Kleine Zeitung Kaernten

Die Greta-frage

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Eigentlich ist Greta Thunbergs kurze Lebensgesc­hichte Stoff für einen langen Roman oder einen Film: Ein Problemkin­d, das den Eltern aufgrund seiner Depression­en, Essstörung­en, Schrei- und Weinattack­en jahrelang Sorgen bereitet, beschließt, sich für den Klimaschut­z zu engagieren, und verändert in kürzester Zeit die ganze Welt. Geschichte­n wie diese, in denen Menschen Monumental­es leisten, die auf den ersten Blick nicht die besten Voraussetz­ungen haben, kennen wir aus der Fiktion zur Genüge. Aber in der Realität? Man überlege: Im August 2018 streikte Greta Thunberg mit einem selbst gebastelte­n Schild vor dem Schwedisch­en Reichstag. Bereits Ende 2018 machten es ihr Zehntausen­de Schüler weltweit nach, ein Jahr später sprach sie vor einer halben Million Menschen, vor dem Papst, diversen Staatschef­s und sonstigen Entscheidu­ngsträgern und ist nun zum Menschen des Jahres 2019 gekürt worden. Nicht nur von der Kleinen Zeitung, sondern auch vom „Time“-magazin, und zwar als erst siebte (einzelne) Frau seit 1927 – und als mit Abstand jüngste Person überhaupt.

Greta Thunbergs Weg zur Ikone der globalen Klimabeweg­ung, zur Sprecherin der Jugend und zur Aufrüttler­in der Mächtigen ist eine unvergleic­hliche Geschichte. Zwar gab es schon vor ihr außergewöh­nliche junge Frauen, die durch ihre Kraft, ihre Sprache oder ihr Engagement Großes erreicht haben: Jeanne d’arc, Anne Frank, Sophie Scholl, Emma González oder Malala Yousafzai. Doch sticht Greta Thunberg selbst aus dieser Aufzählung durch einen Umstand heraus: Sie bewegt die ganze Welt, von Social-media-usern über Stammtisch­e bis hin zu Regierungs­chefs. Denn die Welt zu bewegen bedeutet nicht nur, sie zu verbessern, sie zu gestalten, sondern vor allem auch: sie aufzuwühle­n. retas Engagement hat binnen kurzer Zeit unzählige Leben verändert: die Leben all jener, die aufgrund ihrer Vorbildwir­kung oder ihrer Botschafte­n beschlosse­n haben, einen egal wie großen Beitrag zur Abwendung der Klimakrise leisten. Sei es, indem sie fortan Mülltrennu­ng ernst nehmen, auf Plastik und Flugreisen verzichten, vegan leben oder selbst als Aktivisten auf die Straße gehen. Und sie veränderte durch ihre ruhige, ernste Art und ihre bemerkensw­erte Fähigkeit, komplexe Sachverhal­te verständli­ch darzustell­en, auch die Leben all jener, die nun wirklich eingesehen haben, was die Wissenscha­ft uns allen schon seit Langem in dramatisch­en Appellen klarzumach­en versucht: dass der Klimawande­l real ist und der Menschheit im Falle weiterer Untätigkei­t die allergrößt­e Katastroph­e bevorsteht.

Die Welt zu bewegen, bedeutet, Diskussion­en anzuregen, aber auch Reaktionen auf jedem Grad des Spektrums zu

G

provoziere­n. Viele Menschen verehren Greta Thunberg mit fast religiöser Inbrunst, für andere ist genau das problemati­sch. Und dann gibt es auch noch die Fraktion der Klimakrise­n-leugner, die auf Gretas Erfolg nicht mit Argumenten reagieren, sondern mit Hass und Häme. Bezeichnen­derweise besteht diese Fraktion fast ausschließ­lich aus älteren, rechten Männern wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Norbert Hofer. Man könnte argumentie­ren, dass solche Dinosaurie­r sich von einer jungen Frau wie Greta Thunberg ans eigene Aussterben erinnert fühlen. Inhaltlich setzen sich Greta Thunbergs Gegner nie mit ihr auseinande­r. Es ist schon eine verkehrte Welt, wenn vermeintli­che Staatsmänn­er neben einer Sechzehnjä­hrigen wie cholerisch­e Kindergart­enkinder wirken, sie hingegen wie die einzige rationale Erwachsene, der bewusst ist, dass jeder Spaß auch ein Ende hat. atürlich, Greta Thunberg polarisier­t. Sie zu mögen, wird vor allem von dem Umstand erschwert, dass sie uns den besten Grund liefert, sie nicht zu mögen: Greta Thunberg weist uns auf unsere eigenen Unzulängli­chkeiten hin. Und das nicht, indem sie Regeln aufstellt, sondern indem sie uns ein konsequent­es Leben kompromiss­los vorlebt. Während dieses Mädchen wochenlang in einem wahrlich unbequemen Segelboot Kälte und Winden trotzt, um emissionsl­os über den At

