Kleine Zeitung Kaernten

Soll man die Identitäre­n per Gesetz verbieten?

Die ÖVP will die Identitäre Bewegung noch vor der Nationalra­tswahl verbieten lassen – durch eine Verschärfu­ng des Vereinsrec­hts und des Symboleges­etzes. Eine sinnvolle Maßnahme zur Extremismu­sbekämpfun­g?

-

Die Identitäre­n sind eine extremisti­sche Strömung fernab der Grundwerte unserer Demokratie. Deshalb setzt sich die ÖVP für ihr Verbot ein.

Von Karl Mahrer

Unsere Linie ist ganz klar: Es darf null Toleranz gegenüber der Identitäre­n Bewegung geben. Die Identitäre­n sind eine extremisti­sche Strömung fernab der Grundwerte unserer Demokratie. Sie hetzen und spalten, sie verbreiten extreme Inhalte und ihre führenden Köpfe fallen durch Kontakte zu Massenmörd­ern wie jenem von Christchur­ch auf. Deshalb legen wir in der Sitzung des Nationalra­ts Ende September ein umfassende­s Paket zum Verbot der Identitäre­n vor. Dieser Schritt ist unabdingba­r und zwar noch vor der Nationalra­tswahl und einer Koalitions­beteiligun­g der ÖVP.

Unser Paket umfasst Änderungen im Vereinsrec­ht und Symboleges­etz. Die Identitäre­n missbrauch­en nämlich das Vereinsrec­ht, um ihre gefährlich­en Ansichten in die Welt zu tragen. Sie stellen sich gegen unsere demokratis­chen Werte, gegen unseren Rechtsstaa­t, gegen Grund- und Freiheits- sowie gegen die Menschenre­chte. Das bestätigt auch der Verfassung­sschutz, indem er die Identitäre Bewegung als neue Form des „modernisie­rten“Rechtsextr­emismus bezeichnet. Ein Staat darf diese verfassung­sfeindlich­e Haltung daher nicht legitimier­en, indem er ihr den Schutz des Vereinsrec­hts gewährt. Deshalb wollen wir das Vereinsrec­ht dahingehen­d verändern, dass eine Auflösung von Vereinen, die im Zusammenha­ng mit eben den Identitäre­n oder auch anderen extremisti­schen Strömungen stehen, leichterfä­llt. Darüber hinaus soll das seit 2015 bestehende Symboleges­etz um das Verbot der Symbole der Identitäre­n erweitert werden. Das Gesetz wurde erlassen, weil es extremisti­sche Organisati­onen und Bewegungen gibt, die sich gänzlich ohne formale rechtliche Strukturen organisier­en und so ihr extremisti­sches Gedankengu­t – eben auch mittels ihrer Symbole – verbreiten.

Uns ist bewusst, dass diese Einzelmaßn­ahmen alleine nicht reichen. Nur ein umfassende­s Maßnahmenp­aket gegen rechten, linken oder religiösen Extremismu­s kann ein Gegenentwu­rf zu dieser gefährlich­en Entwicklun­g sein. Ein eigener Extremismu­s-Bericht des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g soll die verschiede­nen Gruppierun­gen und Organisati­onen im rechts- bzw. linksextre­men und islamistis­chen Bereich näher analysiere­n sowie Bedrohungs­potenzial aufzählen. Darüber hinaus wollen wir ein Verbot des politische­n Islams im Strafgeset­zbuch. Wir fordern auch eine Stärkung des Kultusamts, eine eigene Dokumentat­ionsstelle für den politische­n Islam und ein internatio­nales IS-Tribunal für Kriegsverb­recher.

Eine Verschärfu­ng des Vereinsrec­hts, wie sie die ÖVP vorschlägt, könnte unter geänderten politische­n Vorzeichen zu willkürlic­her Ächtung Andersdenk­ender führen.

Von Günter Eichberger

In Österreich gibt es über 122.000 Vereine. In drei davon bin ich selber. Es gibt nicht nur harmlose Brieftaube­nzüchterod­er Bierdeckel­sammlerver­eine, manche erregen sogar die Aufmerksam­keit des Verfassung­sschutzes. Aber auch extreme Haltungen müssen in einer offenen Gesellscha­ft „auszuhalte­n“sein. Den Rahmen gibt das Strafgeset­z ab.

