„Wir haben uns in die raue See vorgewagt“
Keine österreichische Firma müsse bei Türkis-Grün abwandern, versichert Grünen-Chef Werner Kogler. Tempo 100 sei kein prioritäres Anliegen.
Kurz meinte kürzlich, er verhandle keine Mitte-linksRegierung. Wird es also Mitte-rechts mit grünen Einsprengseln geben?
WERNER KOGLER: Für mich ist wichtig, was am Ende rauskommt. Es wäre europaweit einzigartig, wenn es gelingt. Wir sind für unterschiedliche Anliegen gewählt worden, deshalb bleibt es schwierig. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass wir nur für Artenschutz und CO2-Reduktion gewählt wurden. Wir wollen den Einstieg in den Umstieg im Umweltund Klimaschutz, gleichzeitig wollen wir keiner heimischen Firma schaden und wollen nicht, dass sie abwandert.
37 Prozent wählten ÖVP, 14 Prozent Grün. Was bedeutet das unterschiedliche Kräfteverhältnis? Eine Einigung in der Mitte ist da kaum möglich?
Es wirken mehrere Faktoren mit. Die ÖVP hat mehrere Koalitionsoptionen, wir haben nur eine Koalitionsoption. Deshalb müssen wir ernsthaft verhandeln. Alles ist besser als TürkisRot oder Türkis-Blau. Umgekehrt bleibt die Frage, ob sich die ÖVP wirklich mit der FPÖ einlassen will. Ich gehe davon aus, dass uns die Einzelfälle noch Jahre verfolgen werden.
Muss Kurz nicht seine Rhetorik ändern?
Ich mache Sebastian Kurz keine Vorschriften. Bei Türkis-Grün verschiebt sich allerdings der Diskurs. Eines der wichtigsten Instrumente in der Politik ist die Rede. Es macht einen Unterschied, ob die Freiheitlichen oder die Grünen mitregieren.
Was wird das erste Leitprojekt sein? Die Ökologisierung der Steuerreform?
Beim Sondieren haben wir uns in die raue See vorgewagt, um herauszufinden, wo es schwierig wird. Uns ging es darum, Überbrückung für alle großen
Themen zu finden. Es ist wirklich alles offen, es ist echt schwierig. Den Versuch ist es allemal wert.
Was wird mit der Ökologisierung der Steuerreform?
Wir würden den Umbau des Steuersystems angehen wollen. Wir merken, dass es unterschiedliche Vorstellungen gibt. Ich war gerade bei den Feiern des ÖVP-nahen ökosozialen Forums. Das klang dort so wie auf einem grünen Kongress.
Weil Sie nicht über Inhalte reden wollen: Welche Ministerien wollen Sie?
Darüber habe ich mir noch gar nicht den Kopf zerbrochen. Wir sind derzeit bei der Vermessung der Standpunkte. Es sollte nicht wie bei Tarifverhandlungen zugehen, wo einer sagt: Wir wollen zehn Ministerien, ihr bekommt eins. Und dann trifft man sich in der Mitte.
Innsbrucks Bürgermeister Willi fordert das Finanzministerium?
Aus ökologischer Sicht wäre das Finanzministerium sogar logisch, denn alle Öko-Maßnahmen müssen finanziell unterfüttert werden. Wichtiger als Posten ist, dass wir die Programme auf den Boden bringen.
Ist es fix, dass Sie in die Regierung gehen? Logisch wäre, dass Sie Vizekanzler werden.
Das ist nicht 100-prozentig sicher. Ich bin ein leidenschaftlicher Parlamentarier. Es ist nicht mein erklärtes Ziel, Minister zu sein. Mein Ziel ist es, diese Regierungsübereinkunft zustande
zu bringen. Das wäre europaweit einzigartig.
Vizekanzler wäre doch im Sinne einer effektiven Koordination der Regierungspolitik sinnvoll?
Ich sträube mich nicht, aber ich bin nicht in den Nationalrat zurückgekehrt, um jetzt Vizekanzler zu werden.
Jetzt ist die Casino-Affäre aufgepoppt. Werden Sie der ÖVP auf die Füße treten?
Die ÖVP sollte nicht überrascht sein, dass wir die parlamentarischen Instrumente ernst nehmen, wenn wir ins Parlament zurückkehren. Mir ist wichtig, dass es keine Vorverurteilung gibt. Wir werden uns an den parlamentarischen Aktivitäten, die von anderen Parteien angedacht worden sind, U-Ausschuss und Sondersitzung, beteiligen.
Das klingt zurückhaltend?
Wir haben auch in Opposition nicht anders agiert und gleich gesagt: Holodaro, machen wir gleich eine Sondersitzung und U-Ausschüsse. Die Aufklärung ist nicht zur Bespaßung da, sondern muss Sinn ergeben. Wenn sich das Substrat verdichtet, macht es Sinn, dass man die üblichen parlamentarischen Fragen stellt.
Weil das gestern ein Thema war: Tempo 140 ist tot?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Versuch verlängert wird.
Und Tempo 100 wie in den Niederlanden?
Tempo 100 hat man nicht wegen des CO2-Ausstoßes, sondern wegen der Stickoxide eingeführt. Tempo 100 ist kein vordringliches Anliegen. Mir geht es um Öffis und E-Mobilität. Wenn wir bis 2030 beim Klima nichts tun, ist es um unsere Umwelt so schlecht bestellt, dass wir dann 80 fahren müssen.
Sollte es Türkis-Grün in der Steiermark geben, wenn es sich ausgeht?
Zuerst muss es sich einmal ausgehen. Die Entscheidung fällen ohnehin die Freunde in Graz. Sollte es sich ausgehen, werden sich die Grünen nicht auf die Flucht begeben und die Gespräche verweigern.
Dass Türkis-Grün im Bund verhandelt wird, bringt das nun Rückenwind in den steirischen Wahlkampf?
Der Wunsch der grünen Wähler, dass Grün in die Regierung soll, ist überall extrem hoch. Ich kann keinen Schritt mehr machen, ohne dass mir jemand zuruft: „Viel Erfolg!“Und das heißt, dass man uns in der Regierung sehen will. Den Zuspruch erlebe ich überall, auch in Wien.