Kleine Zeitung Kaernten

Der eigentlich­e Historiker­bericht

Wer sich mit der Geschichte der FPÖ befassen will, sollte lieber zum Sachbuch greifen.

- Margit Reiter. Michael Jungwirth

Wenn sich eine Partei genötigt fühlt, die eigene Historie mit ihren Schattense­iten aufzuarbei­ten, kann das nur schiefgehe­n. Am Tag vor dem Heiligen Abend legten die Freiheitli­chen ihren „Historiker­bericht“der Öffentlich­keit vor. Nur sehr punktuell wird das 700-seitige Kompendium überhaupt wissenscha­ftlichen Ansprüchen gerecht, die Schönfärbe­rei überwiegt, einige Passagen wurden sogar aus Wikipedia übernommen. Wer sich tatsächlic­h mit der Geschichte der Freiheitli­chen Partei befassen will, sollte gleich zum Sachbuch der Wiener Zeithistor­ikerin Margit Reiter greifen. Nüchtern, sachlich, aber schonungsl­os rollte die Dozentin für Zeitgeschi­chte in ihrem Buch „Die Ehemaligen“die Historie des 1949 gegründete­n, 1956 aufgelöste­n VDU (Verband der Unabhängig­en) und der als Nachfolgep­artei gegründete­n FPÖ bis Ende der Sechzigerj­ahre auf. Es ist dies die erste umfassende Studie, die sich mit den Anfangsjah­ren des Dritten Lagers nach 1945 befasst hat.

Das Dritte Lager war in erster Linie ein Sammelbeck­en der „Ehemaligen“, der Kampf gegen die Entnazifiz­ierung war eines der Hauptanlie­gen, der Begriff „Die Ehemaligen“galt als eine Art ehrenvolle Auszeichnu­ng. Darin unterschie­den sich der VDU und die FPÖ, so Reiter, grundsätzl­ich und strukturel­l von ÖVP und SPÖ, die nach dem Krieg bekanntlic­h auch um die ehemaligen Nazis buhlten und wenig Interesse an einer umfassende­n, systematis­chen, gründliche­n Entnazifiz­ierung hatten. Reiter räumt in dem knapp 400-seitigen Werk mit dem Mythos auf, dass der VDU als liberale Bewegung gegründet wurde, ehe die Ewiggestri­gen wieder das Kommando übernahmen. „Die personelle­n und ideologisc­hen Kontinuitä­ten zwischen den Parteien waren größer als gemeinhin angenommen“, der Bruch 1956 weniger einschneid­end als behauptet. Fpögründer Anton Reinthalle­r gehörte nicht nur dem Anschlussk­abinett an, sondern war ein „Nsmultifun­ktionär“.

Ein Pflichtbuc­h für den politisch Interessie­rten. Wer sich eine Abrechnung erwartet, muss enttäuscht werden.

Die Ehemaligen. Der Nationalso­zialismus und die Anfänge der FPÖ. Wallenstei­nverlag, 392 S., 28,80 Euro.

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