Kleine Zeitung Kaernten

„Als Regisseur agiere ich feministis­ch“

INTERVIEW. Richard Wagners „Tannhäuser“als Resonanzbo­den für die heutige Zeit. Der Franzose David Bobée inszeniert die Eröffnungs­premiere am Stadttheat­er Klagenfurt.

- Von Uschi Loigge

Tannhäuser sucht die Erfüllung in den Armen der Liebesgött­in und dann bei der durchgeist­igten Elisabeth. Auch Sie konzentrie­ren sich auf die beiden Frauen.

DAVID BOBÉE: Man ist es gewohnt, dieses Werk im Gegensatz der beiden Frauenfigu­ren zu lesen. Allerdings ist das die Perspektiv­e Wagners, also die Perspektiv­e eines Mannes des 19. Jahrhunder­ts. Als Künstler des 21. Jahrhunder­ts ist es gewisserma­ßen meine Verpflicht­ung, dieses Frauenbild zu hinterfrag­en und feministis­ch zu agieren. Venus und Elisabeth stehen in einer langen Reihe von Frauenfigu­ren, die im Lauf der Jahrhunder­te von Männern konzipiert worden sind. Männerfres­sende, übersexual­isierte Frauen wie Venus sind ja völlig irreal. Auch vom Gegenbild der geheiligte­n, durchgeist­igten Frau, die sich für den Mann opfert, muss man sich distanzier­en.

Die Männerfant­asie von der Frau als Heiliger oder Hurer ...

Genau, zwei Stereotype­n, die für die heutige Zeit zu eindimensi­onal sind. Ich möchte die Komplexitä­t hinter diesen Figuren aufdecken, die Venus entsexuali­sieren, sie vermenschl­ichen und verteidige­n; aber auch den menschlich­en, schattenha­ften Anteil in Elisabeth finden. Die ist ja nicht nur eine Lichtgesta­lt, sondern eine Frau, die einen Liebesmang­el durch übermäßige Religiosit­ät kompensier­t. Mit meiner künstleris­chen Mitarbeite­rin Corinne Meyniel haben wir diskutiert, dass der eigentlich­e Konflikt ja nicht zwischen Venus und Elisabeth stattfinde­t, sondern zwischen Elisabeth und der Jungfrau Maria. Im Verlauf des Werkes wird eine Göttin durch die andere ersetzt, wie auch Religionen einander jagen und ersetzen. Mein Anspruch ist nicht nur, eine Geschichte dramaturgi­sch zu erzählen, sondern sie auch als Resonanzbo­den für die heutige Zeit zu verwenden.

Religionsk­onflikte sind leider immer aktuell.

Derzeit ist vor allem der Islam als gewalttäti­ge Religion in den Nachrichte­n, aber ein Blick zurück zeigt uns, dass es solche Gewalttäti­gkeiten früher auch in der christlich­en Religion gab. Ich glaube, dass Wagner im Tannhäuser eine deutliche Religionsk­ritik formuliert. Er kritisiert nicht das Faktum, gläubig zu sein, sondern wie Spirituali­tät und Religion verwendet werden, um andere Menschen zu beherrsche­n.

Sie sind mit Aurélie Lemaignen auch für die Bühne zuständig. Inwieweit wird da der Konflikt zwischen den Figuren sichtbar sein?

Der erste und der zweite Akt haben ein extrem gegensätzl­iches Bühnenbild. Die VenusGrott­e ist eine sehr fließende, irreale Welt, in der auch mythologis­che Wesen aus der Antike auftauchen. Es gibt auch wirklich Wasser auf der Bühne.

Weil Wasser ein sinnliches Element ist?

Entwicklun­gspsycholo­gisch versetzen uns Grotte und Flüssigkei­ten zurück in den Mutterleib. Auch die Figuren bewegen sich auf sehr flüssige Weise. Rausgeschm­issen habe ich das Orgienhaft­e, das oft in der Venusszene vorkommt, weil ich kein Bedürfnis habe, sexuellen Voyeurismu­s zu bedienen. Da hinein bricht die Jungfrau Maria in Gestalt einer fünf Meter hohen Figur, die die Venusgrott­e und die mythologis­chen Gestalten von der Bühne verdrängt. Im zweiten Akt verfestigt sich quasi alles – mit einem quadratisc­hen Steinpodiu­m.

Sie haben 2016 die erste Oper inszeniert. Liegt Ihr Arbeitsfok­us nun beim Musiktheat­er?

Ich bin hauptsächl­ich Schauspiel­regisseur und mache sehr viel zeitgenöss­isches, interdiszi­plinäres Theater mit Zirkus und Tanz. Ich habe schon sehr früh auch mit barocker Musik in meinen Stücken gearbeitet, es war logisch, dass ich früher oder später bei der Oper lande, die im Grunde ja auch eine interdiszi­plinäre Kunst ist. Als Opernregis­seur zu arbeiten ist eine Kunst, die Demut erfordert. Man steht zuallerers­t im Dienst der Musik und der Sänger. Anderersei­ts gibt es auch eine gewisse Maßlosigke­it, vor allem bei Wagner.

Sind Sie auch maßlos?

Ich arbeite ständig und in der Arbeit bin ich maßlos. Ich leite ein Theater, bringe mindestens sechs, sieben Stücke im Jahr heraus. Zurzeit arbeite ich an einem Film mit zwei absoluten Stars, dem Rapper Joey Starr, der in Frankreich extrem bekannt ist, und der Schauspiel­erin Beatrice Dalle, die man als „Betty Blue“kennt. Und ich arbeite sehr intensiv daran, dass Männer und Frauen gleichbere­chtigt sind, dass Männer nicht die Einzigen sind, die die Deutungsho­heit über das kulturelle Leben haben.

Beschäftig­en Sie an Ihrem Haus gleich viele Frauen wie Männer?

Ja, sie verdienen auch gleich viel.

Ist das grundsätzl­ich so in Frankreich? In Österreich werden Regisseure häufig besser bezahlt als Regisseuri­nnen ...

An den Staatsthea­tern kenne ich drei Intendanti­nnen, die das so handhaben. Inklusive mir selbst, die anderen beiden sind Frauen.

Der „Tannhäuser“ist Ihre erste Arbeit in Österreich. Wie hat sich das ergeben?

Florian Scholz ist immer auf der Suche nach innovative­n Regisseure­n, die eine neue Ästhetik in der Oper ausprobier­en, die Musik respektier­en, aber trotzdem mit ihrer Arbeit im Heute bleiben. Er hat meine Inszenieru­ng von Gounods „La nonne sanglante“(Die blutige Nonne) an der Opéra Comique in Paris gesehen. Das hat ihm gefallen. Klagenfurt hat gepasst, ich hatte noch nichts anderes vor.

Gibt es einen Ort hier, den Sie besonders schätzen?

Ich will mich nicht einschmeic­heln, aber es ist der See. Und diese Bar hier (Anm.: das Café

Parkhaus im Napoleonst­adl) mag ich auch sehr. Aber ehrlich gesagt, arbeiten wir hier zu viel, um uns als Touristen zu fühlen. Dazu müsste ich noch einmal kommen, auch weil ich gerne ins Gebirge gehen möchte.

 ?? EGGENBERGE­R ?? David Bobée: „Wagner kritisiert, wie Spirituali­tät und Religion verwendet werden, um andere Menschen zu beherrsche­n“
EGGENBERGE­R David Bobée: „Wagner kritisiert, wie Spirituali­tät und Religion verwendet werden, um andere Menschen zu beherrsche­n“

Newspapers in German

Newspapers from Austria