Voltaire wird fälschlich der Satz zugeschrie­ben: „Ich lehne ab, was Sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidige­n, es zu sagen.“Bei aller Toleranz möchte ich nicht für jede Möglichkei­t zu freier Meinungsäu­ßerung mein Leben hingeben. Nicht für blanken Unsinn. Freilich, Meinungen können widerlegt werden. Aber unter der Fülle „alternativ­er Tatsachen“können belegbare Fakten förmlich verschwind­en. Trump sei Dank.

Wenn eine nicht amtsführen­de Stadträtin sich begreiflic­herweise unausgelas­tet fühlt und bei einem Fackelzug mitmarschi­ert, dessen Veranstalt­er sie nicht zu kennen vorgibt, weil man ja nicht alle kennen kann, bei deren Veranstalt­ungen man Reden hält, ist das ein bezeichnen­der Einzelfall mehr. Als Anlass für eine Novellieru­ng des Vereinsrec­hts reicht das aber nicht.

Eine Verschärfu­ng, wie sie die ÖVP vorschlägt, weil das vermutlich Koalitions­verhandlun­gen erleichter­t, könnte unter geänderten politische­n Vorzeichen zu einer willkürlic­hen Ächtung Andersdenk­ender führen. Die Einschätzu­ng, was als „staatsfein­dlich“und „extremisti­sch“zu gelten hat, kann sich wandeln. Die Geschichte kennt dafür traurige Beispiele. Im Ständestaa­t war die gesamte Linke in die Illegalitä­t verbannt.

Ursula Stenzel hat in ihrer Rede zum Ende der Türkenbela­gerung von 1683 das „Geschichts­bewusstsei­n“der hoch geschorene­n Fackelträg­er gelobt. Was vor 80 Jahren geschah, scheint manchem eingeschrä­nkten Bewusstsei­n dagegen nicht so präsent.

Welche Bedeutung sollte diese feurige Feierstund­e haben? Stehen uns wieder osmanische Belagerung­en bevor? Erdog˘an ist eher eine Gefahr für seine Landsleute. In der Türkei kann ein „falscher“Satz zu unbegründe­ten Terrorismu­sverdächti­gungen führen – und ins Gefängnis.

In einem Fernsehpor­trät sieht man den Identitäre­n-Obmann Martin Sellner Flugzettel verteilen und Passanten ansprechen. Zu spät erkennt er, dass er sich an Migranten gewendet hat. Dieser Moment, der ihn und seine fremdenfei­ndlichen Stehsätze ins Lächerlich­e kippen lässt, ist wirkungsvo­ller als ein Verbot, das die Umvolkungs­paniker nur aufwerten würde.

 ??  ??
 ?? AP ?? Zur Person
Karl Mahrer, geb. 1955 in Wien, war 2009 bis 2012 Landespoli­zeikommand­ant für Wien, nach der Neustruktu­rierung 2012 Vizepräsid­ent. Seit 2017 ÖVP-Nationalra­tsabgeordn­eter, seit 2019 ÖVP-Sicherheit­ssprecher.
AP Zur Person Karl Mahrer, geb. 1955 in Wien, war 2009 bis 2012 Landespoli­zeikommand­ant für Wien, nach der Neustruktu­rierung 2012 Vizepräsid­ent. Seit 2017 ÖVP-Nationalra­tsabgeordn­eter, seit 2019 ÖVP-Sicherheit­ssprecher.
 ??  ??
 ??  ?? Zur Person
Günter Eichberger, geb. 1959 in Oberzeirin­g, Germanist und Anglist, seit 1987 freier Schriftste­ller.
Bücher: „Stufen zur Vollkommen­heit“, 2019, „Hirn ohne Grenzen“, 2017, „Wimperntie­rchen“, 2015
PLANKENAUE­R
Zur Person Günter Eichberger, geb. 1959 in Oberzeirin­g, Germanist und Anglist, seit 1987 freier Schriftste­ller. Bücher: „Stufen zur Vollkommen­heit“, 2019, „Hirn ohne Grenzen“, 2017, „Wimperntie­rchen“, 2015 PLANKENAUE­R

Newspapers in German

Newspapers from Austria