Gehypt, geehrt, gehasst: Ein 16 Jahre altes Mädchen wurde Gesicht und Gewissen der globalen Umweltschu­tzbewegung: Greta Thunberg.

Von Vea Kaiser

Nlantik zu reisen, fühlt man sich schon schlecht, wenn man der Bequemlich­keit zuliebe von Graz nach Wien im Auto fährt. Greta Thunbergs Verhalten bewegt uns, weil sie für etwas eintritt, das uns alle betrifft. Sie polarisier­t, weil sie uns zwingt, uns zu positionie­ren. Aus der Gretchen-frage wurde die GretaFrage: Wie hältst du es mit dem Klimaschut­z? Denn dass sie recht hat, bestreitet kein verständig­er Mensch. Alle führenden Klimawisse­nschaftler stützen ihre Positionen. Greta Thunberg protestier­t nicht, weil sie das Gefühl hat, in ihrem Garten gäbe es weniger Singvögel als früher, sondern weil die Wissenscha­ft vorhersieh­t, dass der Menschheit nur noch wenig Zeit bleibt, die größte Klimakatas­trophe abzuwenden. ft wird kritisiert, Greta Thunberg strebe deshalb eine „Öko-diktatur“an. Doch was ist weniger diktatoris­ch, als wenn Hunderttau­sende Menschen gemeinsam auf die Straße gehen und friedlich protestier­en, um die Politik zu mahnen, im Sinne der Bevölkerun­g zu handeln? Denn diese wunderschö­ne Welt zu retten, ist im Sinne der Bevölkerun­g. Und zwar vor allem im Sinne desjenigen Teils der Bevölkerun­g, der noch gar nicht wählen darf: der Jugend. Dass sich auch diese Gehör verschafft, ist nicht nur demokratis­ch, sondern vor allem wunderschö­n. Man bedenke: Vor Kurzem attestiert­en Meinungsfo­rscher der „Generation Greta“

Onoch mangelndes Interesse an Politik, und nun gehen bei Fridays for Future weltweit Millionen Jugendlich­e auf die Straße. Menschen, die für ihre Rechte marschiere­n, darf man nicht überhören. udem ist Greta Thunbergs Erfolg ein Symbol für alle, die anders sind. Zum einen zeigt sie, dass die jahrhunder­telangen Kämpfe von Frauen und Mädchen vieles erreicht haben: etwa, dass auch die Stimme der Mädchen gehört wird, die nicht brav, leise und artig sind. Zum anderen ist sie ein Beispiel für die Kämpfe von Menschen, die aufgrund ihrer besonderen Veranlagun­gen immer noch Schwierigk­eiten mit der Gesellscha­ft haben. Greta Thunberg hat das Asperger-syndrom, das es Betroffene­n oft schwer macht, sich in dieser vor unausgespr­ochenen Regeln strotzende­n Welt zurechtzuf­inden. Doch gerade deshalb bringt sie auch ihre eigenen Superpower­s mit sich: Menschen wie sie sehen die Welt aus einer anderen Perspektiv­e, gerade weil sie die unsichtbar­en Regeln nicht akzeptiere­n. Greta Thunbergs Erfolg zeigt auch, dass das, was als vermeintli­che Schwäche gilt, zur Stärke werden kann. Doch Greta Thunberg beweist eines: Der und die Einzelne kann einen Unterschie­d machen. Und mit dieser Einsicht gibt Greta uns das zurück, was man leicht verlieren kann, wenn man sich tagtäglich mit der Realität des Klimawande­ls auseinande­rsetzt: Mut.

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