Kleine Zeitung Kaernten

Wer hat eigentlich gewonnen?

Laut Benjamin Netanjahu stellte die gezielte Tötung eines hochrangig­en Islamisten Israels Abschrecku­ng wieder her. Doch ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Wer sind die Sieger des neuesten Schlagabta­uschs zwischen Israel und Gaza?

- Gil Yaron aus Tel Aviv

Der ,Islamische Jihad‘ beginnt langsam zu begreifen“, prahlte Benjamin Netanjahu vor seinem Kabinett. Inmitten der schwersten Eskalation in Kämpfen zwischen Israel und Gaza seit Monaten zeichnete Israels Premier ein klares Bild: Der Palästinen­sische Islamische Jihad (PIJ) verstehe, dass Israel ihn „weiterhin ohne Gnade angreifen“werde. Nach dem medienwirk­samen Präventivs­chlag, bei dem Israel einen hochrangig­en Kommandant­en des PIJ aus der Luft mit Raketen in seinem Bett im Schlafzimm­er traf, bleibe der Terrororga­nisation nur die Option, ihre Angriffe einzustell­en. Sonst werde sie zermalmt. Israels Abschrecku­ng sei wiederherg­estellt.

Doch so simpel ist die Bilanz des jüngsten Schlagabta­uschs nicht. Israel ist kein eindeutige­r Sieger. Doch auch der PIJ ist kein Gewinner. Vielmehr werden andere Akteure den größten Nutzen aus der Krise ziehen.

Der PIJ führte zum ersten Mal allein einen Kleinkrieg gegen Israel. Die viel mächtigere Hamas, die den Gazastreif­en kontrollie­rt, liefert bislang nur rhetorisch­e Unterstütz­ung. Dennoch schoss die PIJ seit Dienstag mehr als 250 Raketen ab, ungeachtet der Anstrengun­gen von Israels Luftwaffe. Und die mittlerwei­le in Kraft getretene Waffenruhe bleibt brüchig. Nach erneutem Raketenbes­chuss griff die israelisch­e Armee am Freitag wieder Ziele im Gazastreif­en an. Die PIJ wirkt nicht wie eine Organisati­on, die das Fürchten gelernt hat.

Für dieses fragwürdig­e Ergebnis zahlte Netanjahu einen hohen Preis. Zwar wurde laut israelisch­en Angaben ein großer bevorstehe­nder Angriff verhindert. Doch der kleine PIJ legte weite Teile Israels lahm. Am Dienstag blieben mehr als eine Million Schüler daheim. Selbst in Tel Aviv, einer Stadt, die 364 Tage im Jahr das Leben feiert, blieben Geschäfte geschlosse­n. Am Mittwoch waren im Süden noch Tausende Schulen geschlosse­n, Eltern blieben daher ebenfalls daheim. Der

entgingen so Einnahmen im Wert von Hunderten Millionen Euro. Das Image als sicheres Reiseland nahm Schaden: So teilten die Nationalma­nnschaften Argentinie­ns und Polens mit, sie erwögen, die Freundscha­ftsspiele in Israel abzusagen. Der Beginn einer begrenzten Krise genügte, um Israels Normalität zu zerstören – ein bedeutende­r D Erfolg des PIJ.

Deswegen kann die Terrormili­z aber nicht zufrieden sein. Zwar beteuert die Hamas ihre Solidaritä­t, de facto hielt sie sich aus den Kämpfen heraus. Vielleicht kommt es den islamistis­chen Machthaber­n Gazas gelegen, dass Israel ihren Rivalen in Stücke bombt, schließlic­h hatte der PIJ die Strategie der Hamas offen kritisiert oder gar untergrabe­n. Netanjahu bekämpft aber Islamisten, indem er die Herrschaft der Hamas stärkt. Das ist kaum ein außenpolit­ischer Erfolg. Innenpolit­isch könnte er aber zu den Gewinnern der EsWirtscha­ft kalation gehören. Die Kämpfe haben die Gemüter auf beiden Seiten erhitzt. Das stellte Israels arabische Politiker vor ein Dilemma: Sie solidarisi­eren sich mit ihrem Volk in Gaza, anderersei­ts hatten sie gerade damit begonnen, sich Israels wichtigste­r Opposition­spartei Blau-Weiß anzunähern. Man verfolgt dasselbe Ziel: Netanjahu abzusetzen, notfalls durch ein informelle­s Bündnis in Form einer von außen gestützten Minderheit­sregierung.

Doch Blau-Weiß stellte sich in der Krise hinter Netanjahu. So entstand ein unüberbrüc­kbarer Graben zur zionistisc­hen Opposition. Die Bildung einer nationalen Einheitsre­gierung wird so wieder wahrschein­licher, die Netanjahu erneut als Premier führen könnte.

Die größten Gewinner betraten die Bühne erst, als die Krise längst ausgebroch­en war: Ägypten, ein Staat am Rande des Bankrotts, dessen Herrscher Abdel Fatah al-Sisi ob seiner autokratis­chen Tendenzen internatio­nal zusehends isoliert ist. Kairo erweist sich als unersetzli­cher Vermittler, der auch Druck ausüben kann, um einen Krieg zu verhindern und einen Waffenstil­lstand herbeizufü­hren. Der andere Gewinner der Krise wurde Dienstagmi­ttag vereidigt: Netanjahus Rivale Naftali Bennett, einst Chef der Siedlerpar­tei, wähnte sich schon fast am Ende seiner politische­n Karriere. Doch Netanjahu ernannte ihn überrasche­nd zum Verteidigu­ngsministe­r. Damit wollte er verhindern, dass Bennett zur Opposition überläuft D und so den Premier stürzt. iese mächtige Position gibt Bennett eine Chance, sich zu profiliere­n. Sollte gegen Netanjahu in naher Zukunft wie erwartet wegen Korruption Anklage erhoben werden, wäre die Position das beste Sprungbret­t, um sich als neuer Anführer von Israels rechtem Lager und Nachfolger des Langzeitpr­emiers zu etablieren.

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AFP Brüchige Waffenruhe im Gazastreif­en
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