Kleine Zeitung Kaernten

Fonty 2.0, der „coole Klassiker“

Vor 200 Jahren wurde Theodor Fontane, geistiger Vater von „Effi Briest“, geboren. Anlass genug für eine gründliche Klassiker-entstaubun­g.

- Von Werner Krause

Über Nacht wurde das idyllische Städtchen Neuruppin im deutschen Bundesland Brandenbur­g um 400 Bewohner reicher. Stumme, gelb gewandete Gesellen sind sie allesamt, reglos und nachdenkli­ch stehen sie da, vor allem in den Wiesen rund um die Kirche. Jeder von ihnen scheint in eine andere Richtung zu streben. Ein ideales Sinnbild. Die Theodor-fontane-skulpturen, die Ottmar Hörl schuf, zählen zu den optisch originells­ten Beiträgen zum Fontane-jubiläumsj­ahr. Die Fontane-döner, die an den Imbiss-buden offeriert werden, bilden den Tiefpunkt. Auf die Idee, eine Pizza Fontane zu kreieren, kam niemand. Das überrascht. Und irgendwo mittendrin ist die Aussage einer Spd-politikeri­n zum Auftakt der mehr als 400 Veranstalt­ungen zu finden: „Heute würde Fontane sicher twittern.“Es wird schon stimmen.

Rund eine Million Besucher kamen heuer nach Neuruppin, größtentei­ls um auf den Spuren des Dichters zu wandeln, der etliche Jahre lang Brandenbur­g durchstrei­fte. Zu Papier gebracht in vier Bänden, die Fontane nicht nur als großen sprachlich­en Landschaft­smaler ausweisen. Denn der stets umtriebige Nomade integriert­e in sein mächtiges Werk auch etliche rund drei Jahrhunder­te umfassende politische, soziale und kulturelle Streifzüge.

Natürlich hat Neuruppin allen Grund, stolz zu sein. Hier wurde am 30. Dezember 1819 der bedeutsams­te deutsche Romancier des 19. Jahrhunder­ts geboren, hier begann der an Irrungen und Wirrungen, Visionen, Wendungen und inneren Wandlungen reiche Lebensweg eines universell­en Schriftste­llers, daheim in allen Genres bis hin zu Krimis, dessen berufliche­r Werdegang mit einer Apothekerl­ehre begann. it „Effi Briest“, diesem zeitlos gültigen Roman über ein von Beginn an zum Scheitern verurteilt­es Ehedrama, stellte Fontane einen Monolith in die Literaturl­andschaft, angesiedel­t neben „Madame Bovary“und „Anna Karenina“. Diese Effi steht exemplaris­ch für die Opferrolle einer jungen Frau, zur Zwangsehe genötigt, zum Ehebruch verleitet, der Macht „eines uns tyrannisie­renden Gesellscha­fts-etwas“ausgeliefe­rt. Darin besteht die Aktualität dieser Anklage gegen eine verlogene soziale Schicht, die für moralische Werte stets zweierlei Maß verwendet.

Aber ganz und gar ungerecht wäre es, den angebliche­n „Romancier Preußens“bloß an diesem Werk zu messen. Es verdeutlic­ht vielmehr, dass sich Fontane, der sich erst im Alter von 60 Jahren intensiv dem epischen Schaffen widmete, in seinen Romanen oft auf die Seite der unterdrück­ten Frauen schlug, eher komödienha­ft in „Frau Jenny Treibel“, düster in

M„Cécile“, anspielung­sreich in „Unwiederbr­inglich“. Poetischer Realismus in Reinkultur, zum Teil, wie bei „Effi Briest“, inspiriert durch reale Ereignisse und Zeitungsme­ldungen.

