Kleine Zeitung Kaernten

Tränen der Erleichter­ung

Der Arnoldstei­ner Bürgermeis­ter Erich Kessler lebte vier Monate in Angst. Im Interview spricht er erstmals über Morddrohun­gen gegen seine Familie und seine Gefühle gegenüber dem geständige­n Verhaftete­n.

- Von Jochen Habich und Manuela Kalser

Der Täter ist gefasst, er hat gestanden, sieben Drohbriefe verschickt zu haben. Wie geht es Ihnen?

ERICH KESSLER: Ich bin unglaublic­h erleichter­t. Das kann man sich nicht vorstellen, was wir in den vergangene­n Monaten durchgemac­ht haben. Es war eine extreme Situation.

Was haben Sie gedacht, als Sie den ersten Brief erhalten haben?

Ich kann mich noch genau erinnern: Es war Dienstag, der 9. Juli. Amtsleiter Gernot Obermoser hat mich angerufen und mir gesagt, es gebe einen Drohbrief: Darin stand, dass eine Bombe im Gemeindeam­t hochgehen werde, wenn ich nicht bis 13 Uhr zurücktret­e. Als Erstes hatte ich Sorge um meine Mitarbeite­r. Dann habe ich die Polizei gefragt, ob ich meine Familie anrufen darf, damit sie nicht aus den Medien von der Bombendroh­ung erfahren muss.

War es das erste Drohschrei­ben, das Sie als Bürgermeis­ter bekommen haben?

Nein. Ich bin 17 Jahre Bürgermeis­ter, da kriegt man ab und zu unangenehm­e Post. Aber ich wusste sofort, dieses Schreiben ist anders. Mich hat es fast aus den Socken gehoben. Aber diese Dimension war damals im Juli dennoch nicht zu erwarten.

Stimmt es, dass auch Ihre Familie bedroht worden ist?

Ja, leider. In einem Brief hat er konkret gedroht, meine Familie zu ermorden und mich auf offener Straße zu töten. Ich hatte riesige Angst um meine Ehefrau, meine Kinder und meine Enkel. Ich dachte mir: Um Gottes willen, was ist, wenn der Drohbriefs­chreiber meinen Enkeln was tut? Sie gehen alle in den Kindergart­en. Was ist, wenn der Täter dort auftaucht? Auch diesen Gedanken gab es.

Wie ist Ihre Familie mit dieser Situation umgegangen?

Es hatte dramatisch­e Auswirkung­en. Die Polizei hat sogar den Wohnbereic­h meiner Kinder durchsucht. Wir wurden von den Ermittlern mit Verhaltens­regeln geschult: etwa, dass wir die Haustür nicht öffnen dürfen, wenn wir nicht wissen, wer draußen ist. Oder dass wir, wenn wir unterwegs sind, die Umgebung im Auge haben sollten und dass wir bei Postsendun­gen vorsichtig sein müssen. Wir waren sehr belastet. Und immer dieselben Fragen: Wer ist er? Wird er einmal aufhören? Wird etwas passieren?

Kann man unter so einer Belastung überhaupt Ruhe bewahren?

Sehr schwer. Unsere Lebensfreu­de war eingeschrä­nkt. Ich habe nur noch in Etappen schlafen können: zwei Stunden Schlaf, eine Stunde Wachsein. Wenn ich nicht mehr schlafen konnte, habe ich in der Nacht Kreuzwortr­ätsel gelöst, um wieder müde zu werden. Ich habe mich auch gefragt: Welchen Menschen habe ich in meinen 17 Jahren als Bürgermeis­ter so behandelt, dass er diese schlimme Wut auf mich hat? Mir ist niemand eingefalle­n.

Haben die Drohungen Auswirkung­en auf das Alltagsleb­en in Arnoldstei­n gehabt?

Ja. Das Urvertraue­n war weg, Misstrauen da. Die Polizei hat eine Liste mit etwa 80 Namen erstellt, mit Personen, die sie befragt haben. Rund 100 Fingerabdr­ücke, auch die aller 50 Gemeindemi­tarbeiter, wurden abgenommen. Eine Folge war, dass Menschen mich auf der Straße angesproch­en haben und mir sagten: Erich, ich habe damit nichts zu tun. Das war mir unangenehm. Sehr viele haben mir Mut zugesproch­en. Eine Frau hat mir einen Rosenkranz in die Hand gedrückt. Auf das war ich nicht vorbereite­t. Das hat mich berührt. Dafür kann ich mich nur bedanken.

Das Gemeindeam­t wurde überwacht. Wie konnte man da arbeiten?

Man hat Knistern und Unruhe

gespürt. Vor allem im Erdgeschoß, wo die Post angekommen ist. Das Gebäude musste viermal komplett evakuiert werden. Das hinterläss­t bei jedem Spuren. Ein paar Mitarbeite­r sind eingebroch­en, trotz Hilfe, die wir bekommen haben und die wir intern angeboten haben. Die Unsicherhe­it war groß. Eine Kollegin traute sich nicht mehr, in der Früh als Erste zur Arbeit zu kommen. Umso stolzer bin ich auf mein Team. Was es in der Zeit geleistet hat, ist unglaublic­h. Das wird mir in Erinnerung bleiben. Das gilt ebenso für die beiden Vizebürger­meister. Man darf nicht vergessen, auch sie wurden in den Briefen bedroht. Für die Menschen, die im Gebäude, in dem das Gemeindeam­t ist, wohnen, oder für jene, die dort Geschäfte haben, war es ebenfalls nicht einfach. Ich hoffe, dass wir das verarbeite­n können.

Der mutmaßlich­e Täter wurde am 8. November festgenomm­en. Was war Ihre erste Reaktion?

Ganz ehrlich? Es gab Tränen der Erleichter­ung. Und ich bin kein Weichei. Aber die Last, die da von meinen Schultern gefallen ist, war enorm. Das war die schlimmste Phase meiner Amtszeit.

Als Motiv gibt der Täter an, dass er keine Roten mag und dass in Arnoldstei­n die SPÖ alles bestimmt.

Ich kenne den Mann nicht einmal, ich habe mit ihm nie etwas zu tun gehabt. Er wohnt nicht einmal in unserer Gemeinde. Ich habe keine Ahnung, warum er sich Arnoldstei­n und uns für seine Drohungen ausgesucht hat. Seine Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen.

Er hat sich per Anwaltsbri­ef bei Ihnen entschuldi­gt. Was halten Sie davon?

Na ja. Einerseits schreibt er von Reue und bietet mir eine Art Schmerzens­geld an, anderersei­ts spricht er wieder von Postenscha­cher. Ich werde das mit meinem Anwalt besprechen. Ich finde das irgendwie aber auch so traurig. Bei dem, was der Mann den Menschen angetan hat, zu sagen: Nenn mir ein paar Tausend Euro als Entschädig­ung, dann passt alles wieder.

Was empfinden Sie für den mutmaßlich­en Täter?

Keinen Hass, sicher nicht. Aber ich will, dass er zur Verantwort­ung gezogen wird. Da vertraue ich der Justiz, so wie ich der Polizei vertraut habe. Die hat hervorrage­nde Arbeit geleistet.

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BAUER „Es haben mich so viele Menschen unterstütz­t. Das hat mich sehr beeindruck­t“, sagt Erich Kessler
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HOLZFEIND Viermal musste das Gemeindeam­t Arnoldstei­n geräumt werden
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