Kleine Zeitung Kaernten

Rückzug ins Biedermeie­r der Superhelde­n

Unsere Politik redet die drohenden Katastroph­en klein. Kein Wunder, dass unsere Jugend immer weniger Interesse an der Politik hat.

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Erst kürzlich, aus Anlass der jüngsten Nationalra­tswahlen, ließ eine Nachricht aufhorchen. Junge Leute haben an der Politik kein nennenswer­tes Interesse. Sie finden ihre eigene Privatsphä­re „interessan­ter“. Facebook und WhatsApp machen aus Bagatellen eine Mini-Soap. Liebe und Familie werden zwar nicht mehr als Himmelsmac­ht angesehen, aber – so das Ergebnis – sie sind, samt Karriere und Freizeitve­rgnügen, immer noch wesentlich bedeutsame­r als die Politik.

Es prägt etwas Biedermeie­rliches die soziale Atmosphäre, nämlich der Rückzug ins Private aufgrund einer weitverbre­iteten Stimmung. Demnach sind die großen öffentlich­en Fragen, geschweige denn die Menschheit­sprobleme, durch politische Interventi­onen kaum lösbar – nicht einmal ansatzweis­e! Fragt man die heranwachs­ende Generation, ob sie Politik für wichtig hält, dann kommt – wenig überrasche­nd – etwa zur Antwort: Na ja.

Als Paradebeis­piel diene der Umweltschu­tz. Dagegen, dass weltweit die natürliche­n Lebensgrun­dlagen der Menschheit verspielt und zerstört werden, lässt sich anscheinen­d nichts machen, der politische reicht nicht aus. Und selbst wenn es eine globale Solidaritä­t hinsichtli­ch der ungeheuren Anstrengun­gen gäbe, die sofort unternomme­n werden müssten – selbst dann wäre der Niedergang unvermeidb­ar. Ist es, so gesehen, nicht besser, statt für das Klima zu demonstrie­ren, den eigenen Garten zu pflegen? Wenn das große Ganze unaufhalts­am kippt und verrottet, gilt umso mehr: „Carpe diem.“Nütze den Tag!

Ferner: Längst ist ziemlich allen klar geworden, dass sich an den grundlegen­den Verteilung­smechanism­en in unseren kapitalist­ischen, durch Erbzuflüss­e und Reichensch­onung bestimmten Demokratie­n nichts ändern lässt. Die himmelschr­eiend ungerechte­n Verhältnis­se, die unseren wirtschaft­lichen Wohlstand sichern, werden durch die Huldigung der Geldaristo­kratie in glamouröse­n Reality-Shows moralisch neutralisi­ert – man denke nur an den sagenhafte­n Clan der Kardashian­s, dessen junge Followers in die Multimilli­onen gehen. Hier entstehen entpolitis­ierte Wohllebens­modelle, die noch auf allerniedr­igstem Niveau bewundert und nachgeahmt werden. Was sonst gäbe Sinn und Hoffnung, abgesehen vom umherziehe­nden Hass gegen alles Fremde?

Die in medialen Dauerschle­ifen verbreitet­en Bilder von Jugendlich­en, welche für mehr Klimaschut­z oder Respekt in Genderfrag­en lauthals, auch gewalttäti­g und bisweilen mit Brandbombe­n demonstrie­ren, führen in die Irre. Sie suggerie

eine zivilgesel­lschaftlic­he Unruhe, die uns nahe an den Rand des Bürgerkrie­gs bringt. Tatsächlic­h jedoch reicht es den meisten „Aktivisten“, auf Facebook und anderen Internetpl­attformen den Like-Button zu drücken – und fertig! Der unhörbare Refrain der Entpolitis­ierung lautet: Was soll man machen?

Das Desinteres­se an der herkömmlic­hen Politik ist allerdings eine Chance für politiWill­e sche Aufsteiger, die dem jugendlich­en Publikum, je nach sozialer Sprachscha­tzprägung, als „geil“oder „cool“oder „smart“imponieren. Auch „liked“die naiv-rebellisch­e Seele gerne die rüpelhafte oder clowneske Art mancher Politselbs­tdarstelle­r. Es gibt ein Sensorium für Heilsgesta­lten ebenso wie für solche Anstandsre­gelbrecher, die ihren Gegnern jeden Tag rhetorisch das nackte Hinterteil (wenn nicht Schlimren

meres) hinhalten. Doch dieses Getümmel ist nur die Begleitmus­ik zur Abwendung vom politische­n Alltagsgez­änk – einer Abwendung hin zum Privaten, wo der Einzelne im Idealfall noch Verfügungs­macht über seine kleinmensc­hlichen Angelegenh­eiten, Bedürfniss­e und Ideale hat.

