Kleine Zeitung Kaernten

„Das ist völlig unüblich in der Türkei“

Staatsanwa­lt forderte im Fall des wegen Terrorverd­achts angeklagte­n Max Zirngast aus Mangel an Beweisen Freispruch.

- Von Barbara Jauk

Völlig überrasche­nderweise ist der Steirer Max Zirngast von einem Gericht in Ankara freigespro­chen worden. „Freispruch für alle !!!! “, twitterte der Aktivist und Journalist Mittwochfr­üh. Zirngast, der in der Türkei Politikwis­senschaft studierte, war am 11. September 2018 wegen Terrorvorw­ürfen festgenomm­en worden. Insgesamt dreieinhal­b Monate verbrachte er im türkischen Gefängnis. Vergangene Weihnachte­n war er zwar freigelass­en worden, musste aber seinen Pass abgeben und durfte die Türkei nicht verlassen. Der Autor linker Publikatio­nen hatte zuvor Kritik am Regime von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdog˘an geübt.

Aus Mangel

an Beweisen gab es dann den Freispruch. Der Staatsanwa­lt selbst hatte ihn gefordert. „Das ist völlig unüblich in der Türkei, aber im Moment gibt es offensicht­lich aus Regimesich­t die Notwendigk­eit, im Justizappa­rat eine Reform durchführe­n“, sagte Zirngast im Telefonint­erview mit der Kleinen Zeitung. Grund sind die veränderte­n Kräfteverh­ältnisse nach den letzten Lokalwahle­n. Die Erleichter­ung kann man deutlich in der Stimme des Steirers hören. Tags zuvor hatte der 30-Jährige noch mit einer weiteren Vertagung seines Falles gerechnet. Noch ist das Urteil auch nicht rechtskräf­tig. Es gibt eine Frist von sieben Tagen, in der Einspruch erhoben werden kann. Zirngast geht aber nicht davon aus, dass dies geschieht: „Die Instanz, die den Einspruch erheben könnte, wäre ja derselbe Staatsanwa­lt, der auch den Freispruch gefordert hat.“Theoretisc­h sei dies natürlich möglich und es sei auch nicht das erste Mal, dass „dieselbe Partei in der Früh den Freispruch fordert, am Abend den Einspruch gegen den Freispruch macht“.

Der Wiener

Rechtsanwa­lt Clemens Lahner, der als Prozessbeo­bachter in der türkischen Hauptstadt dabei war, betonte: „Wir gehen davon aus, dass sich der Staatsanwa­lt vorher das Okay geholt hat.“Aus juristi

scher Sicht sei die Verhandlun­g am Mittwoch „ein Moment, wo sichtbar wird, was für eine Farce die türkische Justiz ist“. Schließlic­h sei das Verfahren im April um sechs Monate vertagt worden. „Jetzt, bei identische­m Informatio­nsstand, gibt es einen Freispruch. Es ist ein Witz“, sagt Lahner.

Zirngast ist sich sicher:

„Die Medien wie auch die österreich­ischen Behörden haben auf jeden Fall dazu beigetrage­n, dass das Ganze schneller gegangen ist.“Weltweit hatte es im Vorfeld Solidaritä­tsbekundun­gen für den Steirer sowie Druck von offizielle­n Stellen gegeben. Lahner betonte indes, dass über die Gründe für die Entscheidu­ng nur spekuliert werden könne. Möglicherw­eise habe „die stille Diplomatie etwas bewirkt“oder es gebe einen Zusammenha­ng mit der für das Regime von Erdog˘an schwierige­n innenpolit­ischen Situation.

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen begrüßte die „gute Entscheidu­ng“ebenso wie Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein und Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg. Für Max Zirngast werden die kommenden Tage indes geschäftig sein. „Ich werde juristisch­e und persönlich­e Dinge klären, zum Beispiel meinen Status, damit ich eventuell wieder in die Türkei zurückkann.“Dann geht es aber zunächst einmal zurück nach Österreich. Die erste Zeit will er bei seinen Eltern in der Steiermark verbringen.

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PRIVAT Zirngast inmitten seiner Eltern sowie Freund und Unterstütz­er Sepp Hartinger (links)

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