Die Schweigekünstler
Seit Monaten hört und sieht man wenig von Grün und Türkis. Das ist gut so. Wie sonst sollten tragfähige Kompromisse gefunden und im Detail ausgehandelt werden?
Es ist die stillste Zeit im Jahr, hieß es einmal von Weihnachten. Die Nacht – still, umman See – still, und auch der Schnee rieselt um diese Jahreszeit leiser als sonst. Nur im wirklichen Leben geht es saisonbedingt eher turbulent her. Umso auffallender die dröhnende Stille, die sich seit Wochen und Monaten um die Verhandlungsteams von ÖVP und Grünen breitet.
Schweigekanzler hatte man Wolfgang Schüssel genannt und es war kein Kompliment. Er habe sich rargemacht und wichtige Entscheidungen oder Ereignisse nicht kommuniziert, nicht erklärt.
Auch die Verhandler in Türkis und Grün erklären nichts. Große Brocken gelte es zu bearbeiten, Brücken zu bauen, wiederholten sie stereotyp, ohne die Phrasen mit Sinn zu füllen. Nur einmal entglitten ihnen ein paar läppische Details. Das darauffolgende Kommunikationschaos muss sie bestätigt haben in ihrem Entschluss, erst am Ende der Gespräche gemeinsam zu kommunizieren, wenn das komplizierte Gewebe aus Kompromissen vermessen und festgeschrieben ist.
Der Härtetest aber steht noch aus. Wenn es kommt wie angedeutet, dass nämlich erst Tage nach der Einladung des Grünen-bundeskongresses zur Abstimmung über den Pakt der Inhalt des Vereinbarten bekannt gemacht werden soll, steht die Disziplin der Eingeweihten auf dem Prüfstand. Je mehr Leute vom Ausgehandelten erfahren, desto eher sickert etwas durch – nicht gut für ein kompaktes Auftreten, für die Vermittlung eines Neuanfangs.
Außenstehende können sich schwer vorstellen, wie ein tragfähiger Kompromiss zwischen gegensätzlichen Positionen auf so vielen Politikfeldern aussehen könnte. Wie Budgetdisziplin mit einem milliardenschweren Klimapaket unter einen Hut zu bringen sein wird; wie strenge Migrationspolitik mit den Vorstellungen der Grünen von Menschenrechten und Humanität einhergehen kann.
Schwieriger noch als ein Regierungsprogramm, das beide Seiten befriedigt oder zumindest nicht verstört, dürfte sich der Alltag gestalten. Wie wollen die beiden ungleichen Parteien in heiklen Situationen reagieren, ohne den Eindruck einer tiefen Kluft zu erwecken? Will man Freiräume schaffen, innerhalb deren rhetorisch alles geht, ohne dass der andere reagieren zu müssen glaubt? Solche Abreden binden allenfalls die Partner, nicht aber die Opposition, die keine Gelegenheit auslassen wird, jede Dissonanz zu nützen. Täte sie es nicht, sie wäre zahnund sinnlos. olitik ist die Moderation gesellschaftlicher Kräfte, der Versuch, sie zu bündeln und nicht im endlosen Streit verpuffen zu lassen. Sebastian Kurz, der wegen seiner geschmeidigen Rhetorik gerne mit der rätselhaften Sphinx verglichen wurde, muss zeigen, dass er auch mit dem Gegenpol seines bisherigen Partners etwas zustande bringt.
Die Meisterprüfung des jungen Kanzlers beginnt mit dem Ende der Verhandlungen. Die Prüfer, also die Wähler, entscheiden in fünf Jahren.
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