Das dunkle Kapitel Gusen
Die vor einer Woche vom ZDF ausgestrahlte Dokumentation „Die geheimste Unterwelt des SS“hat neues Licht auf die Stollenanlage in Gusen und St. Georgen bei Mauthausen geworfen, in denen es ein bisher unbekanntes unterirdisches Lager für dort arbeitende KZ-Häftlinge gegeben haben soll. Bekannt war bisher nur, dass in den Konzentrationsnebenlagern
I und II bis zu 71.000 – mehrheitlich polnische – Häftlinge und Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen Teile für die Rüstungsindustrie hatten herstellen müssen.
Einen neuen Blick auf dieses kaum beachtete Kapitel der österreichischen NS-Geschichte wirft die gebürtige Grazerin Barbara Stengl mit ihrem Debütroman „Siehst du mich?“(Europa, 264 S., 18,50 Euro). In ihrer Erzählung stellt die Dokumentarfilmemacherin Nina nach dem Tod ihrer Mutter der Großtante die Frage nach der lückenhaften, lange beschwiegenen Familiengeschichte. Und die führt in das Konzentrationslager Gusen. Es ist eine wuchtig erzählte Begegnung mit der Vergangenheit, die auch offenlegt, warum in vielen Familien über das UnGusen aussprechliche nicht geredet wurde. Stengls Sprache erzeugt mit ihrer Unumwundenheit eine enorme Eindringlichkeit. Historische Fakten und eigene Erzählung umschlingen sich zu einem authentischen Roman, der Gusen eine weitere Anschauungsebene hinzufügt.