„Das ist wie das Ende eines Lebens ...“
REPORTAGE. Keine Überraschung: Die Karriere von Marcel Hirscher ging in Salzburg zu Ende.
Es ist kurz nach 18 Uhr – rund um das „Gusswerk“in Salzburg sind SecurityMitarbeiter positioniert, mit Absperrgittern werden die letzten Meter hin zur „Lounge 5“, dem flachen, ehemaligen Industriegebäude, versperrt. Die Parkplätze füllen sich. Vor dem „Senn’s“, dem Restaurant, das sich zwischen „Showrooms“diverser Bekleidungsfirmen für Geschäftskunden befindet, warten drei Mitarbeiter im dunkelblauen Anzug vor der Tür, die links und rechts mit modernsten Flachbildschirmen geschmückt sind, auf denen das „Marcel Hirscher“-Logo zu sehen ist. Drinnen sind erste Bildschirmwände zu erspähen, die
die besten Bilder der Karriere des österreichischen Ski-Idols zeigen. Kein Wunder: Hier soll die Pressekonferenz bald starten, von der ganz Österreich V seit 14 Tagen spricht. or dem Eingang baut sich Kamera neben Kamera auf. In Zeiten wie diesen zählt nur der Live-Einstieg, internationale Kamerateams sind aber noch wenige da, einzig das slowenische Fernsehen und eine italienische TV-Station mit der Ex-Rennläuferin Maria Rosa-Quario, Mutter von Federica Brignone, bitten einige zum Gespräch. Wie die Reporter mit den Mikrofonen überhaupt verzweifelt auf der Suche nach Interviewpartnern sind. Als ÖSVPräsident Peter Schröcksnadel um die Ecke biegt, wittern einige ihre Chance, doch der winkt ab. „Erst nachher, haben wir ausgemacht“, sagt er. Also warten. Der Einlass in die „Eventlocation“, wie es heißt, beginnt D erst um 19.30 Uhr. Pünktlich. ie Zeit zieht sich ein bisschen wie Strudelteig, so ganz und gar nicht passend zur Karriere – aber das macht Marcel Hirscher, der Mann, um den es geht, rasch wieder gut. Er betritt die Bühne und schon das Outfit ist Zeichen. Blütenweiß ist das Leibchen, ohne Sponsoren. Man mag es als unschuldig interpretieren, als unberührt – oder auch als Aufbruch in eine neue
Zukunft. Und kaum ist er auf der Bühne, legt er los: „Ich mache es kurz und schmerzlos, es ist ja keine Überraschung. Heute ist der Tag, an dem ich meine aktive Karriere beende!“, sagt er und man kann nur kurz ein Zittern der Stimme erkennen, ein D Schimmern in den Augen. ie Katze ist aus dem Sack, aber so richtig überraschend ist es nicht, das Raunen der rund 120 Medienvertreter hält sich in Grenzen. Dabei betont Hirscher: „Das ist nicht so, wie wenn man den Beruf wechselt, das ist wie das Ende eines Lebens.“Und am Ende des Sportlerlebens, sagt Hirscher, ließ der Akku nach. „Fast wie bei einem Handy, ich war nicht mehr so schnell auf 100 Prozent“, sagt der 30-Jährige. Und der Mann, der, wie er sagt, „30 Jahre lang mit Ski nur geradeaus fuhr“, stand plötzlich an der Weggabelung der Zukunft, musste sich entscheiden, ob er links oder rechts geht. „10.000 Mal habe ich geschwankt, was ich tue“, erzählt er. Er entschied sich für den Abgang, zu einem Zeitpunkt, an dem er siegte. An dem er, trotz Krankheit, in Åre bei der WM Gold holte, in Höchstform. Zu einem Zeitpunkt, an dem er mit 30 Jahren „gesunde Knie“hat, mit seinem Sohn noch Fußball spielen kann, sich schmerzfrei bewegen kann. Einem Zeitpunkt, den er selbst bestimmen konnte, wie er sagt. Und zu einer Entscheidung kam, „die sich gut anfühlt, jetzt, wo es gesagt ist. Auch wenn ich nach den Schlagzeilen der letzten zwei Wochen gerne gesagt hätte: Ätsch, bätsch, ich fahre weiter. Aber ich war nicht mehr bereit, A den Preis zu zahlen.“m Ende gibt es stehende Ovationen für eine Lichtgestalt, die für einige Zeit das letzte Mal im Scheinwerferlicht stand. Denn Hirscher wird zunächst die Ruhe genießen, die Abgeschiedenheit. Er wird nachdenken über sein Leben, das ihm ein Privileg brachte: „Ich bin einer der wenigen, bei denen die Realität alle Träume übertroffen hat.“