Dennoch ist Fontanes Leben und sein gigantisch­es Schaffen noch immer reich an Rätseln. Seine Apothekerk­arriere beendete er zum Glück recht rasch, Balladen schüttelte er schon in seinen Jugendjahr­en locker aus dem Ärmel, er übersetzte Shakespear­es „Hamlet“und ein weiteres Werk von William dem Großen, eine Tätigkeit, die er später lakonisch so beschrieb: „Heute ging ich wieder mit Maria Stuart ins Bett.“idersprüch­e säumen seinen weiteren Weg. Er schrieb preußische Heldenball­aden, schlug sich in den Revolution­stagen 1848 aber auf die Seite der Barrikaden­stürmer, jedoch weit entfernt vom gefeierten Revolution­är. Er mischte sich mit einem rostigen

WGewehr unter die Aufständis­chen, an Schießpulv­er mangelte es nicht, wohl aber an Kugeln. Also stopfte er Murmeln und Münzen in den Lauf, das Rebellentu­m geriet zur Farce. „Kleinlaut zog ich mich zurück“, schrieb er. Es ist einer von vielen Sätzen, die er später tilgen wollte.

Fast 40 Jahre lang war Fontane als Journalist tätig, da schoss er wirklich mit scharfer Wortmuniti­on – gegen Preußen, das er angeblich so innig liebte. „Jeder andere Staat kann und mag in Deutschlan­d aufgehen, Preußen muss darin untergehen“, schrieb er in einem Kommentar. Es kam, wie man weiß, anders. Das 19. Jahrhunder­t war geprägt durch etliche politische und soziale Umbrüche – und durch Preußens germanisch­en Größenwahn, der in mehrere Kriege mündete. Fontane war mit dabei. Er verfasste Kriegsbüch­er, in neutralem Ton, aber gut bezahlt – von Preußens Macht

habern. Wenn Fontane allerdings tatsächlic­h ein Feinbild hatte, dann war es Bismarck. er größte Schatz, den Fontane hinterließ, sind aber wohl seine Briefe und Essays, die er auf seinen zahlreiche­n Reisen verfasste. Vier Jahre lang lebte er als Korrespond­ent in London, er unternahm eine Pilgerreis­e nach Schottland, weilte in Italien und Dänemark, stets nach der Maxime: „Mehr als Weisheit aller Weisen/galt mir Reisen, Reisen, Reisen“. Hier paart sich, auf virtuose Weise, Weltsicht mit Weitsicht, feinsinnig­e Ironie mündet in Tiraden, die Fontane wie einen Vorfahren von Thomas Bernhard erscheinen lassen. „Jeder Ort in Deutschlan­d scheitert an seinem Örtchen“, lautete sein hygienisch­er Heimatbefu­nd, ergänzt durch eine volle Breitseite gegen Preußen: „Ewig nehmen wir das Maul voll, ewig bilden wir uns ein, dass alles bei uns am besten sei,

Dund in Wahrheit ist es am schlechtes­ten.“s ist also gut, wichtig und richtig, dass mit all den Gartenlaub­en-klischees aufgeräumt wird, die noch immer an Fontane haften. „Niemand war cooler als der alte Fontane“, schrieb Kritiker Tilman Krause über den Autor, der seiner Zeit oft weit voraus war. Gar nicht cool klingt eine Hoffnung des Wortberser­kers, der am 20. September 1898 in Berlin starb. Vieles sei schon gewonnen, wenn die moderne Menschheit endlich zur Einsicht der Sachlage kommen würde, „wenn sie sich im Spiegel sieht und einen Schreck kriegt. Ein bisschen davon, wenn mich nicht alles täuscht, ist schon da.“Es ist da, ein bisschen weniger halt. Aber vielleicht hätte „Fonty 2.0“, wie ihn die Archivare gerne nennen, diesen Satz heute tatsächlic­h auf andere Weise in die Umlaufbahn geschickt – als Tweet.

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KULTURKIRC­HE Fontane überall – anscheinen­d auf dem Weg in alle Richtungen. Der Künstler Ottmar Hörl schuf insgesamt 400 Skulpturen des universell­en Dichters, aufgestell­t in seinem Heimatort Neuruppin

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