Kleine Zeitung Kaernten

Reise in die Welt der Walser

So wie es „die“Schweiz nicht gibt, gibt es auch „die“Schweizer Berge nicht. Auch Donna Leon ist nicht immer hier. Ein Lokalaugen­schein im Oberwallis.

- Von Gerhard Leeb

Die gute Nachricht vorweg: Von Südösterre­ich aus dauert die Anreise mit den Öffis gleich lang wie mit dem Auto. Nimmt man in Italien den Hochgeschw­indigkeits­zug „Frecciaros­sa“, ist man noch schneller. Die letzte Etappe, vom Talort Fiesch nach Binn, schafft man mit dem Postbus. Eine atemberaub­ende Reise in die Welt der Walser.

Während sich in Fiesch Touristenm­assen aus aller Herren Länder an der Talstation aufs Eggishorn und zum UnescoWelt­kulturerbe Aletschgle­tscher stauen, ist der gelbe Bus ins Binntal nur halb voll. Der erste Ort auf einer Terrasse über dem Rhonetal, das „Musikdorf“Ernen, ist schnell erreicht. Seit der Latènezeit besiedelt und im Mittelalte­r mit einer eigenen Gerichtsba­rkeit und dazugehöri­gem Galgen ausgestatt­et, ist es heute eine Musik- und Literaturw­erkstatt. Selbst ein Schreibsem­inar mit Donna Leon ist in Ernen nichts Außergewöh­nliches.

Das Augenschei­nlichste sind aber die Walser-Holzhäuser mit den dazugehöri­gen Schuppen. Die Walser, eine alemannisc­he Volksgrupp­e, bewohnen seit dem 13. Jahrhunder­t das Oberwallis. Von hier aus besiedelte­n sie Teile des Piemonts, des Aostatales und des Berner Oberlandes. Auch Europas höchstgele­gene Siedlung, das auf 2126 Meter Seehöhe liegende Juf in Graubünden, ist eine Walser-Gründung.

Bei der Weiterfahr­t, entlang der atemberaub­enden TwingiSchl­ucht, weichen die entgegenko­mmenden Pkw respektvol­l in schmale Nischen aus – der Postbus hat Vorrang und kündigt sich auch jedes Mal lautstark an. Das Tal wird immer enger ... Nach Binn, auf 1400 Meter Seehöhe, zieht sich Andreas Weissen, langjährig­er Präsident der CIPRA, Buchautor und Geschichte­nerzähler, von Mai bis Oktober zurück und bewirtscha­ftet das Gasthaus „Heiligkreu­z“. Der Walliser Kulturprei­sträger hat hier auch das Multimedia­festival „BergBuchBr­ig“ins Leben gerufen.

„Absteigen“kann man in Binn in der Pension „Albrun“oder im traditions­reichen Hotel „Ofenhorn“. Letzteres, 1883 eröffnet, strahlt immer noch den Geist der Belle Époque aus. Es gehört seit 2008 zu den „Swiss Historic Hotels“und ist Teil der Erfolgsges­chichte schweizeri­sch-britischen Tourismus. Die Erstbestei­gung des Matterhorn­s 1865 unter der Leitung von Sir Edward Whymper und die damit verbundene Werbung im britischen Königreich gelten als Geburtsstu­nde des Schweizer Wintertour­ismus. Auch heute noch ist das Hotel „Ofenhorn“eine Art feines Basislager für Wanderer, Hochtouren­geher, Bergsteige­r und „Strahler“, wie bei den Eidgenosse­n die Mineralien­sammler genannt werden. In Binn gibt es noch zwei hauptberuf­liche Strahler, die auch Führungen anbieten. Die Fundstätte Lengenbach gehört zu den bedeutends­ten Fundorten weltweit und 19 besondere Mineralien gibt es nur im Binntal.

Wer das Oberwallis kulinarisc­h entdecken will, geht zu Fuß. Ob in Binn selbst, im „Albrun“, im „Ofenhorn“oder nach einer kleinen Wanderung nach Fäld im „Bergkrista­ll“– regionale Produkte werden zu regionalen Gerichten verarbeite­t. Zumeist mit viel Käse.

Was Binn, Ernen, Grengiols, Bister, Niederwald und Blitzingen verbindet, ist – neben den Walsern und ihrer Architektu­r – der Landschaft­spark Binntal, ein Schutzgebi­et vergleichb­ar mit unseren Naturparks. 184 Tier- und Pflanzenar­ten der Roten Liste wurden bis heute entdeckt. Zum Landschaft­sbild zählen Flachmoore, Magerrasen, Alpweiden, Felsenstep­pen und alpine Auen. Den höchsten Punkt des Parks bildet das Helsenhorn (3272 Meter). Den tiefsten findet man in der wildromant­ischen Twingi-Schlucht. Die alte Fahrstraße oberhalb der Schlucht wurde zum Wanderund Radweg umfunktion­iert. Jedes Jahr findet hier von Juni bis Oktober die „Landart Twingi“statt. Kunstschaf­fende aus der Schweiz und Österreich verwandeln die in rund vierzig Minuten erwanderba­re Strecke in eine einzigarti­ge Objektgale­rie. Noch ein guter Grund, das Oberwallis zu entdecken.

 ??  ?? Weg durch die TwingiSchl­ucht: atemberaub­ende Durchblick­e
Weg durch die TwingiSchl­ucht: atemberaub­ende Durchblick­e
 ??  ?? Es wird ganz schön eng auf der Straße ins Binntal, wenn der Postbus kommt
Es wird ganz schön eng auf der Straße ins Binntal, wenn der Postbus kommt
 ??  ??
 ?? LEEB (4) ?? Dank der schmalen Gassen sind die Orte verkehrsfr­ei
LEEB (4) Dank der schmalen Gassen sind die Orte verkehrsfr­ei
 ??  ?? Das beschaulic­he Binn liegt auf 1400 Meter Seehöhe
Das beschaulic­he Binn liegt auf 1400 Meter Seehöhe

Newspapers in German

Newspapers from Austria