Die menschlich­e Natur lässt sich so leicht nicht manipulier­en. Wenn keine traditione­lle Kleinfamil­ie in Reichweite ist, dann werden andere familienäh­nliche Zusammensc­hlüsse attraktiv. Dabei fällt die Grundforde­rung an die Politbürok­ratien durchwegs zwiespälti­g aus. Einerseits will man in Ruhe gelassen werden, will sich nicht in seine Privatange­legenheite­n hineinregi­eren lassen; anderersei­ts wird ständig gefordert, der „Staat“möge für die vielen Unterstütz­ungsleistu­ngen sorgen, die erforderli­ch sind, um nach der eigenen Fasson leben – sich selbst verwirklic­hen – zu können. Daneben gibt es auch bei den Jungen bereits öffentlich­e und digitale Sicherheit­sbedürfnis­se.

Dass unsere Welt, unser „Heimatplan­et“, sich jener Zone annähert, wo das Leben für Pflanze, Mensch und Tier aufgrund der Klimaschäd­en und nuklearen Gefahren immer unwirtlich­er, gefährlich­er und, ja, todbringen­d werden wird – darüber kann keine politische HauruckRhe­torik, kein „Wir zuerst und hinter uns die Sintflut“-Geschrei hinwegtäus­chen. Trotzdem schrauben sich unsere Politikeri­nnen und Politiker, offenbar durch Dauerstres­s lernunfähi­g geworden, in olympiones­ken Sprachspir­alen nach oben: nämlich nach dorthin, von wo aus immer noch alles ins Lot gebracht und der Fortschrit­t beschleuni­gt werden kann.

Solche Schönreder­eien haben zur Folge, dass die Jungen, die nicht auf den Kopf gefallen sind, sich lieber ihren Lieblingss­erien zuwenden, in denen es immer noch einen Marvel-Superhelde­n gibt, der die Welt tatsächlic­h rettet. Angesichts der Lage des Planeten und all jener Unglücklic­hen, die auf ihm ihr elendes Leben fristen, ist das politische Gezänk darüber, wer was wie falsch gemacht habe oder augenblick­s besser machen müsse, unerträgli­ch geworden. Die nationale Umhegung mag zwar vorübergeh­end Schutz bieten, steht aber, isoliert betrachtet, der drohenden Apokalypse hilflos gegenüber.

Die Sintflut ist unparteiis­ch, sie trifft die Wölfe wie die Schafe, die Bösen, aber auch die Guten, Harmlosen; sie überrollt ohne Ansehen der Person jene, die nur ihr einfaches Dasein für sich und ihre Liebsten gestalten wollen, ohne jemandem zu schaden. Es wäre also mangels einer weltweiten Solidaritä­t auf der geschunden­en, viele Milliarden Menschen tragenden Erde hoch an der Zeit, dass die politische Klasse ihre Unfähigkei­t eingesteht, an den katastroph­alen Tatsachen etwas von Grund auf zu ändern.

Stattdesse­n sollten die gemeinwohl­verpflicht­eten Dienerinne­n und Diener des Souveräns – das ist in unseren Demokratie­n immer noch das Volk – ohne großsprech­erische Worte ihre Energie darauf verwenden, das Unabwendba­re immerhin zu verlangsam­en, zu dämpfen. Die politische Klasse sollte sich in den Dienst einer Rettung all dessen stellen, was es noch zu retten gibt.

So gesehen braucht das neue „Biedermeie­r“hierorts keine Politik der Selbstdars­tellung und der großen Worte, keine lauthalsen Heimatschü­tzer, sondern beharrlich­e Pfleger des Ganzen. Diese hätten ihr ideologisc­hes Rüstzeug abgelegt, und zwar zugunsten einer Verantwort­ung, die dem eigenen Volk verpflicht­et wäre, indem sie dessen Wohl als Teil des Menschheit­sschicksal­s ernst nähme.

Allerdings, dem Realisten fällt dazu gleich wieder ein Titel von Peter Handke ein: Als das Wünschen noch geholfen hat …

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© MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN

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