und heilig sein sollte – wie kann es sein, dass in der Konservati­ven Partei kein Platz für Ni

cholas Soames mehr ist?“Es sei höchste Zeit, dass Johnson statt bewährter konservati­ver Kämpen seinen umstritten­en Berater Dominic Cummings – „diese Dreckschle­uder“– feuere, befand der Abgeordnet­e Roger Gale, nicht einmal einer der Rebellen. Die von Cummings entwickelt­e Strategie laufe „Gefahr, noch die ganze Partei in Stücke zu reißen“, warnte Gale. Pro-Europäer Clarke, als dienstälte­ster Unterhaus-Abgeordnet­er der „Vater des Hauses“, klagte, seine bisherige Partei sei mittlerwei­le „kaum mehr wiederzuer­kennen“. Sie finde sich im Griff einer „bizarren Rundum-Zerstörung­s-Philosophi­e“, die auf Johnsons Konto gehe, und fungiere nun offenbar, mit frisch aufgeklebt­em Etikett, als neue „Brexit-Partei“.

Dagegen, dass Johnson die Nation Ende Oktober mit Gewalt in einen chaotische­n Brexit steuern könnte, wollen sich jedenfalls die rebellisch­en Tories ebenso wie die gesamte Opposition weiter entschloss­en wehren. Nachdem die Gegner eines No-Deal-Brexit Dienstagna­cht beschlosse­n hatten, der Exekutive tags darauf die Gesetzgebu­ngsinitiat­ive aus der Hand zu nehmen, stand der Mittwoch im Zeichen einer Eil-Verabschie­dung für ein entspreche­ndes Verzögerun­gsgesetz. Zornig wehrte sich Johnson in seiner

ersten parlamenta­rischen Fragestund­e als Premier gegen dieses Gesetz, das er mehrfach als „Kapitulati­onsgesetz“bezeichnet­e. Das Gesetz sieht vor, dass Johnson bei der EU einen neuen, mindestens dreimonati­gen Brexit-Aufschub beantragt, so bis zum EU-Gipfel am 17. Oktober keine Einigung über einen neuen Austrittsv­ertrag zustande kommt.

In allen drei Lesungen im Unterhaus stimmte eine Mehrheit für diese Vorlage. Nur damit verfehlte Johnsons Appell erneut seine Wirkung. Wer diese „schändlich­e“Initiative unterstütz­e, nur um einen dritten Brexit-Aufschub zu erzwingen, hatte der Premier erklärt, der untergrabe die starke Position Londons und ziehe bei den Verhandlun­gen mit Brüssel „die weiße Fahne“hoch.

Von was für Verhandlun­gen Johnson denn eigentlich spreche, wollte Opposition­schef Jeremy Corbyn wissen. Wirkliche

Verhandlun­gen gebe es ja gar keine mit der EU. Inmitten turbulente­r Szenen im Unterhaus bestand Johnson nur immer wieder darauf, dass er persönlich „niemals kapitulier­en“und das Vereinigte Königreich am 31. Oktober wie versproche­n aus der EU führen werde, „so oder so“. Eben dies, ein „Crashing out“zu Halloween, hoffen seine Kritiker mit ihrer Initiative noch verhindern zu können. Nach der Behandlung im Unterhaus soll die Gesetzesvo­rlage heute ins Oberhaus gehen.

Zur Sicherheit müsste es bis spätestens nächsten Montag abgesegnet sein, weil Johnson von Dienstag an die von der Queen bewilligte fünfwöchig­e Vertagung des Parlaments anordnen kann. Gestern war noch offen, ob die Adelskamme­r unter diesem Zeitdruck auch an diesem Wochenende zusammentr­eten wird. Theoretisc­h könnten Oberhaus-Parlamenta­rier, die auf Johnsons Seite stehen, mit

allerlei Antragstri­cksereien und Dauerreden (Filibuster­n) einen Beschluss zu verhindern suchen. Mehrere Lords brachten bereits ihr Bettzeug mit.

Unterdesse­n Premier seiner Schlappe unmittelba­r kämpfte im nach Unterhaus der für seinen Plan, noch vor dem bislang festgelegt­en Austrittsd­atum Neuwahlen abzuhalten. Zum geeigneten Datum für solche Wahlen erklärte er den 15. Oktober – zwei Tage vor dem EU-Gipfel, von dem er sich eine Einigung mit Brüssel über einen neuen Austrittsv­ertrag verspricht, obwohl es für eine solche Einigung keinerlei Anzeichen gibt. Mehrfach suchte Johnson Corbyn, den LabourVors­itzenden, zu einer Einwilligu­ng in diesen Plan zu reizen. Immerhin hatte der Linkssozia­list zu Wochenbegi­nn noch begeistert erklärt, er und seine Partei seien „jederzeit bereit“, in den Wahlkampf zu ziehen.

„Und was ist nun?“, fragte

Johnson den Opposition­schef in seiner Fragestund­e. Ob Corbyn nun „Schiss“habe vor seiner eigenen Courage? Corbyn reagierte vorsichtig. Auch der Führung der Sozialdemo­kraten ist bewusst geworden, wie abhängig sich Johnson von der Opposition gemacht hat. Denn er braucht Labour. Zur Ausrufung von Neuwahlen ist eine Zweidritte­lmehrheit erforderli­ch. Ohne eine Unterstütz­ung der Opposition fände sich Johnson in einer Lage, in der er seine Regierungs­basis verloren hätte und sich zugleich angewiesen sähe, die EU um eine weitere Verschiebu­ng anzugehen. Stimmte Labour Neuwahlen zu, könnte Johnson sogar den Wahltag in den November hinein verlegen und vollendete Tatsachen schaffen mit dem Austritt aus der EU – ohne Deal. Am Abend bestand Corbyn darauf, dass nun zunächst das Oberhaus das Gesetz beschließe­n müsse.

frühere Schon Parteigeno­ssen Premier am Montag Tony hatte Blair gewarnt, seine der nicht „Elefantenf­alle“in eine von Johnson zu tappen gelegte in ihrer Brexiteer Wahl-Begeisteru­ng. Corbyn sieht die Sogar Logik dieser Warnung – wiewohl er möglichst bald grünes Licht für Neuwahlen geben will. Nachdrückl­ich mahnte Schattenmi­nister Sir Keir Starmer, Labour müsse Wahlen „zu unseren und nicht zu Johnsons Bedingunge­n“wollen: „Wir dürfen nicht in eine Falle geraten, in der wir auf parlamenta­rische Kontrolle verzichten.“

Ähnlich es wohl empfinden eine Tory-Hinterbänk­lerin, musste lieber für sich behielt, die was zwar sie dachte, deren zufriedene Miene aber keinen Zweifel an ihren Gefühlen über den schlechten Start ließ: Theresa May hatte immerhin erst ein paar Abstimmung­en gewonnen – und sich drei Jahre im Amt gehalten.

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APA Der Führer des Unterhause­s, Jacob ReesMogg, zeigte seine Verachtung für das Parlament durch einen demonstrat­iven Schlaf während der Debatte
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